Bundespräsident Joachim Gauck. (Bild: Imago/UPI)
Joachim Gauck

„Nicht jeder fühlt sich als Weltbürger“

Bundespräsident Joachim Gauck spricht sich angesichts der Protesthaltung in vielen Ländern für eine Pause bei der Erweiterung der EU aus. In einem Zeitungsinterview gibt das scheidende Staatsoberhaupt einen Einblick in seine Gedanken zur aktuellen Politik - von der Krise der EU über die Wahl Donald Trumps bis hin zu Gaucks persönlichen Schwierigkeiten mit dem Amt des Bundespräsidenten.

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich dafür ausgesprochen, den Menschen in der Europäischen Union „eine Pause“ bei der Erweiterung zu gönnen, damit die Union wieder zusammenwachsen könne. Im Interview mit der Welt am Sonntag sagte Gauck: „Wir haben mit der Europäischen Union ein großartiges Konzept entwickelt. Ein Friedensprojekt, von dem Generationen vor uns nicht mal zu träumen wagten.“

Wieder mehr national regeln

Die Politik sei „auf dem Weg zu einer immer engeren Vereinigung“ manchmal so schnell gewesen, dass nicht alle Bürger mitkommen konnten oder wollten, betonte der scheidende Bundespräsident – und gab zu: „Das bereitet mir Sorge.“ Es sei hilfreich, wenn das Prinzip künftig noch stärker berücksichtigt werden könnte, wonach auf nationaler Ebene bleibe, was dort geregelt werden könne. „Insgesamt sollten wir über eine Pause nachdenken, in der wir diskutieren, welches Ziel wir in welchem Tempo erreichen wollen.“

Insgesamt sollten wir über eine Pause nachdenken, in der wir diskutieren, welches Ziel wir in welchem Tempo erreichen wollen.

Joachim Gauck

Im europäischen Prozess will Gauck deshalb aber keinen Stillstand, „sondern eine Entschleunigung“. Man müsse innehalten, „um die Zustimmung der Bürger wiederzuerlangen, die derzeit so mit der EU hadern“, sagte das Staatsoberhaupt. Dabei gehe es allerdings nicht nur um Geld. „Es geht darum, dass die Bevölkerungen der EU-Länder überzeugt davon sein sollten, dass ein vereinigtes Europa für Frieden, Freiheit, Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht“, betonte Gauck.

Nicht jeder ist gerne ein „Weltbürger“

Für manche Menschen sei es schwer zu akzeptieren, dass sie, etwa im Zuge der europäischen Einigung oder in einer zunehmend globalisierten Welt, in immer größeren Aktionsräumen leben sollten. „Nicht jeder fühlt sich als Weltbürger“, sagte der Bundespräsident. Offenbar habe das auch viele Wähler des künftigen US-Präsidenten Donald Trump beschäftigt.

Ich kann bei den Rechtspopulisten keine zündenden Angebote sehen.

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Mehr Engagement für die Demokratie

Gauck äußerte sich auch zum Erstarken rechtspopulistischer Kräfte in Europa. Er persönlich könne bei den Parteien und Protagonisten „keine zündenden Angebote“ erkennen, sagte der Bundespräsident, der Anfang 2017 aus dem Amt scheiden wird. „Sie machen sich die Neigung in Teilen der Bevölkerung zunutze, einfachen Erklärungsmustern zu folgen“, erklärte Gauck. Hinzu käme bei manchen Bürgern der Wunsch nach „erkennbarer Führung – selbst bei Politikern, die es mit demokratischen Grundsätzen nicht so genau nehmen“. Gerade deshalb aber dürfe man die Demokratie nicht als selbstverständlich ansehen, sondern müsse sich für sie engagieren.

Schwieriges erstes Amtsjahr

Im Interview mit der Sonntagszeitung gab Joachim Gauck außerdem einen Einblick in seine persönliche Bilanz als Bundespräsident. „Im ersten Jahr meiner Amtszeit habe ich mich eher unfrei gefühlt, weil ich sehr darauf bedacht war, die Grenzen des Amtes nicht zu überschreiten“, gab der 76-Jährige zu.

In meinem ersten Jahr war ich sehr darauf bedacht, die Grenzen des Amtes nicht zu überschreiten.

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Danach aber sei der „Reichtum der Möglichkeiten“, den das Amt mitbringe, stärker in seinen Fokus gerückt. Verantwortungsgefühl, Hilfsbereitschaft, Rechtstreue – dies seien Dinge, die ihn persönlich glücklich machten. Und dazu gehöre auch der Stolz auf das eigene Land: „Warum soll man den Stolz den Nationalisten überlassen?“, fragte Gauck. Man könne diesen Stolz auch als „Europäer, als Weltbürger aus Deutschland“ empfinden.