Die Union müsse laut Weber den Mittelweg zwischen Humanität und Kontrolle deutlich machen. (Bild: Imago/Manngold)
Zukunft der Union

Klares Profil, kein Populismus

Die Menschen suchen nach Sicherheit - solche Zeiten zwingen zu einem starken Profil. "Wenn wir das beherzigen, können es gute Zeiten für CDU und CSU sein", prophezeien Manfred Weber (CSU) und Jens Spahn (CDU) im Interview mit der "Welt".

Die Gesundheitsprämie vor zwölf Jahren – auch damals lagen CDU und CSU „in der Sache sehr weit auseinander“, erinnerte sich Jens Spahn, Finanzstaatssekretär in Berlin. Heute sei es eher die Sprache, die zum Zerwürfnis der Schwesterparteien geführt habe. Die Krise sei inzwischen so ernst, dass Mitglieder der CSU befürchten, die Union könne zerbrechen, sagte Manfred Weber, Fraktionschef der Konservativen im Europaparlament. Im Gespräch mit der Welt waren sich beide Politiker einig: nur mit klarem Profil und einer gemeinsamen Sprache lässt sich erfolgreich Wahlkampf machen. Denn während es beim letzten Mal um den Veggie-Day ging, drehen sich die Debatten laut Spahn dieses Mal „um Existenzielles“.

Willkommenskultur versus Grenzsicherung

Dabei seien sich die Schwesterparteien zu grundsätzlichen Regelungen in der Flüchtlingspolitik einig, sagte Spahn. So spricht sich die CSU für Zuwanderung vor allem aus dem westlichen christlichen Kulturkreis aus. Und auch die berufliche Qualifikation spiele bei der Integration eine entscheidende Rolle. Das unterstützte auch die CDU. Aber Spahn wies darauf hin, dass CSU und CDU aufpassen müssten, den anderen nicht absichtlich misszuverstehen. Damit sprach er den Vorwurf der CDU-Ministerpräsidentin des Saarlands, Annegret Kramp-Karrenbauer, an, die das letzte Papier der CSU zur Flüchtlingspolitik als „in Teilen grundgesetzwidrig“ beschrieb.

Horst Seehofer hat von Anfang an gesagt, wir brauchen Maß und Ziel, und vor allem müssen wir wieder Recht und Ordnung an den Grenzen durchsetzen.

Manfred Weber

Weber ging auf den Kern des fundamentalen Streits ein. Es gehe vordergründig nicht um das Management der Flüchtlingspolitik, sondern um die Frage, ob der Staat in der Lage sei, künftig Regeln wieder durchsetzen zu können. Während in den ersten Herbstwochen 2015 – als tausende Flüchtlinge nach Deutschland strömten – die CSU bereits als „warnende Stimme“ die Ordnung an den Grenzen durchzusetzen versuchte, baute die CDU auf den „Willkommens“-Aspekt. Entscheidend für einen Sieg der Union in der kommenden Bundestagswahl sei deshalb zu zeigen, dass sie die Kraft habe, Recht und Ordnung sowie Orientierung und Sicherheit für die Bürger zu gewährleisten.

Wir sollten uns an dem Gauck-Wort orientieren: Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt.

Jens Spahn

Dazu öffnete das Statement der Bundeskanzlerin nach den verlorenen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern die Türen. Das schlechte Abschneiden der CDU habe wohl auch mit ihrer Flüchtlingspolitik zu tun, in der die Regierung, aber auch sie selbst in der Vergangenheit „nicht alles richtig gemacht“ hätte, gab die Kanzlerin zu.

Aus Flüchtlingspolitik wird Machtfrage

Die Welt konfrontierte die Interviewpartner mit dem Vorwurf, dass die klare unterschiedliche Positionierung von Seehofer und Merkel in der Flüchtlingsfrage früh zur Machtfrage wurde. Und damit Korrekturen erschwerte. Weber gab zu, dass es in der CSU Einzelne gegeben habe, die „verbal immer noch eines draufgelegt hätten“. Spahn deutete darauf hin, dass die Debatte so emotional sei, dass viele Menschen bei den Fakten gar nicht mehr zuhörten. Viele Bürger glaubten zudem irrtümlich, die CDU wolle die Grenzen gar nicht kontrollieren.

