Verschleierte Muslimas bei einer Kundgebung in Offenbach am Main. (Foto: Imago/epd)
Gastbeitrag

Ein schädliches Stück Stoff

Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Ein Verbot von Burka und Nikab ist aus Gründen der Menschenwürde richtig. Denn Frauen sollten als Menschen sichtbar sein, fordert die Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ateş.

Wenn wir über Frauenrechte im Islam sprechen, sprechen wir neben der Tatsache, dass die islamischen Gesellschaften sehr heterogen sind, auch über die Tatsache, dass der Islam sich in viele, teilweise widersprüchliche Rechtsschulen einteilt. Und wir sprechen darüber, dass in einem Land wie Saudi Arabien, der Heimat des Propheten Mohammed, gefeiert wird, dass Frauen seit 2015 an politischen Wahlen teilnehmen dürfen und dass dort im Frühjahr 2016 ein Wissenschaftspanel der Ansicht war, dass Frauen nicht mehr nur als Sachen, sondern als Säugetiere betrachtet werden sollten, da sie Milch geben.

Kein anderes Symbol polarisiert derart

Wer sich an dieser Stelle abwendet und sagt, was scheren uns die Saudis und darauf hinweist, dass wir über den Islam in Europa sprechen, über die Verhüllung der Frauen in der freien Welt, in der Frauen freiwillig sich verhüllen wollen und sollen, ebenso wie Frauen sich freiwillig enthüllen dürfen, der macht es sich ziemlich einfach.

Mir fällt kein anderes Thema ein, bei dem sich die Gemüter weltweit im Hinblick auf Islam und Gleichberechtigung der Geschlechter so erhitzen wie bei dem Thema Verhüllung der Frau. Das Thema ist kompliziert und führt teilweise zu sehr absurden Diskussionen. Ich begrüße die inzwischen internationale Debatte über Burka- und Burkiniverbote, in der Hoffnung, dass es wirklich um die Frauen geht und nicht um eine unterschwellige Islamfeindlichkeit. In den islamischen Ländern gibt es kein anderes religiöses Symbol, das derart polarisiert und politisiert wird. Verhüllte Frauen gelten in der Regel, in den Augen von Traditionalisten und Fundamentalisten als anständig und fromm, unverhüllte Frauen als viel zu freizügig und unanständig. Die Verhüllung wird zum Maßstab von Religiosität und Anstand. Teile des sogenannten Westens, westliche Feministinnen und weiße westliche Männer solidarisieren sich gerne mit der Kopftuchträgerin, die mit dem Stück Stoff ihrer Freiheit und Emanzipationen als Frau Ausdruck geben will. Die Verhüllung sei ein Protest gegen die Sexualisierung der Frau. Genderabteilungen gefällt die Aussage, dass mit der Verhüllung zum Ausdruck gebracht wird, dass die Frau kein Sexualobjekt sei. Dabei ist die Verhüllung der ultimative Ausdruck dessen, dass die Frau zum Sexualobjekt erklärt wird. Es macht nämlich keinen Unterschied, ob eine Frau zu Werbezwecken ausgezogen und auf ein Auto gelegt wird oder nur verhüllt auf die Straße darf. In beiden Fällen steht der Körper der Frau als Sexualobjekt im Vordergrund.

Frauen Sollen sich wegen der Männer verhüllen

Die Verhüllung ist nicht immer Ausdruck von Religiosität und Gottgefälligkeit. Frauen sollen sich verhüllen, damit Männer den sexuellen Reizen und der Schönheit der Frauen nicht ausgesetzt sind. Es handelt sich also bei manch einer verhüllten Frau um eine Manngefälligkeit. Ganz lapidar heißt es, jede Frau sollte doch selbst entscheiden, ob sie sich dem lieben Gott und einem Mann oder beidem unterwirft. Mit dieser Einstellung wird jede Frauenrechtlerin leben können, wenn eine Frau tatsächlich gelernt hat, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie nicht den Familientraditionen entsprechen, und sie die Chance hat, ihr eigenes Leben zu leben.

Auch wenn es nur eine einzige Frau in Deutschland gibt, die in der Öffentlichkeit den Nikab oder die Burka trägt, bin ich dafür, es gesetzlich zu verbieten.

Seyran Ateş

Wie kommen wir also dazu, Frauen verbieten zu wollen, sich selbst zu schaden? Wie kommen wir dazu, zu behaupten, dass sie sich selbst damit schaden, wenn sie sich komplett verhüllen und nicht selbstbestimmt leben wollen? Meine Antwort darauf ist, dass dieser Konflikt nicht neu ist. Manche Frauen sind Teile des Patriarchats, ohne sie gäbe es keins, und manche Frauen bekämpfen das Patriachat. Als Frauen anfingen, für das Frauenwahlrecht zu kämpfen, kämpften sie auch gegen Frauen, die gegen ein Frauenwahlrecht waren. Die Frage ist, was wollen wir unterstützen?

Liberale Muslime fragen „Übertreiben Sie nicht?“

Es werden, für Deutschland sehr typisch, auch bei dem Thema Vollverschleierung Zahlen abgefragt. Wie bei dem Thema Zwangsheirat und anderen „Unannehmlichkeiten“ für muslimische Frauen. „Frau Ateş, übertreiben Sie nicht? Da werden nur eine Handvoll Frauen in Deutschland zwangsverheiratet und sie fordern gleich einen eigenen Straftatbestand?“, werde ich gefragt. Das war 2003. Damals und in den folgenden Jahren haben mich viele Leute diffamiert und ausgegrenzt, weil ich angeblich alle Migranten mit solch einer Forderung kriminalisiere. Als ich vor wenigen Jahren auf die Tatsache, dass Kinder im Kindergarten Kopftücher tragen, hingewiesen habe, sagte Lamya Kaddor, eine bekannte liberale Muslimin, zu mir, das seien doch nur Einzelfälle. Sie habe noch kein einziges Kind mit Kopftuch gesehen. Als ich bereits im Jahre 1998 die Frage gestellt habe, was all die Relativiererinnen sagen werden, wenn eines Tages in Deutschland schon kleine Mädchen Kopftücher tragen und Frauen das Recht auf die Burka und den Nikab mit dem Hinweis auf die Religionsfreiheit erheben werden, bekam ich die Antwort, dass ich übertreibe.

Solange ein einziger Mensch von Zwangsheirat betroffen ist, werde ich gegen die Zwangsverheiratung kämpfen.

Seyran Ateş,

Meine Antwort auf die Frage nach den Zahlen lautet: Solange ein einziger Mensch von Zwangsheirat betroffen ist, werde ich gegen die Zwangsverheiratung kämpfen. Denn für mich gilt die Pflicht, sich für Menschenrechte einzusetzen, auch wenn es nur einen einzigen Menschen betrifft. So sagte ich 1998, dass ich gegen Kopftücher und andere Verhüllungen kämpfen werde, solange eine einzige Frau dazu gezwungen wird, es zu tragen.

Eine Frage der Menschenwürde

So sage ich es heute. Auch wenn es nur eine einzige Frau in Deutschland gibt, die in der Öffentlichkeit den Nikab oder die Burka trägt, bin ich dafür, es gesetzlich zu verbieten. Denn es geht hier um die Menschenwürde. Frauen sollten als Menschen sichtbar sein. Das ist meine ureigene Meinung. Für die man übrigens auch in Deutschland als Rassistin und Islamfeindin beschimpft wird.