Kein Erfolgsmodell: Rot-Rot-Grün. (Bild: Imago/Eibner Europa)
Rot-Dunkelrot-Grün

Der Marsch in die linke Republik

Auf scharfe Kritik ist ein Treffen von rund 90 Abgeordneten von Linkspartei, Grünen und SPD in Berlin gestoßen. Das Ziel dieser Gesprächspartner wird allerdings auf unteren Ebenen schon seit vielen Jahren verfolgt: Ein rot-dunkelrot-grünes Bündnis. Auch Vizekanzler Gabriel gab der "Linksfront" seinen Segen. Eine Analyse.

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, heißt es in einem alten Kirchenlied. SPD, Grüne und Linke haben sich diese Zeile offenbar zu eigen gemacht und trafen sich rund drei Stunden im Bundestag in Berlin, um Gemeinsamkeiten für ein mögliches Bündnis auszuloten. An den Beratungen nahmen rund 90 Bundestagsabgeordnete und Funktionäre teil, darunter – und das galt als Überraschung – zeitweise auch SPD-Chef Sigmar Gabriel. Vertreter der Parteien begründeten das Zustandekommen des großen Treffens im Jakob-Kaiser-Haus mit den starken Wahlergebnissen der AfD, dem Rechtstrend in Europa und der Ablehnung einer weiteren großen Koalition. „Hinterher wirkten manche Teilnehmer geradezu beglückt“, schrieb die ARD zu dem Treffen.

Heftige Kritik aus der Union

Jetzt weiß es jeder: das Ziel ist eine linke Republik mit Rot-Rot-Grün!

Andreas Scheuer

Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl haben die Unionsparteien nach diesem „Trialog“ genannten Treffen vor einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis gewarnt. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer warnte: „Jetzt weiß es jeder: das Ziel ist eine linke Republik mit Rot-Rot-Grün! Diese Linksfront würde Deutschland massiv schaden.“ Immerhin sei nun klar: „Die Masken sind gefallen.“ Es sei zwar üblich, dass sich Parlamentarier auch parteiübergreifend träfen. Aber dieses Treffen von knapp 100 Abgeordneten habe im Bundestag und eben nicht in einer Kneipe stattgefunden, und vor allem sei der SPD-Chef dabei aufgetreten. „Als Vizekanzler geht man zu so einem Treffen nicht“, kritisierte der CSU-Politiker. Das seien letztlich Sondierungsgespräche in einer laufenden Legislaturperiode, „wo man, wenn man Anstand hätte, eigentlich den Dienst quittieren müsste“.

Scheuer warnte auch in Bezug auf andere Treffen wie etwa Gespräche schwarz-grüner Abgeordneter davor, den Eindruck zu erwecken, man wolle andere Koalitionen vorbereiten. „Das ist das völlig falsche Signal“, sagte er. Anfang November wollen sich wieder Parlamentarier von Grünen und der Union zu informellen Gesprächen im Rahmen der sogenannten Pizza Connection treffen.

Das wäre ein Stabilitätsrisiko für Europa und die Welt.

Peter Tauber

Die Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Gerda Hasselfeldt, hielt den Sozialdemokraten vor, die Teilnahme von SPD-Abgeordneten an dem Treffen „trägt nicht gerade zur Vertrauensbildung in der Koalition bei“. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte, ein rot-rot-grün regiertes Deutschland wäre ein „Stabilitätsrisiko für Europa und die Welt“. Der SPD warf er Orientierungslosigkeit vor, der Linkspartei ihre Positionen in der Außenpolitik. „Die Linke ist eine rote AfD – sie will raus aus dem Euro und bezeichnet die Nato als Kriegstreiber.“

SPD-Kurs führt nach links

Aber die Reaktionen der SPD auf diese Kritik machte nochmal völlig klar, mit wem die Genossen künftig koalieren wollen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte im Spiegel klar, es gehe bei dem Treffen um eine mögliche Zusammenarbeit in der nächsten Legislaturperiode. „Es ist an der Zeit, darüber zu diskutieren, ob und unter welchen Voraussetzungen Rot-Rot-Grün auch für eine Regierung im Bund denkbar wäre“. Dies sei aber „nicht von Wunschdenken abhängig, sondern von politischen Fakten“. Oppermann rief die Linkspartei auf, unter anderem ihre EU- und NATO-kritische Haltung zu überdenken. Zudem müsse ihre Politik finanzierbar sein.

Es war ein bisschen eine Atmosphäre wie in den Flitterwochen.

