Blick von der Umweltforschungsstation auf die Gipfel. (Bild: A. Schuchardt)
Umwelt

Die Datenschmiede auf der Zugspitze

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Das Schneefernerhaus ist Deutschlands höchstgelegene Umweltforschungsstation. Ludwig Ries arbeitet dort als Wissenschaftler - er ist aber auch Fotograf, Informatiker und Koch.

Wer Ludwig Ries trifft sollte kein Vegetarier sein. Und er sollte Zeit mitbringen – sofern er in den Genuss seiner Spezialität kommen möchte. Im Ofen in der Küche der Forschungsstation Schneefernerhaus brutzelt der Schweinekrustenbraten bis zu drei Stunden. Denn auf 2650 Höhenmeter unterhalb des Zugspitzgipfels, herrscht nicht nur weniger Luftdruck, es ist auch deutlich kühler als im flachen Land. Chemische Reaktionen wie das Kochen dauern etwa doppelt so lange. Der Chef der Messstation des Umweltbundesamtes nutzt die Zeit, in der das Fleisch im Ofen gart, um auf die Terrassen der Forschungsstation zu klettern.

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Datenschmiede an der Zugspitze: das Schneefernerhaus

Alptraum Schneefräse

Zwischen den hohen Metallsäulen der Apparaturen wirkt selbst der zwei Meter große Geoökologe klein. Auf den Dächern der stufenförmig in den Hang gebauten Station stehen Ries` wichtigste Zuarbeiter: die Ansaugsysteme der Messanlagen. 500 Liter Luft pumpen sie pro Minute in die Labore. Teils im zwei-Sekunden-Takt am Tag wie in der Nacht checken die Messgeräte, welche Partikel gerade in der Luft schweben. Seit Gründung der Station 1998 überwacht Ries den chemischen und physikalischen Zustand der Atmosphäre. Dazu prüft er den Gehalt an Treibhausgasen, chemisch reaktiven Gasen und Aerosolen, Wasserdampf und Radioaktivität sowie die Höhe der Wolken. Circa 65.000 Daten kommen innerhalb von 24 Stunden zusammen.

Das Wesen von Daten ist beinahe so komplex wie eine menschliche Persönlichkeit. Jeder Wert hat einen Lebenslauf und eine individuelle Geschichte.

Ludwig Ries, Geoökologe

Die Zusammenhänge lesen zu können braucht viel Wissen. Nur 50 Höhenmeter unterhalb der Station liegt das Skigebiet. Je nach Windrichtung und Trubel kann die Belastung in der Atmosphäre für eine Zeit lang explosionsartig ansteigen – ein Problem für Ries. Zurück in seinem Büro deutet er auf einen Ausreißer in der Messreihe. „Das war vermutlich ein Schneefräse“, sagt er. Die CO2-Werte einiger Minutenmessungen sind in die Höhe geschossen. Grund dafür sind die Abgase der Verbrennungsmotoren unten auf der Piste. Mittelwerte wären verfälscht, wenn die Forscher nicht in extrem kurzen Intervallen messen und solche Abweichungen handwerklich korrigieren würden.

Die Alpen zeigen den Klimawandel

Aber es sind nicht nur die Daten, die den 63-Jährigen oben auf dem Berg beschäftigen. „Auch nach fast 20 Jahren ist der Blick auf die verschneiten Berggipfel jeden Tag wieder etwas Einmaliges. Wenn dazu der Wind heult, ist es hier wie bei einer Orchesteraufführung“, sagt Ries. Täglich schwebt er per Seilbahn zum Arbeitsplatz.

