Die DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. (Foto: Imago/Future Image)
DITIB-Moscheen

Imame als Erdogans Spione?

Offenbar spionieren nicht nur die diplomatischen Vertretungen der Türkei für Präsident Erdogan, sondern auch die Imame des staatlichen gelenkten Verbandes DITIB, der 970 Moscheen in Deutschland unterhält. Nach dem niedergeschlagenen Putsch, für den Erdogan die Gülen-Bewegung verantwortlich macht, schrieben die Prediger offenbar Berichte über Gläubige sowie deutsche Politiker und Journalisten.

Seit Sommer ist bekannt, dass der türkische Geheimdienstes MIT in Deutschland spioniert und hier 6000 Spitzel unterhält. Türkische Behörden hatten ihre Landsleute aufgefordert, Erdogan-Gegner zu melden – vor allem diejenigen, die mutmaßlich zu den Anhängern des Predigers Gülen gehören. Nun wird klar, dass sich auch Imame des islamischen Dachverbandes DITIB in großem Stil als Spione betätigt haben – auf Anweisung des türkischen Religionspräsidiums DIYANET. Die Behörde DIYANET ist direkt dem Ministerpräsidenten in Ankara unterstellt.

Die Imame werden auch eingesetzt, um die muslimische Gemeinde, die sie betreuen, zu kontrollieren und alle kritischen Stimmen dem Staat zu melden.

Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland

Die regierungskritische türkische Tageszeitung Cumhuriyet, die seit Monaten massiv von der türkischen Regierung angegriffen und behindert wird, veröffentlichte Listen von mutmaßlichen Gegnern des türkischen Staatspräsidenten Erdogan – angefertigt auch von Predigern des größten islamischen Dachverbandes in Deutschland, DITIB. DITIB, offiziell „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“, ist ein Verein deutschen Rechts, der von der DIYANET-Behörde dominiert wird. Diese Spionage-Berichte von Imamen deckte der türkische Cumhuriyet-Journalist Mahmut Licali mit seinen Recherchen auf.

Ausführliche Berichte über angebliche Gülen-Anhänger

Die Geistlichen spionierten demnach türkische Gläubige aus und verfassten zum Teil sehr ausführliche Berichte über mutmaßliche Gülen-Anhänger. Außerdem geben die Imame Auskunft über Personen wie etwa deutsche Journalisten, die angeblich dem Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen angehören oder damit sympathisieren. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch Mitte Juli verantwortlich. Darin geben die Imame Auskunft über Personen, die angeblich dem Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen angehören. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch Mitte Juli verantwortlich.

Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, kritisiert die DITIB seit der Gründung der Deutschen Islamkonferenz vor zehn Jahren als deutschen Ableger des türkischen Religionspräsidiums. „Die Imame, die in Deutschland in den DITIB-Moscheen eingesetzt werden, sind türkische Beamte. Und sie werden auch eingesetzt, um die muslimische Gemeinde, die sie betreuen, zu kontrollieren und alle kritischen Stimmen dem Staat zu melden. Und das sind Stasi-Methoden. Das darf es in Deutschland nicht geben.“

Dass das DITIB von der Religionsbehörde DIYANET abhängt und dass die DITIB-Imame vom DIYANET entsandt und bezahlt werden, war bekannt. Auch dass die Imame den Wortlaut ihrer Freitagspredigten aus Ankara erhalten. Aber dass diese Imame dafür eingesetzt werden, türkische Staatsbürger auszuspionieren, ist neu – zusätzlich zum türkischen Geheimdienst MIT, der in keinem anderen Land der Welt so umtriebig ist wie in Deutschland. Mit der Unabhängigkeit von der Zentrale in Ankara, wie DITIB-Funktionäre gerne behaupten, kann es also nicht so weit her sein.

DITIB-Imame gelten in vielen Kommunen als Dialogpartner

Doch während der MIT genauso im Verborgenen arbeitet wie der Bundesnachrichtendienst, ist DITIB eine religiöse Einrichtung. Sie gehört zu der vom Bundesinnenministerium initiierten Deutschen Islamkonferenz an. Lokale Funktionäre werden von der deutschen Seite oft als „Dialogpartner“ anerkannt. Was die Sache zusätzlich pikant macht: Bei einem guten Teil der ausspionierten Menschen dürfte es sich um deutsche Staatsbürger handeln.

In einem Schreiben, den das Deutschlandradio zitiert, fordert Halife Keskin, der für Auslandsangelegenheiten zuständige Vizepräsident des DIYANET, „ausführliche Berichte“ über alle Tätigkeiten, Einrichtungen und das Personal der Gülen-Organisation. Das Papier ist adressiert an alle Auslandsvertretungen der Türkei.

Einer Kommission des türkischen Parlaments zur Aufklärung der Putsch-Hintergründe wurden danach Berichte von 50 Auslandsvertretungen aus 38 Ländern vorgelegt. Drei der Berichte, aus der auch die Welt zitiert, stammen aus Deutschland – von türkischen Generalkonsulaten in Köln, Düsseldorf und München. Zusammengetragen wurden die Informationen demnach von Imamen der DITIB.

