Ist der NSU-Terrorist Peggys Mörder?
Der seit 2001 ungeklärte mutmaßliche Mordfall Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg hat eine dramatische Wendung genommen: Die Ermittler fanden an Gegenständen am Fundort des Skeletts von Peggy in Thüringen DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt. Dies stellt eine Fülle neuer Fragen.
DNA-Spur

Ist der NSU-Terrorist Peggys Mörder?

Der seit 2001 ungeklärte mutmaßliche Mordfall Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg hat eine dramatische Wendung genommen: Die Ermittler fanden an Gegenständen am Fundort des Skeletts von Peggy in Thüringen DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt. Dies stellt eine Fülle neuer Fragen.

Die Entdeckung von DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt am Fundort der ermordeten Schülerin Peggy konfrontiert die Ermittler mit einer Fülle neuer Fragen. „Es gibt eine Vielzahl von Aufgaben“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel in Bayreuth. „Wir müssen erstmal sortieren, in welcher Reihenfolge wir das abarbeiten.“ Kurz zuvor war bekanntgeworden, dass am Fundort der Skelettteile in Thüringen Genmaterial von Böhnhardt entdeckt worden war. Dieses habe sich an einem Gegenstand befunden. Ob es aber einen direkten Zusammenhang zu dem damals neunjährigen Mädchen gibt, blieb zunächst weiter unklar.

Geprüft werden müsse unter anderem, ob eine Verunreinigung zu dem DNA-Treffer geführt haben könnte, sagte Potzel. Dazu müsse auch geklärt werden, in welchen Räumen die Leiche Böhnhardts, die Skelettteile von Peggy und die Fundstücke im Fall des Mädchens untersucht worden waren. Er rechne auch nicht damit, dass die Ermittlungsbehörden noch am Freitag neue Ergebnisse präsentieren können.

Laut einem Bericht des BR kann eine Vermischung der DNA-Spuren jedoch weitgehend ausgeschlossen werden. Die DNA von Böhnhardt haben Rechtsmediziner des Landeskriminalamts in München untersucht. Entgegen anders lautender Medienberichte waren die Rechtsmediziner in Jena nur im Fall der gefundenen Leiche von Peggy beteiligt und nicht bei der jetzt gefundenen Spur des NSU-Terroristen.

Juli 2016: Peggys Skelett in Thüringen gefunden

Die damals neun Jahre alte Peggy war am 7. Mai 2001 im oberfränkischen Lichtenberg (Landkreis Hof) auf dem Heimweg von der Schule verschwunden. Erst am 2. Juli 2016 hatte ein Pilzsammler Teile ihres Skeletts in einem Waldstück nahe dem Ort Rodacherbrunn im Saale-Orla-Kreis in Thüringen gefunden – nur rund 15 Kilometer vom Heimatort des Mädchens entfernt. Mehrfach hatte die Polizei anschließend den Fundort abgesucht, weil das Skelett nach Angaben der Ermittler nicht vollständig gewesen war. Potzel äußerte sich nicht dazu, ob die fehlenden Stücke und der auch vermisste Schulranzen des Kindes inzwischen aufgetaucht seien.

Klar ist für die Ermittler, dass der Fundort der Skelettteile nicht der Tatort war. Wie lange Peggy nach dem Verschwinden noch gelebt hat, war aber unklar. Die Knochen seien Peggy zuzuordnen, stellte Potzel klar. Offen blieb auch, wie lange die Skelettteile in dem Waldstück gelegen hatten.

Welche Rolle spielt der NSU-Terrorist im Mordfall Peggy?

Der Rechtsextremist Böhnhardt gehörte dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) an. Mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe soll er jahrelang unerkannt gemordet haben – hauptsächlich Türken. Mundlos und Böhnhardt töteten sich den Ermittlern zufolge im November 2011 nach einem Banküberfall, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Zschäpe stellte sich der Polizei. Seit Mai 2013 muss sie sich vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten.

Nun ist offen, ob der Prozess wie geplant fortgesetzt wird. Für diese und kommende Woche sind keine Verhandlungstermine angesetzt. Mehrere Anwälte von Angehörigen der NSU-Opfer und Mitglieder diverser Untersuchungsausschüsse in Landtagen und im Bundestag haben schon Fragen aufgeworfen. Dabei geht es etwa darum, was Zschäpe zum Fall Peggy sagen könnte, ob es Zusammenhänge mit Vorwürfen des Kindesmissbrauchs gibt und ob alle ungeklärten Fälle, bei denen Kinder und Menschen mit Migrationshintergrund zu Tode gekommen seien, mit der DNA der mutmaßlichen NSU-Terroristen abgeglichen werden.

Zschäpe-Nebenkläger kündigen Beweisanträge an

Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, ein Vertreter der Nebenklage, kündigte einen neuen Beweisantrag im NSU-Prozess an. Dabei sollen Einzelheiten über Kinderporno-Dateien untersucht werden, die sich auf einem Computer von Zschäpe befanden, den aber auch Böhnhardt benutzt haben könnte. Die Staatsanwaltschaft Zwickau hatte das Verfahren wegen dieser Dateien 2013 eingestellt, weil die Strafe dafür im Vergleich zu den Strafen für die terroristischen Taten „voraussichtlich nicht beträchtlich ins Gewicht“ gefallen wäre. Im ausgebrannten NSU-Wohnmobil wurden zudem Kindersachen gefunden, deren Herkunft bis heute unklar ist. Auch an diesen könnten nun DNA-Spuren gesucht werden.