Zwei-bis dreimal pro Woche bleibt der gebürtige Münchner über Nacht. Dann kommt sein sieben Kilo schweres Kamerastativ samt Zoomobjektiven zum Einsatz. Ries parkt es direkt neben dem Schreibtisch. „Die Natur ist so kompliziert, aber auch so schön, dass ich manche Stücke von ihr am liebsten konservieren würde“. Das Ergebnis sind spektakuläre Panoramaaufnahmen oder Bildergeschichten, die den Rückzug des Gletschereises dokumentieren. Das „Best Of“ zeigt der Fotograph regelmäßig in Fotoausstellung. Mit seinen Bildern will er Betrachter berühren und für Umweltschutz sensibilisieren. “Nur was ich kenne, lerne ich schätzen und nur das was ich schätze, werde ich auch schützen“, lautet seine Devise.

Die Alpen sind für ihn ein Symbol für den Klimawandel. Denn hier zeigt sich der vom Menschen verursachte Treibhauseffekt besonders deutlich. So ist vom nördlichen Schneefernergletscher verglichen mit dem Zustand vor 85 Jahren nur noch zehn Prozent seiner Fläche übrig geblieben. Trotzdem ist er mit noch 40 Hektar der größte Gletscher in Deutschland. Bis zu zehn Zentimeter Eis verliert der Gletscher an extrem heißen Sommertagen. Das ist etwa ein Achtel dessen, was die Münchner täglich an Trinkwasser verbrauchen. 1930 hatte er noch eine Fläche von etwa 350 Hektar. Sein Anblick verzauberte die Hotelgäste vom Schneefernerhaus. Die Forschungsstation war ursprünglich eine Luxusherberge. Sie wurde 1931 knapp 300 Meter unterhalb Deutschlands höchstem Gipfel, der Zugspitze, gebaut. Doch das Hotel lohnte sich irgendwann nicht mehr.

Mit der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus sind wir vor 16 Jahren in eine neue Dimensionen der Klimaforschung vorgestoßen.

Ulrike Scharf, CSU

Der Freistaat Bayern machte aus dem Haus in den 1990er-Jahren eine Forschungsstation mit dem Ziel, repräsentative Daten über den Zustand der Atmosphäre zur globalen Klimaforschung beizusteuern, weit entfernt von Automotoren und Industrieschornsteinen. Ulrike Scharf, bayerische Umweltministerin, bezeichnet das Schneefernerhaus als „Kristallisationspunkt für Klimaforscher aus der ganzen Welt“. Etwa zehn Millionen Euro steckte der Freistaat seit 2005 in das Haus. „Gute wissenschaftliche Erkenntnisse sind das Fundament für regionale Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel. Mit der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus sind wir vor 16 Jahren in eine neue Dimensionen der Klimaforschung vorgestoßen“, sagt Scharf. Künftig soll die Forschung an der Station zu einem virtuellen Alpenobservatorium gebündelt werden. Dahinter steckt ein Kooperationsnetzwerk europäischer Berg- und Umweltobservatorien. Messdaten sollen so einmal über ein Onlineportal für Institutionen abrufbar sein, verglichen und ausgewertet werden können.

Ein Tool für die Wissenschaft

Ries hat deshalb eine weitere Disziplin für sich entdeckt: die Informatik. Neben dem Messen und Kalibieren kostet Aufbereiten und Validieren der Daten eine Menge Zeit. Vollautomatisch geht der Betrieb der Datengewinnung nämlich nicht. Nötig sind Rücküberprüfungen und Querchecks, um die Qualität zu sichern.

Acht Jahre hat der Wissenschaftler gebraucht um neben der täglichen Arbeit ein entsprechendes Programm zu schreiben. Damit kann er hunderttausende Daten unkompliziert einlesen, sichten und kennzeichnen. Zudem erlaubt ihm das Werkzeug die Messdaten der Forschungsstation von einem Jahr in ein paar Stunden zu bearbeiten, beispielsweise Monatsmittelwerte zu ermitteln und zu exportieren. „Das ist wie eine Fabrik. Rein kommen Rohdaten und raus gehen qualitätsgesicherte Werte mit denen Wissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiten können“, sagt Ries. Was IT-Technik für einen wertvollen Beitrag leistet werde von der Fachwelt oft unterschätzt, meint Ries. Effiziente Bearbeitungsprogramme gehören noch nicht zur Standardausstattung der Umweltforscher. Dabei ist Personal überall knapp. Ries ehrgeiziges Ringen um qualitätsgesicherte Daten hat die seriöse Wissenschaft in diesem Feld vorangebracht.