Bericht aus München über Sabine Christiansen und bayerische Politiker

So zitiert die Welt aus einem Bericht, der über das Generalkonsulat München übermittelt worden sei. Dabei findet hier die Veranstaltung „Türkisch-Olympiade“ besondere Beachtung, die im April 2014 in der Olympiahalle stattfand: „An dieser Veranstaltung nahmen annähernd 10.000 Menschen aus ganz Deutschland sowie aus Österreich, Italien, der Schweiz, Tschechien und den Niederlanden teil“, schreibt der Religionsattaché. An dieser Veranstaltung hätten zahlreiche deutsche „Abgeordnete, Bürgermeister, Polizeipräsidenten und lokale Verantwortliche“ teilgenommen.

Namentlich genannt werden die ehemalige ARD-Moderatorin Sabine Christiansen, die Bundestagsabgeordneten Doris Wagner (Grüne) und Florian Post (SPD) sowie der bayerische Landtagsabgeordnete Günther Knoblauch (SPD). Keine Erwähnung findet freilich der Umstand, dass noch im Jahr zuvor Erdogan höchstpersönlich bei der „Türkisch-Olympiade“ als Festredner auftrat und die dort antretenden Jugendlichen als leuchtendes Vorbild lobte – im Gegensatz zu den „Gewalttätern vom Gezi-Park“, wie er die 2013 brutal niedergeknüppelten Demonstranten gegen seine Regierung nannte.

Imam aus dem Westerwald berichtet besonders akribisch

Laut Welt sind die Berichte der Generalkonsulate Köln und Düsseldorf Aneinanderreihungen der Schreiben, die einzelne Imame abgeliefert haben. Sowohl die berichtenden Imame als auch die Personen, über die sie berichten, werden darin mit vollständigem Namen genannt. Namen und Ortsangaben sind in dieser Wiedergabe anonymisiert. So listet H. K., ein Imam im Westerwald, eine Reihe von Personen als Gülen-nah auf. Die Gülen-Bewegung wird als „Struktur“ bezeichnet.

1. N. Y.: Ist verantwortlich für das Gebiet A. und aktiv für diese Struktur tätig. Er hält auch nach dem Putschversuch vom 15. Juli unverändert an seiner Position fest. (…) 3. R. A.: Trat nach dem Putschversuch aus dem Vorstand der Moscheegemeinde zurück. Ist ein leiblicher Neffe des per Haftbefehl gesuchten A. A., eines früheren Autors der Zeitung Zaman. Spielt eine Rolle bei den Spendensammlungen dieser Struktur zum Opferfest. (…) 7. T. Ö.: Während ihrer Studienzeit hat sie in Wohnheimen dieser Struktur gelebt und kam als Braut nach Deutschland. Auch wenn sie sich nicht aktiv an den Tätigkeiten dieser Struktur beteiligt, soll sie dieser Struktur zugeneigt sein.

Spitzelbericht eines Imams

Der Bericht endet mit der Bemerkung: „Diese Namen wurden bereits kurz nach dem Putschversuch vom 15. Juli von einigen aufmerksamen Gemeindemitgliedern an die zuständigen staatlichen Organe und an die türkischen Auslandsvertretungen gemeldet.“

Schulen im Visier

In den Schreiben anderer Imame geht es um Gülen-nahe Einrichtungen – meist Schulen oder Bildungsvereine. So meldet F. Ö. ans Generalkonsulat Düsseldorf laut Welt: „Der Verein X wurde 2013 gegründet. Das Vereinsbüro befindet sich in Y über dem Postgebäude in der Z-Straße im dritten Stock. Der Verein erteilt Nachhilfeunterricht an Schüler und bietet mit der Erlaubnis deutscher Behörden Deutschkurse für Flüchtlinge an. … Einige der Vereinsmitglieder gehören auch unserem Moscheeverein an. Aber abgesehen von zwei, drei Ausnahmen, erscheinen sie nur selten zu den Feiertags- und Freitagsgebeten.“

Es ist möglich, dass diese Geschichte für die Cumhuriyet noch Konsequenzen nach sich ziehen wird: „Cumhuriyet attackiert Religionspräsidium“, meldete die regierungsnahe Zeitung Sabah. Die Cumhuriyet mache, so Sabah, durch ihre „Lügen und Verleumdungen“ gemeinsame Sache mit Terrororganisationen. Das könnte dem Erdogan-Regime den Vorwand liefern für weitere Durchsuchungen, Publikationsverbote und andere Repressionen.

Diese Spitzelberichte stellen die türkischen Imame hierzulande in ein äußerst schlechtes Licht. Die dubiose Gülen-Bewegung, die ihre Ideen in ihren Bildungseinrichtungen gerade Kindern einimpft, ist durchaus mit gesundem Misstrauen zu beobachten. Man sollte zudem nicht vergessen, dass sie Erdogans Kooperationspartner bei der Eroberung der türkischen Institutionen wie Justiz, Polizei und Militär war. Warum allerdings sogenannte Seelsorger und „Gottesmänner“ (auch wenn sie mit christlichen Pfarrern nicht vergleichbar sind) als Spitzel einer Regierung dienen, das ist eine Frage, der nicht nur die deutschen Sicherheitsbehörden nachgehen müssten.

(Welt/Deutschlandfunk/PM/dpa)