Frank Schwabe

Sein Vize Axel Schäfer sagte unmittelbar vor Beginn des sogenannten Trialogs, die Kritik zeuge auch von Anerkennung dafür, „dass etwas zustande kommt, was man vielleicht bisher für nicht möglich angesehen hat“. Schäfer sagte, es gehe etwa um eine inhaltliche Verständigung und den Aufbau von Vertrauen. Er betonte, Parteichef Gabriel habe die Gespräche ausdrücklich begrüßt. Überraschend erschien der SPD-Vorsitzende dann auch selbst zu dem Treffen, verließ dieses aber nach kurzer Zeit wieder. Laut ARD jedoch nur zu einer „kleineren rot-rot-grünen Runde“, wo das gleiche Thema auf der Tagesordnung stand – laut Tagesspiegel sei dieses kleine Treffen aber kurzfristig abgesagt worden. Mit dem kurzen Abstecher zeigte der SPD-Chef jedenfalls deutlich, dass er damit den Trialog „adeln“ wollte. „Ich bin schon seit 1968 politisch aktiv – aber das war einer der bewegendsten Momente meiner politischen Laufbahn, weil wir so offen und fair miteinander umgegangen sind“, sagte ein hörbar begeisterter Axel Schäfer nach dem „Trialog“ zur ARD. „Es war ein bisschen eine Atmosphäre wie in den Flitterwochen. Es gibt durchaus eine gewisse Euphorie“, schwärmte dort auch Frank Schwabe (SPD). „Rot-Rot-Grün ist der einzige Weg zu verhindern, dass wir in österreichischen Verhältnissen landen, wo eine große Koalition der anderen folgt“, so auch der grüne Linksaußen Jürgen Trittin.

SPD-Vize und -Linksaußen Ralf Stegner erklärte schon vor einigen Wochen im Spiegel: „Wir wollen eine Mehrheit jenseits der Union, und dazu gehört auch eine Linkspartei, die willens ist zu regieren.“ Dafür müsse aber das Gros der Linkspartei aufhören, Fundamentalopposition sein zu wollen. Die Linke müsse für sich vor der Wahl klären, „ob sie der Hauptgegner der SPD bleiben will“, so Stegner.

Rot-Rot-Grün wird seit Jahren vorbereitet

Seit Jahren arbeiten die linken Parteien an dieser Koalition „R2G“ (zwei Mal rot, einmal Grün), wenn auch auf unterer Ebene in verschiedenen Gruppen. So gibt es seit 2004 eine „Denkfabrik“ genannte Gruppe, die diese Perspektiven immer wieder mit SPD, Grünen und Dunkelroten diskutiert. Mit-Initiatorin war die heutige Arbeitsministerin und seit Juso-Zeiten als sehr links geltende Andrea Nahles (SPD). Die rot-rot-grüne Option ist längst kein Schreckgespenst mehr“, zeigte sich kürzlich der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe, einer der Sprecher der „Denkfabrik“, überzeugt. „Ich realisiere einfach, dass die Linkspartei ihren Platz im Parteiensystem hat“, so Schwabe, als ob die SED-Nachfolger irgendeine x-beliebige Partei wären, bei der nicht Teile vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Viele Verhandlungen dürften auch abseits des öffentlichen Geschehens laufen. „Da tut sich viel mehr, als man von außen beobachten kann“, mutmaßte jüngst etwa Hans-Ulrich Jörges im Stern.

Konflikte mit der Linkspartei

Spitzenpolitiker von SPD und Grünen sehen ein Bündnis mit den Linken zwar durchaus kritisch. Die Putin-freundliche Linke will laut ihrem Programm nach wie vor „die Nato auflösen“, lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie CETA und TTIP ab und will Verfassungsschutz und die Hartz IV-Reformen abschaffen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, wiederholte in der Neuen Osnabrücker Zeitung die altbekannte Version, Teile der Linken verträten nach wie vor Positionen, die einer Regierungsverantwortung „diametral entgegenstehen“. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, er halte es wegen der wirtschafts- und außenpolitischen Haltungen der Linken für schwer oder gar nicht vorstellbar, mit ihnen zusammen ein Land wie Deutschland zu regieren. Weitere Diskussionspunkte, abgesehen von diversen Ex-Stasi-Spitzel-Affären der SED-Rechtsnachfolger, liefern die Linken immer wieder: So hatte jüngst etwa Linken-Chefin Katja Kipping nach dem CETA-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Kurznachrichtendienst Twitter ganz im Duktus alter SED-Parteischule geschrieben: „Das nennt man wohl Klassenjustiz: #Bundesverfassungsgericht billigt #CETA und macht sich zum Handlanger der #Groko & Großkonzerne.“ Der saarländische Linksfraktionschef Oskar Lafontaine nannte auf seiner Facebook-Seite Hillary Clinton „die vermutlich nächste Terroristin im Weißen Haus“.

Ich werde dieses Land nicht in eine unsichere Regierung führen, nur damit ein Sozialdemokrat im Kanzleramt sitzt.