Falken und Studenten auf den Terrassen der Station

Seine Messdaten fließen nicht nur in den IPCC-Klimabericht ein. Wissenschaftler von sechs weiteren Forschungsprojekte bedienen sich aus dem Datenfundus der Station. Doktor- und Masterarbeiten laufen ebenfalls unter Ries` Aufsicht. Insgesamt zehn Forschungseinrichtungen haben im Schneefernerhaus ihren festen Arbeitsplatz: sei es ein Büro oder eine Fläche im Freien mit Messgeräten. Im Jahr kommen rund 2500 Besucher in die Station – von der Dokumentarfilmerin, die Luftaufnahmen mit ihrem Falken macht, bis zur Delegation von Wissenschaftlern aus Korea.

Es schneit und windet manchmal, aber das empfinde ich als attraktiv und nicht als Belastung.

Till Rehm

Den Betrieb des Hauses stemmt ein Team von neun Leuten. Webmaster Till Rehm gehört seit neun Jahren dazu. „Die Herausforderung sehe ich darin, dass man mit sehr vielen Leuten zusammenarbeitet, die ganz verschiedene Ansätze haben in der Wissenschaft, aber auch in der Organisation. Es schneit und windet manchmal, aber das empfinde ich als attraktiv und nicht als Belastung“, sagt Rehm. Die unkomplizierte Anreise ist auch für Diplomingenieur Christian Ackermann von der Technischen Universität München ein Grund, sich einmal im Monat für Permafrostmessungen zur Station aufzumachen. „Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben, auch wenn es mal schnell gehen muss, finde ich immer Unterstützung“, sagt er.

Den Rekord für die meisten Übernachtungen in dem Haus am Felshang hält aber Ries. Schließlich zählt der Mitarbeiter des Umweltbundesamtes mit zu den ersten Mietern. „Am liebsten würde ich nach der Pensionierung in drei Jahren hier hochziehen“, scherzt er. Tatsächlich will er noch einen 300 Meter langen Stahlturm auf dem Grat der Zugspitze installieren. Natürlich mit Messgeräten. Sie wären dort noch geschützter vor äußeren Einflüssen. Verlässt Ries die Station werden seine Kollegen eine regelmäßig ablaufende chemische Reaktion sicherlich vermissen: die, wenn die Fettschwarte zur Kruste wird – und auf die köstlich duftenden Schwaden aus dem Backofen .

Was passiert im Schneefernerhaus?

Zu den ersten Mietern im Oktober 1998 zählten das Umweltbundesamt zusammen mit dem Deutschen Wetterdienst zum Aufbau der globalen Atmosphärenüberwachung (GAW). Gemeinsam betreiben sie eine der von weltweit 31 GAW-Globalstationen. 2007 wurde die Umweltforschungsstation in ein Konsortium überführt. Zu den Partnern zählen unter anderem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das Karlsruhe Institut für Technologie, das Helmholtz-Zentrum München, die Max-Planck-Gesellschaft, die beiden Münchner Universitäten, die Universität Augsburg und das Bayerische Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz. Die Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Klima und Wetter, Schutz der Atmosphäre, Fernerkundung, Radioaktivität, Früherkennung von Naturgefahren und Höhenmedizin. Zum Ausbildungsprogramm GAWTEC reisen regelmäßig Studenten aus der ganzen Welt an. Mit etwa einer halben Millionen Euro sichert Bayern jährlich die Grundfinanzierung der Station, eine weitere halbe Million Euro wird durch die Mietbeiträge der Partner beigesteuert.

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