„Das Konstrukt CDU/CSU ist genial“

Ein Umzug der CDU nach München, von dem Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident von Hessen, angeblich auf der letzten CDU-Präsidiumssitzung murmelte, komme laut Spahn allerdings nicht in Frage. „Die Immobilien sind dort heutzutage sehr teuer“, sagte er augenzwinkernd. Es sei jedoch an der Zeit, dass sich beide Schwesterparteien zusammenrauften, eine gemeinsame Sprache und vier oder fünf gemeinsame Themen im politischen Streit gegen SPD und Grüne fänden.

Die Konstruktion CDU und CSU hat sich in der Geschichte unseres Landes als genial erwiesen.

Manfred Weber

Unterschiede herauszuarbeiten sei derzeit wichtiger denn je. Denn gerade mit der Flüchtlingsfrage seien laut Spahn Themen hochgekommen, wie steigende Kriminalität, zu viele Zuwanderer in Parallelgesellschaften, die sich nicht integrieren wollen und Formen von radikalem Islam. Darauf erwarteten die Bürger Lösungen. Noch sei es aber nicht zu spät, Vertrauen und an die AfD verlorene Wähler zurückzugewinnen. Dazu müssten CDU und CSU seiner Meinung nach breiter kommunizieren und mit unterschiedlichen Schwerpunkten wahrnehmbar sein. Wenn Merkel und Seehofer als Team die Brandbreite der Debatte darstellen, sei das doch gut.

Wenn Merkel und Seehofer als Team die Brandbreite der Debatte darstellen, ist das doch gut.

Jens Spahn

Strategische Aufgabe der CSU sei dabei laut Weber die Einbindung des rechten, bürgerlichen Lagers, um die Menschen vom Rechtspopulismus fern zu halten. Auch die CDU müsse wieder stärker von rechts in die Mitte integrieren, sagte Spahn. Dabei würden allerdings keine Vorwürfe helfen, die CDU wäre rot-grün geworden. Die Menschen hätten die AfD auch nicht gewählt, weil sie ihre Positionen richtig fänden. Grund sei hingegen, dass sie ihr Unwohlsein zum Ausdruck bringen wollten, so Weber. Wenn die Union das aufgreife, sei die AfD überflüssig.

Eine gemeinsame Sprache

Damit das gelinge, müsse sie allerdings erst eine „gemeinsame Sprache“ finden. Sie müsse laut Weber den Mittelweg zwischen Humanität und Kontrolle deutlich machen. Dazu gehöre unter anderem eine klare Regelung, die das Versprechen der Kanzlerin garantiere, der Herbst 2015 wiederhole sich nicht.

Auch in den Punkten, dass Deutschland seine Identität und Grundkultur erhalte und für die Migrationskrise eine europäische Lösung gebraucht werde, seien sich die Schwesterparteien einig. Sollten die Flüchtlingszahlen wieder steigen, setzten sie sich zudem für das Konzept der Transitzonen ein. Auch in Sachen Abschiebungen müsse die Ausreisepflicht konsequenter durchgesetzt werden. Sowohl Spahn als auch Weber gaben sich optimistisch, dass zum Thema Obergrenze eine „gemeinsame Formulierung“ gefunden werde. Die kommenden Parteitage werden zeigen, ob Weber und Spahn Recht behalten.

Mehr zu Manfred Weber und Jens Spahn

Manfred Weber, 44, ist seit 2014 Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament. Gemeinsam mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat er in München ein europäisches Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Terrorbekämpfung vorgestellt. Beide CSU-Politiker betonen: „Wir setzen auf ein starkes Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.“ Lesen Sie mehr dazu: Gemeinsam gegen den Terrorismus.

Jens Spahn, 36, ist seit Juli 2015 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. In einem Zeitungsinterview spricht der CDU-Politiker Jens Spahn über die Flüchtlingspolitik und das Diskussionsthema Obergrenze. Sein Urteil: Ohne eine Begrenzung geht es nicht. Die von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr sei „noch immer eine sehr hohe Zahl“. Lesen Sie mehr dazu: „Sogar 200.000 wäre noch eine hohe Zahl“.