Sexueller Kindesmissbrauch ist eines der widerwärtigsten Verbrechen überhaupt. (Bild: Gina Sanders/Fotolia)
Kinderschänder

Grünlich schillernder Sumpf

Bei den Berliner Grünen haben mehrere Kinderschänder über Jahre hinweg Buben sexuell missbraucht – und die Partei schaute weg. „Wir schämen uns für das institutionelle Versagen unserer Partei“, sagte die Berliner Grünen-Vorsitzende Bettina Jarasch, die sich bei den Opfern entschuldigte. Ein Skandal, der nicht enden will.

Die Alternative Liste, die Vorgängerorganisation der Grünen in Berlin, habe „jahrelang“ mindestens zwei strafrechtlich verurteilte Kinderschänder in ihren Reihen geduldet, sagte Jarasch bei der Vorstellung des Berichts der „Kommission Aufarbeitung“ in Berlin. Nach 1995 seien die Männer „verschwunden und stillschweigend auch dieses Thema“.

Diese beiden Täter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung Mitglied der Berliner Grünen waren, seien mittlerweile gestorben. Ein dritter Täter sei vor Gericht gestellt worden, als er nicht mehr Mitglied der Grünen war. Wie viele pädophile Täter im Schutz der Grünen-Reihen insgesamt aktiv waren, kann die Partei bis heute nicht mit Sicherheit sagen.

Wieviele Täter und wieviele Opfer? Niemand weiß es genau

„Die Kommission kann deshalb nicht ausschließen, dass es auch Opfer sexuellen Missbrauchs innerhalb grüner Strukturen gab oder dass weitere Täter existieren“, hieß es weiter. Aufgrund des Strafregisters der beiden Täter und „Hinweisen auf die von ihnen außerhalb der Partei betriebenen Netzwerke wissen wir, dass durch sie viele Jungen Opfer von sexualisierter Gewalt wurden“, erklärten die Parteivorsitzenden Jarasch und Wesener. „Ob und wie viele weitere Parteimitglieder daran beteiligt waren, können wir nur mutmaßen.“

Viel klarer als die Bundespartei räumten die Berliner Grünen das „völlige Versagen“ im Umgang mit pädophilen Tätern und Einstellungen in den eigenen Reihen ein – und baten die Opfer um Entschuldigung. „Das Wegschauen sehen wir als institutionelles Versagen“, sagte Jarasch. Die damals junge grüne Partei sei „blind vor den Opfern sexuellen Missbrauchs“ gewesen.

„Wir bitten im Namen der Berliner Grünen um Entschuldigung“, sagte Jarasch. Der Bericht sei „kein Abschlussbericht“, sondern dokumentiere viele „Leerstellen“. Der Landesverband hoffe, dass sich Opfer melden würden. Die Berliner Grünen würden sich an der Opfer-Anlaufstelle beteiligen, die von der Bundespartei eingerichtet wurde – einschließlich der Möglichkeit einer „Anerkennungszahlung“.

Tagesspiegel: Ein Abgeordneter nannte ursprünglich „bis zu 1000 Opfer“

Der Berliner „Tagesspiegel“ hatte zuvor unter Berufung auf eine Äußerung des grünen Parlamentariers im Berliner Abgeordnetenhaus, Thomas Birk, von „bis zu 1000 Missbrauchsopfern bei den Grünen“ berichtet. Diese Zahl dementierte der Grünen-Landesverband allerdings, er ist nicht im Bericht enthalten. Birk war einer der Autoren des Berichts. Die Zahl 1000 hatte Birk offenbar auf einer Veranstaltung der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung im März geäußert.

Scham, Empörung und Unverständnis über das damalige Wegschauen eigener Parteimitglieder bewegte die Berliner Grünen-Landesspitze sichtlich. „In unserem Landesverband gab es damals nicht nur Agitatoren, sondern es gab auch pädosexuelle Täter, die unsere Parteistrukturen gezielt genutzt haben und das viel zu lange auch ungehindert tun konnten“, heißt es in dem Bericht der Kommission über die Vorfälle in den 80er und 90er Jahren. „Pädosexuelle Täter konnten sich als die vermeintlichen Opfer (sexueller Diskriminierung) darstellen und fühlten sich dadurch ermutigt, während die tatsächlichen Opfer ausgeblendet wurden und sich entmutigt fühlen mussten.“

Bundesverband: Sieben Opfer haben sich bereits gemeldet

Die Bundes-Grünen hatten sich bereits im November 2014 entschuldigt – allerdings lediglich für die Pädophilie-Beschlüsse der Partei aus den 1980er Jahren und nicht für Täter innerhalb der Grünen. In den Beschlüssen war Straffreiheit für „einvernehmliche Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern“ gefordert worden sowie die Abschaffung der Kinderschutzparagraphen im Sexualstrafrecht. Im 2014 vorgelegten Bericht des Göttinger Politologen Franz Walter, der für die Bundespartei die Missbrauchsvorwürfe untersuchte, waren die Vorgänge in Berlin nicht enthalten.

Bei der Anlaufstelle der Bundes-Grünen meldeten sich inzwischen sieben Opfer von Kinderschändern, in zwei Fällen könnte ein Zusammenhang der Taten zu den Grünen bestehen, wie Parteichefin Simone Peter erklärte. „Wir prüfen in jedem einzelnen Fall, welche Verantwortung uns Grüne als Partei trifft.“ Peter kündigte an, in Härtefällen Opfer auch therapeutisch oder finanziell zu unterstützen. „Wir wollen, dass die Taten aufgeklärt werden und dass das Leid der Betroffenen Anerkennung findet.“

Ströbele schämt sich nicht

Recht uneinsichtig zeigte sich der einzige Grünen-Direktabgeordnete im Bundestag, Hans-Christian Ströbele aus Berlin-Kreuzberg. „Schämen ist nicht meine Reaktion“, sagt er im Interview mit dem „Tagesspiegel“ – und das, obwohl er in den 1980er Jahren bereits bei der Berliner Alternativen Liste aktiv war. An die Täter könne er sich nicht erinnern, die Namen sagte ihm nichts, behauptet Ströbele. Er selbst habe von den Pädophilie-Fällen erst durch die „taz“ erfahren. Die Proteste des Feministinnen-Flügels gegen die pädophilen Strukturen bei den Grünen habe er nicht mitbekommen. Immerhin gibt Ströbele zu: „Ich sage heute, es war ein großer Fehler, dass wir damals in Diskussionen über Strafrecht und Straftäter das Leid der Opfer viel zu wenig berücksichtigt haben.“