Das E.on-Kernkraftwerk Isar 1 bei Landshut, das seit August 2011 abgeschaltet ist. Bis in zehn Jahren soll es rückgebaut sein. (Foto: Imago/Peter Widmann)
Energiewende

Teilerfolg im Milliardenspiel

Das Bundesverfassungsgericht räumt drei Energiekonzernen "angemessene" Entschädigungen nach dem Atomausstieg von 2011 ein. Vor allem für "frustrierte Investitionen", welche die Konzerne im Vertrauen auf die vorangegangene Laufzeitverlängerung für ihre alten Meiler getätigt haben. RWE erwartet nach der Entscheidung jedoch keine allzu großen Summen.

Im Rechtsstreit um den Atomausstieg haben die Energiekonzerne E.on, RWE und Vattenfall einen Teilerfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht. Die Richter sprachen ihnen einen Anspruch auf Entschädigung zu – wenn auch in engen Grenzen. Ihre Verluste durch den vorzeitigen Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie, die Experten auf rund 19 Milliarden Euro beziffern, werden sie sich von der öffentlichen Hand nur in Teilen zurückholen können.

Ein Zeitfenster von drei Monaten

In ihrer Urteilsbegründung weisen die Karlsruher Richter vor allem auf zwei Schwachstellen der 13. Novelle des Atomgesetzes vom Juli 2011 hin: Die drei Stromproduzenten hätten im Vertrauen auf die Laufzeitverlängerung der damals schwarz-gelben Regierung vom Dezember 2010 noch einmal in ihre Meiler investiert. Diese durch die erneute Kehrtwende nach dem Unfall von Fukushima im März 2011 „frustrierten Investitionen“ könnten sie sich von der Bundesrepublik wiederholen. Ob in diesen drei Monaten allerdings allzu viel Konzerngeld in die alten Kraftwerke geflossen sein kann, bleibt die Frage.

In weiteren Prozessen können die Unternehmen nun jedenfalls versuchen, hier wenigstens einen Teil ihrer Verluste hereinzuholen. Zur Höhe der Ansprüche lässt sich das Gericht nicht ein. Eine Garantie der Erfüllung aller Investitionserwartungen gebe es nicht, heißt es im Urteil. Die im Vertrauen auf die Rechtslage investierten Summen würden jedoch eine „angemessene Berücksichtigung“ erfordern, wenn der Gesetzgeber die Nutzung der Kraftwerke direkt unterbinde oder erheblich einschränke.

Punkt zwei des Entschädigungsanspruches beschränkt das Verfassungsgericht auf zwei der drei klagenden Konzerne. Diese hätten „substantielle Teile ihrer Reststrommengen“, die ihnen durch den ursprünglichen Atomausstieg von 2002 zugesichert worden waren, nach dem überraschenden Schwenk von 2011 nicht konzernintern ausnutzen können. Wieviel Strom sie mit ihren Kraftwerken ohne vorzeitigen Atomausstieg noch hätten produzieren können und wieviel dieser wert gewesen wäre, ist zwischen den Prozessbeteiligten – den Unternehmen und der Bundesregierung – allerdings umstritten. Auch hier müssten die Klageführer in weiteren Verhandlungen oder Gerichtsverfahren tatsächlichen Schadensersatz durchsetzen.

Leben und Gesundheit der Bevölkerung und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen – ein legitimes Regelungsziel.

Urteil Bundesverfassungsgericht

Insgesamt jedoch bestätigen die Verfassungsrichter der Regierung Merkel die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung gegen die Kernenergie nach dem verheerenden GAU im japanischen Werk Fukushima. Die gesetzlichen Regelungen „erweisen sich weitgehend als eine zumutbare und auch die Anforderungen des Vertrauensschutzes und des Gleichbehandlungsgebots wahrende Bestimmung“, resümiert das Gericht. Die Gesetze zur vorzeitigen Abschaltung von Atommeilern führen „nicht zu einer Enteignung“ der Stromkonzerne. Dies hatten die Unternehmen stets behauptet. Das Gericht jedoch urteilt: „Der Gesetzgeber verfolgt mit der Beschleunigung des Atomausstiegs und seinem dahinter stehenden Wunsch, das mit der Nutzung der Kernenergie verbundene Restrisiko nach Zeit und Umfang zu minimieren und so Leben und Gesundheit der Bevölkerung und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, ein legitimes Regelungsziel.“

Die Konzerne wurden nicht enteignet

Insbesondere einen Vorwurf von E.on-Chef Johannes Theyssen weist Deutschlands oberstes Gericht in diesem Zusammenhang explizit zurück. Der Vorstandsvorsitzende hatte im Prozess die Legitimität der Regierungsentscheidung bestritten: Der Unfall in Japan habe nicht das Risiko der Nuklear-Technologie verändert, sondern nur die Risikowahrnehmung. Dem entgegnen die Karlsruher Richter nun: „Jedenfalls bei der Beurteilung einer Hochrisikotechnologie, deren Schadensrisiken in besonderem Maße von einer politischen Bewertung und einer öffentlichen Akzeptanz abhängig sind, kann auch Ereignissen ein eigenes Gewicht beigelegt werden, die allein das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Risiken ändern, obwohl neue Gefährdungen nicht erkennbar sind.“

Fukushima hat auch in Deutschland eine Neubewertung nötig gemacht.

Barbara Hendricks, Bundesumweltministerin

Wie das Milliardenspiel um den Atomausstieg nun weitergeht, ob die Unternehmen die ihnen eingeräumten Ansprüche auch tatsächlich durchsetzen, ist offen. Denn parallel laufen in Berlin Verhandlungen über die Aufteilung der Milliardenkosten für die Entsorgung der atomaren Altlasten und den Rückbau der deutschen Kernkraftwerke, die bis spätestens 2022 vom Netz gehen sollen. Damit der Staat den Betreibern die Haftungsrisiken für die Endlagerung abnimmt, sollen diese eigentlich alle Klagen fallenlassen. Immerhin haben sie mit dem Teilerfolg beim Bundesverfassungsgericht nun ein Verhandlungspfund in den Händen – wenn auch ein erheblich kleineres, als sie ursprünglich mit dem Prozess angestrebt hatten.

Stromerzeuger auf Verhandlungskurs

Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern RWE jedenfalls hat bereits mitgeteilt, er erwarte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine großen Summen. „Wir gehen nicht davon aus, dass hier Entschädigungen in Milliardenhöhe erfolgen werden“, sagte eine Sprecherin des Unternehmens nach der Bekanntgabe der Entscheidung. Wie hoch Entschädigungen, die die Verfassungsrichter grundsätzlich zugelassen hatten, überhaupt ausfallen könnten, sei noch nicht abzuschätzen. „Hier ist zunächst auch mal der Gesetzgeber gefordert“, erklärte die RWE-Sprecherin. „Wenn der mit uns darüber Gespräche führen will, sind wir dazu natürlich gerne bereit und offen.“