Willkommen im Land, das nur selten abschiebt: Besucher des Festivals Rock im Sektor in Düsseldorf mit "Welcome"-Schildern im September 2015. (Bild: Imago/Manngold)
Abschiebungen

Willkommen in Deutschland

Schon länger ist bekannt, dass die Bundesländer bei Abschiebungen von ausreisepflichtigen Ausländern sehr unterschiedlich vorgehen. Die deutlichen Differenzen bei den Rückführungen offenbaren nicht nur abweichende politische Haltungen gegenüber Migranten und dem Rechtsstaat, sondern auch eine hohe Fehlerzahl bei den Entscheidungen.

In ganz Deutschland gibt es 168.000 Ausreisepflichtige mit Duldung, rund 100.000 davon als abgelehnte Asylbewerber, weiteren 37.000 „fehlen“ die Reisedokumente. Insgesamt leben mehr als eine halbe Million abgelehnte Asylbewerber in Deutschland, drei Viertel von ihnen bereits seit mehr als sechs Jahren. Fast die Hälfte der 550.000 Abgelehnten besitzt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht – sie können also dauerhaft bleiben und bei ausreichender Integration nach acht Jahren sogar deutsche Staatsbürger werden. Ein Drittel verfügt über ein befristetes Aufenthaltsrecht.

Klar erkennbar ist anhand der Zahlen, die die Zeitung Die Welt jetzt veröffentlichte, dass überall, wo die Union über längere Zeit an der Regierung beteiligt war oder ist, Abschiebungen besser funktionieren. In allen Ländern, in denen Rot-Grün bis vor kurzem das Sagen hatte oder noch hat, laufen sie schlechter. Die großen Unterschiede zwischen den Ländern legen außerdem den Schluss nahe, dass bei den Gründen, die die abgelehnten Asylbewerber für eine Duldung anbringen, ein hoher Prozentsatz nicht der Wahrheit entsprechen kann. Im CSU-regierten Bayern ist nach den Daten die Wahrscheinlichkeit am geringsten, trotz fehlenden Asylgrunds noch eine Duldung zu erhalten.

Deutliche Unterschiede

In Bayern hatten zum Stichtag 30. Juni lediglich 9283 Ausländer eine solche Duldung, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht. Im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen wurden dagegen 46.080 Ausreisepflichtige geduldet, in Baden-Württemberg, bis März grün-rot, jetzt grün-schwarz regiert, sind es 36.058. Dahinter folgen das rot-grün regierte Niedersachsen mit 15.143 Duldungen, das rot-grün und seit März rot-grün-gelb regierte Rheinland-Pfalz mit 10.855. Dann kommen Bayern und das rot-schwarz regierte Berlin mit 8004 Geduldeten. Es folgen Hessen mit 7887, Sachsen mit 5752, Hamburg mit 5294, Schleswig-Holstein mit 4983, Brandenburg mit 4506, Sachsen-Anhalt mit 4195, Bremen mit 3213, Mecklenburg-Vorpommern mit 2929, Thüringen mit 2821 und das Saarland mit 1209 geduldeten Ausreisepflichtigen.

Bremen: 459 geduldete Ausreisepflichtige pro 100.000 Einwohner – Bayern: 72 pro 100.000 Einwohner.

Noch klarer wird es aber bei dieser Rechnung: In Relation zur Bevölkerung hat das rot-grün regierte Bremen die höchste Zahl, mit 459 ausreisepflichtigen Ausländern pro 100.000 Einwohner. Deutlich dahinter folgt Grün-Rot/Grün-Schwarz in Baden-Württemberg (330 pro 100.000 Einwohner), Rot-Grün in Hamburg (294), Rot-Grün-Gelb in Rheinland-Pfalz (265) und Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen (257). Die weiteren Plätze belegen Berlin (229), Niedersachsen (191), Mecklenburg-Vorpommern (183), Sachsen-Anhalt (182), Brandenburg (180), Schleswig-Holstein (171), Sachsen (140), Thüringen (128), Hessen (127), das Saarland (121) und mit deutlichem Abstand der Freistaat Bayern, der in Relation nur 72 pro 100.000 Einwohner duldet.

Die Rechtslage

Wird ein Ausländer „ausreisepflichtig“ – meist, weil sein Asylantrag abgelehnt wurde – muss er freiwillig das Land verlassen oder abgeschoben werden. Aus verschiedenen Gründen kann die Abschiebung ausgesetzt und eine vorübergehende Duldung ausgesprochen werden. Aus dem „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ wird dann nur noch der „Ausreisepflichtige“.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärte in der Welt die wenigen Duldungen im Freistaat mit möglichst effizienten Verwaltungsabläufen. Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, des zuständigen Verwaltungsgerichtes und der Ausländerbehörde fielen an einem Ort. „Das erspart unnötigen Schriftwechsel und Reisebewegungen“, so Herrmann. Zentrale Ausländerbehörden an den Erstaufnahmeeinrichtungen in jedem Regierungsbezirk und in den besonderen Rückführungseinrichtungen in Manching und Bamberg organisierten auch zentral die Rückführungen. „Sie beschaffen etwa die fehlenden Pass- oder Passersatzpapiere, sofort nachdem BAMF und Verwaltungsgericht entschieden haben.“