Der Nebenklage-Vertreter Daimagüler forderte die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, auf, sich zu den neuen Erkenntnissen im Fall Peggy zu äußern. „Ich würde mir wünschen, dass Frau Zschäpe auch in diesem Fall an der Aufklärung mitwirkt und auspackt, was sie dazu weiß“, sagte er.

Ich würde mir wünschen, dass Frau Zschäpe auch in diesem Fall an der Aufklärung mitwirkt und auspackt, was sie dazu weiß.

Mehmet Daimagüler, Nebenklage-Anwalt

Der Münchner Rechtsanwalt Yavuz Narin, ebenfalls ein Vertreter von Nebenklägern, meinte, im Umfeld des NSU seien „mehrere Personen mit Sexualstraftaten an Kindern in Erscheinung getreten“. So habe einer der mutmaßlichen NSU-Waffenbeschaffer Böhnhardt des Mordes an einem Buben in Jena bezichtigt. Ein neun Jahre alter Junge war im Juli 1993 tot am Saale-Ufer in Jena entdeckt worden. Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, war der damals 15-jährige Böhnhardt ins Visier der Ermittler geraten und als Zeuge vernommen worden. In den Prozessakten fänden sich weitere Namen von Männern, die zum Freundeskreis Böhnhardts zählten und zu denen es Hinweise auf Kindesmissbrauch gebe. Narin verwies außerdem auf den früheren Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“, Tino Brandt, der wegen Missbrauchs von Buben im Gefängnis sitzt. Narin vertritt im NSU-Prozess die Familie eines in München ermordeten Geschäftsmannes.

Der spektakuläre Fall Peggy beschäftigt seit Jahren Ermittler und Öffentlichkeit. Eine Chronik der Ereignisse:

  • 7. Mai 2001: Die neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg verschwindet auf dem Heimweg von der Schule. Wochenlange Suchaktionen bleiben ohne Erfolg.
  • August 2001: Die Polizei nimmt einen geistig behinderten Mann fest. Er gibt an, sich an Peggy und drei weiteren Kindern sexuell vergangen zu haben.
  • 22. Oktober 2002: Die Ermittler präsentieren den 24-Jährigen als mutmaßlichen Mörder der Schülerin.
  • 7. Oktober 2003: Vor dem Landgericht Hof beginnt der Prozess.
  • 30. April 2004: Der geistig behinderte Mann wird wegen Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt.
  • 17. September 2010: Ein wichtiger Belastungszeuge widerruft seine Aussage und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden.
  • 4. April 2013: Der Anwalt des geistig behinderten Mannes beantragt die Wiederaufnahme des Falls.
  • 8. Januar 2014: Auf dem Friedhof Lichtenberg öffnen die Ermittler ein Grab. Sie vermuten, dass bei einer Beerdigung 2001 Peggys Leiche dort abgelegt wurde. Doch sie finden keine Hinweise.
  • 10. April 2014: Auf Anordnung des Landgerichts Bayreuth beginnt das Wiederaufnahmeverfahren.
  • 7. Mai 2014: Das Gericht beendet das Verfahren aus Mangel an Beweisen. Eine Woche später gibt es einen Freispruch für den geistig behinderten Mann.
  • 18. Februar 2015: Die Staatsanwaltschaft Bayreuth stellt ihre Ermittlungen ein. Ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wird aber aufrechterhalten, um mögliche Spuren weiterzuverfolgen.
  • 19. März 2015: Das Oberlandesgericht Bamberg entscheidet, dass der ursprünglich verurteilte Mann aus der Psychiatrie entlassen werden soll.
  • 3. Juni 2015: Die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ greift den Fall Peggy auf.
  • 16. Juni 2015: Ein ehemaliger Verdächtiger im Fall Peggy wird in einem anderen Fall wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt. Im Fall Peggy gilt er nicht mehr als tatverdächtig.
  • Mai 2016: Ein im Fall Peggy ehemals verdächtigter Mann fordert Schadenersatz von mehr als 20 000 Euro. Ermittler hatten 2013 auf der Suche nach dem verschwundenen Mädchen sein Grundstück in Lichtenberg metertief durchsuchen lassen. Die Ermittler hatten dabei zwar Knochenreste gefunden. Sie stammten aber nicht von Peggy.
  • 2. Juli 2016: Ein Pilzsammler findet in einem Wald im thüringischen Landkreis Saale-Orla Skelettreste.
  • 4. Juli 2016: Polizei und Staatsanwaltschaft teilen mit, dass die Knochen „höchstwahrscheinlich“ von Peggy stammen. Dies hätten erste rechtsmedizinische Untersuchungen und Erkenntnisse am Fundort ergeben.
  • 13. Oktober 2016: Polizeipräsidium Oberfranken und die Staatsanwaltschaft Bayreuth teilen mit, dass am Skelett des Mädchens DNA-Spuren des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt gefunden worden.