Kann sich so etwas wiederholen? Flüchtlingsstrom an der mazedonischen Grenze bei Idomeni Mitte März 2016. (Bild: Imago/Markus Heine)
Flüchtlingskrise

550.000 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland

In Deutschland leben mehr als eine halbe Million abgelehnte Asylbewerber. Es ist der statistische Beweis für das, was besonders CSU-Politiker schon seit Monaten anprangern: Die Asylverfahren dauern viel zu lange und die Abschiebepraxis ist nicht konsequent genug. Zugleich steigen die Migrantenzahlen wieder deutlich an.

In der Bundesrepublik leben zur Zeit nahezu fast 550.000 abgelehnte Asylbewerber. Das berichten mehrere Medien unter Berufung auf eine Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung. Der Antwort zufolge sind dabei drei Viertel von ihnen bereits seit mehr als sechs Jahren im Land. Ende Juni waren insgesamt 549.209 Asylbewerber im Land, die trotz der Ablehnung ihres Antrags in der Bundesrepublik geblieben sind.

Die meisten abgelehnten Asylbewerber stammen aus der Türkei

Die größte Gruppe stammt dem Bericht zufolge aus der Türkei. Knapp 77.600 der abgelehnten Asylbewerber kamen vom Bosporus nach Deutschland. Auf den Plätzen zwei und drei folgen abgelehnte Asylbewerber aus dem Kosovo (68.549) und Serbien (50.817).

Dabei wird klar: Ein abgelehnter Asylantrag führt nicht zwangsläufig dazu, dass der gescheiterte Bewerber Deutschland verlassen muss. Fast die Hälfte der 550.000 Abgelehnten besitzt demnach ein unbefristetes Aufenthaltsrecht – ein Drittel verfügte zumindest über ein befristetes Aufenthaltsrecht. Zudem gibt es derzeit 168.212 Ausländer, die bis auf weiteres in Deutschland geduldet werden – von ihnen sind rund 100.000 abgelehnte Asylbewerber. Knapp 37.000 Menschen dürfen derzeit in der Bundesrepublik bleiben, weil sie keine Reisedokumente besitzen.

CSU sieht sich in ihrer Kritik bestätigt

Sowohl die erschreckend hohe Zahl der trotz Ablehnung im Land lebenden Asylbewerber als auch die Tatsache, dass sehr viele von ihnen schon mehrere Jahre hier sind, sind schon seit Wochen zwei der Hauptkritikpunkte der CSU in Sachen Flüchtlingspolitik. So hatte unter anderem Bayerns Innenminister Joachim Herrmann eine wesentlich konsequentere Abschiebepraxis gefordert – zum Wohl jener, „denen wir aus nachvollziehbaren Gründen Asyl gewähren“. Bayern gehe in Sachen konsequenter Abschiebung dabei voran, betonte der CSU-Politiker. Im Freistaat sei die Zahl der Abschiebungen in den letzten Monaten „signifikant gestiegen“ – bis zum Juli waren es mehr als 2000, neue Zahlen sollen in den kommenden Wochen vorgelegt werden.

Zusätzlich fordern Unions-Innenpolitiker in Berlin, dass bei Flüchtlingen, die ohne Dokumente einreisen, deren Handydaten ausgelesen werden sollen, um etwas über die Herkunft zu erfahren – und sie gegebenenfalls in ihr sicheres Herkunftsland zurückschicken zu können.

Wer zulässt, dass abgelehnte Asylbewerber dem Staat derart auf der Nase herumtanzen, zerstört das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates.

Hans-Peter Friedrich (CSU)

Und auch auf die jetzt bekannt gewordenen Zahlen gibt es bereits erste Reaktionen: Der Vize-Fraktionschef der Union im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, forderte eine dringende Reform der Abschieberegeln. „Wer zulässt, dass abgelehnte Asylbewerber dem Staat derart auf der Nase herumtanzen, zerstört das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates“, sagte der CSU-Politiker. Die Rechtsvorschriften, so der frühere Bundesinnenminister, müssten „dringend geändert werden“.

Polizei unterstützt CSU-Forderung

Unterstützung erhalten die Christsozialen von der Gewerkschaft der Polizei. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, übte scharfe Kritik an der Abschiebepraxis in Deutschland. Es gebe hierzulande eine „regelrechte Abschiebeverhinderungsindustrie“, sagte er der Bild. Er warf „Anwälten und Organisationen“ vor, die rechtmäßige Rückführung abgelehnter Asylbewerber „systematisch“ zu verhindern. Namentlich kritisierte er die Organisation „Pro Asyl“. Diese systematische Verhinderung müsse sich „dringend ändern“, so der Gewerkschafter. In Deutschland gebe es derzeit 215.000 Ausreisepflichtige – und diese „müssten nun auch ausreisen“.

Migrantenzahlen steigen wieder

Nach dem deutlichen Rückgang zu Jahresbeginn steigen die Asylbewerberzahlen in der Europäischen Union wieder. Im zweiten Quartal beantragten 305.700 Menschen erstmals Schutz in der EU, 61 Prozent davon in Deutschland – das sind immerhin schon 187.000. Dies meldete die Statistikbehörde Eurostat am Donnerstag in Luxemburg. Die Zahlen waren mit dem großen Flüchtlingsandrang vor einem Jahr stark gestiegen, auf 426.000 Asylbewerber im letzten Quartal 2015. Zu Jahresbeginn wurden dann noch 287.100 registriert. In der Zeit von April bis Juni nahm die Zahl nun wieder um sechs Prozent zu.

Auf Platz zwei folgte das EU-Außengrenzen-Land Italien mit gerade einmal 27.000 vor Frankreich mit 17.800. In Ungarn stellten trotz der sehr restriktiven Budapester Flüchtlingspolitik zwischen April und Juni 14.900 Menschen einen Asylantrag. Das Land liegt damit auf Platz vier vor Griechenland mit 12.000 Asylanträgen. Die beiden Staaten hatten im zweiten Quartal die höchsten Steigerungsraten: Griechenland 132 Prozent und Ungarn 118 Prozent. Damit wird auch nachvollziehbar, warum Ungarns Regierungschef Viktor Orban die Grenzen seines Landes sichern wollte.

Deutschland registriert auch gemessen an der Einwohnerzahl viel mehr Asylbewerber als die EU-Partner: Im zweiten Quartal waren es rechnerisch 2273 je eine Million Einwohner. Danach folgen Ungarn mit 1517 und Österreich mit 1241. Die meisten Schutzsuchenden kommen immer noch aus dem Bürgerkriegsland Syrien: Im zweiten Quartal waren es 90.500. Aus Afghanistan stammten 50.300 Asylbewerber, aus dem Irak 34.300. Damit kamen insgesamt fast 60 Prozent aller Antragsteller aus diesen drei von Krieg und Zerstörung gezeichneten Ländern.

(dpa/dos)