Die Folge: Wegen fehlender Reisedokumente gab es nur 5201 Duldungen in Bayern, im Gegensatz zu 28.920 Fällen in Baden-Württemberg. Auch bei der Duldung aus medizinischen Gründen kann etwas nicht stimmen: Nordrhein-Westfalen erteilte deshalb 657 Duldungen an Ausreisepflichtige, Bayern nur 135, Mecklenburg-Vorpommern keine. Eine Duldung aus dringenden persönlichen Gründen, wie der Beendigung der Schule oder der Betreuung kranker Familienangehöriger, wurde in Berlin 736 Mal erteilt, in Mecklenburg-Vorpommern nur ein Mal.

Die Hürden vor der Abschiebung

Die Zeitung Die Welt erklärt die Problematik der geringen Zahl der tatsächlich aus Deutschland abgeschobenen Migranten folgendermaßen:

Die nun vorliegenden Zahlen zeigen, dass die relativ wenigen Abschiebungen in Deutschland nicht nur den Schwierigkeiten geschuldet sind, vollziehbar Ausreisepflichtige außer Landes zu bringen. Viele Länder haben offenbar auch große Probleme damit, abgelehnte Asylbewerber und andere Ausreisepflichtige überhaupt erst einmal als ‚vollziehbar Ausreisepflichtige‘ zu kategorisieren.

Klar ist: Zum einen treffen die Polizisten, die die Abschiebungen ausführen, auf die angedeuteten Hindernisse wie untergetauchte Personen, fehlende Familienangehörige, Krankheiten, Schwangerschaften, fehlende Ausweise und vieles andere mehr. So wurde dem Bayernkurier aus nordrhein-westfälischen Polizeikreisen zugetragen, dass der häufigste Grund für gescheiterte Abschiebungen schlicht das Untertauchen sei. Man sei schon froh, „wenn bei einer Sammelabschiebung von 120 Personen wenigstens 60 bis 80 auch im Flieger sitzen“.

Der Tanz auf der Nase

Zum anderen sind aber die Grünen und Teile der SPD in den Landesregierungen nach wie vor nicht bereit, Abschiebungen konsequent umzusetzen. Stattdessen sprechen sie trotz einer Ausreisepflicht häufiger eine Duldung aus. Das zeigt sich deutlich an den genannten Zahlen. Daraus ergibt sich eine Frage mit zwei Antwortmöglichkeiten.

Sind Rote und Grüne humaner in ihren Abschiebeentscheidungen oder sind sie zu nachgiebig? Die Antwort fällt eindeutig aus: Sie sind zu nachgiebig. Jeder abgelehnte Asylbewerber hat ein intensives rechtsstaatliches Verfahren durchlaufen, oft bis hin zur gerichtlichen Klärung. Diese Entscheidungen müssen in unserem Rechtsstaat akzeptiert werden. Fehler können in diesen Verfahren vorkommen, doch die Regel sind sie nicht.

Wer zulässt, dass abgelehnte Asylbewerber dem Staat derart auf der Nase herumtanzen, zerstört das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates.

Hans-Peter Friedrich, CSU

Hinzu kommt, dass man mit dieser inkonsequenten Haltung das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat und die Demokratie gefährdet, die Entscheidungsträger in den Asylbehörden als fehlerbehaftet abqualifiziert und die Ressourcen für die wirklich hilfsbedürftigen Asylbewerber an falscher Stelle verschwendet. Ein weiteres Problem: So eine laxe Haltung spricht sich schnell unter Asylbewerbern herum, die alle Mittel und Wege einsetzen werden, um möglichst in den nachgiebigen Bundesländern zu landen. „Wir brauchen eine Abschiedskultur“, forderte bereits Ende Juli der CDU-Innenexperte im Bundestag, Armin Schuster, in der Stuttgarter Zeitung.

Die zweifellos unangenehme Aufgabe Abschiebung muss vollzogen werden. Dafür brauchen wir eine andere gesellschaftliche und politische Haltung. Es darf keine Untat sein, jemanden abzuschieben.

Armin Schuster, CDU-Innenexperte

Wer kann abgeschoben werden?

Für die Bürger schwer zu verstehen und kaum zu glauben: Wirklich abgeschoben werden können nur die im Land lebenden 52.870 „vollziehbar Ausreisepflichtigen“. Nur bei ihnen gibt es keine rechtlichen oder faktischen Hürden mehr. Doch auch in diesen Fällen ist das immer noch nicht das Ende vom Lied, so schreibt es die Zeitung Die Welt: „Auch dann scheitern Rückführungsversuche noch regelmäßig, etwa weil der Ausreisepflichtige untertaucht, im Flugzeug Widerstand leistet oder doch wieder erkrankt.“