Sigmar Gabriel

SPD-Chef Gabriel nannte noch im August bei einer SPD-Konferenz im Ruhrgebiet ein weiteres Problem der Linkspartei: „Ich halte die Linke im Westen für eine Partei, die einen Knall hat.“ Sie bestehe dort überwiegend aus „SPD-Hassern“. Ins gleiche Horn stieß Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Die Linke sei „weder regierungswillig noch regierungsfähig; das gilt auch für ihre politischen Inhalte“. Und Gabriel ließ sich auch noch zu dem Satz hinreißen: „Ich werde dieses Land nicht in eine unsichere Regierung führen, nur damit ein Sozialdemokrat im Kanzleramt sitzt.“

Alles nur Lippenbekenntnisse?

Dennoch mangelt es solchen Äußerungen mittlerweile an Glaubwürdigkeit, zumal auch weitere Treffen dieser Art geplant sind. Der für seine Wendemanöver bekannte Gabriel sagte nach der Berliner Wahl, es brauche jetzt „eine Mehrheit diesseits der Union“. Diese Fragwürdigkeit untermauerte auch Kretschmann. Er erinnerte daran, dass die Linke aus Flügeln bestehe. So fahre Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) einen realpolitischen Kurs.

SPD-Chef Sigmar Gabriel wird jede Chance nutzen, Kanzler zu werden – wenn schon nicht mit der Hilfe des Volkes, dann mit Hilfe linker Parteien.

Markus Söder, CSU

Eben jener Ramelow sagte kürzlich, eine Dreierkoalition müsse lernen, „Themen, die wegen unterschiedlicher Positionen der drei Partner nicht zu regeln sind, auch mal beiseite zu legen“. So rate er seiner Partei, „an der Nato-Frage diese Koalitionsmöglichkeit nicht unmöglich zu machen“. Klar ist, dass man in einer Koalition die absurdesten Ideen der Linkspartei „heraus verhandeln“ könnte, ohne dass diese dadurch ihr Gesicht verlieren würde. Solche Zugeständnisse konnte man bei der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen schon beobachten und auch in Berlin wird eine solche Koalition derzeit vorbereitet.

„Die Schamgrenzen sind weg. SPD-Chef Sigmar Gabriel wird jede Chance nutzen, Kanzler zu werden – wenn schon nicht mit der Hilfe des Volkes, dann mit Hilfe linker Parteien. Deswegen wird er auch über die Brücke gehen, die ihm die Linkspartei baut“, vermutete Bayerns Finanzminister Markus Söder schon im September.

Die Zeitung Die Welt kommentierte denn auch:

Im Frust über die als miese Ehe empfundene Partnerschaft scheint die Sehnsucht vieler Sozialdemokraten mittlerweile so groß zu sein, dass sie selbst die Grundsätze für lässlich halten, die zur Staatsräson der Bundesrepublik gehören: die Mitgliedschaft Deutschlands in der Nato und letztlich auch die in der Europäischen Union.

Was bedeutet „R2G“ für die Bürger?

Abseits der Außenpolitik: Zu was Rot-Dunkelrot-Grün innenpolitisch auch ohne Extremforderungen der Linken führen würde, ist allerdings erschreckend genug. Linke Parteien ruinieren regelmäßig Wirtschaft, Finanzen, Bildungsqualität und die Innere Sicherheit in den von ihnen regierten Ländern oder Kommunen. Als Staatsgläubige steigern sie die Bürokratie für Bürger und Unternehmen, erhöhen die Steuern und verordnen in der Bildungs- und Gesellschaftspolitik Umerziehungsprogramme. Zu beobachten war das beispielsweise in Thüringen, wo im gemeinsamen Bildungsplan die stärkere Berücksichtigung „der Gleichstellung von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität“ im Unterricht schon ab Grundschuleintritt vorgesehen ist. Auch wird ausschließlich gegen Rechtsextreme vorgegangen, Linksextreme spielen keine Rolle.

Noch reicht es nicht

Einen kleinen Haken gibt es noch: In allen Umfragen reicht es derzeit nicht für Rot-Dunkelrot-Grün, zuletzt waren es 46 Prozent bei einer INSA-Umfrage. Infratest Dimap verordnete zusammen 42 Prozent. Doch das könnte sich noch ändern, auch wenn das alles dominierende Thema Asyl nicht gerade für eine linke Wechselstimmung spricht. Nur acht Prozent der Deutschen würden Rot-Dunkelrot-Grün als Koalition bevorzugen, so das ZDF-Politbarometer. Eine klare Koalitionsaussage wird die SPD wegen dieser Unwägbarkeiten vermeiden. Vor der Bundestagswahl 2013 zeigte sich die SPD in einem Beschluss sicherheitshalber aber schon mal auf dem linken Auge blind: „Für die Zukunft schließen wir keine Koalition (mit Ausnahme von rechtspopulistischen oder -extremen Parteien) grundsätzlich aus.“