Bittere Niederlage: Frank Henkel und Angela Merkel nach der CDU-Präsidiumssitzung im Konrad-Adenauer-Haus. (Bild: Imago/Jürgen Heinrich)
Angela Merkel

Noch keine Kursänderung

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unter dem Druck der schweren CDU-Niederlagen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern Fehler eingestanden. Sie machte aber auch deutlich, dass sie von ihrer grundsätzlichen Linie in der Flüchtlingspolitik nicht abrücken werde. Dennoch besteht Hoffnung auf eine Einigung mit der CSU in der Flüchtlingsfrage.

Merkel räumte ein, der Flüchtlingszuzug 2015 sei „vorübergehend außer Kontrolle“ geraten – und bestätigt damit eine CSU-Position der vergangenen Monate. Schon Monate vor dem Ansturm hatte es entsprechende Warnungen aus Bayern gegeben. „Die Wiederholung dieser Situation will niemand, auch ich nicht“, machte Merkel jetzt klar. Die Kanzlerin sagte nach den Sitzungen der Spitzengremien ihrer Partei, für die CDU-Verluste in Berlin habe es landespolitische Gründe gegeben, „aber nicht nur“. Eine Ursache sei, dass Richtung und Ziel der Flüchtlingspolitik nicht ausreichend erklärt worden seien. Dies wolle sie nun nachdrücklicher als bisher tun. „Ich bin Parteivorsitzende. Ich drücke mich nicht vor der Verantwortung“, sagte Merkel. „Wir haben in den vergangenen Jahren weiß Gott nicht alles richtig gemacht.“ Deutschland sei „nicht gerade Weltmeister bei der Integration“. Zugleich erklärte die Kanzlerin: „Deutschland wird sich verändern, so wie wir uns alle verändern, wenn wir nicht gerade aus Stein sind.“

Distanz zu „Wir schaffen das“ – ohne wirklich davon abzurücken

In einem vorab veröffentlichten Teil eines Interviews mit der Wirtschaftswoche sagte Merkel zudem über ihren umstrittenen Satz „Wir schaffen das“:

Er ist Teil meiner politischen Arbeit, weil ich davon überzeugt bin, dass wir ein starkes Land sind, das auch aus dieser Phase gestärkt herauskommen wird. Er ist Ausdruck einer Haltung, wie sie sicher viele aus ihrem beruflichen und privaten Leben kennen. Manchmal denke ich aber auch, dass dieser Satz etwas überhöht wird, dass zu viel in ihn geheimnist wird. So viel, dass ich ihn am liebsten kaum noch wiederholen mag, ist er doch zu einer Art schlichtem Motto, fast zu einer Leerformel geworden und die Diskussion um ihn zu einer immer unergiebigeren Endlosschleife.

CSU-Chef Horst Seehofer hatte immer erklärt, dass er sich diesen Satz „beim besten Willen nicht zu eigen“ machen könne. Jetzt sagte Merkel in dem Interview: „Manch einer fühlt sich zudem von diesem Satz provoziert. So war der kurze Satz natürlich nie gemeint, sondern anspornend, dezidiert anerkennend. Und zwar weil ich genau weiß, dass wir alle in unserem Land gemeinsam sehr viel zu schultern haben, aber dass sich das in den übertrieben oft wiederholten drei Wörtern nicht sofort abbildet.“ Sie stehe aber weiter zu dem Satz.

Der Dissens bleibt, doch die Positionen nähern sich

Die Kanzlerin betonte zudem, sie stehe weiter zu ihren Entscheidungen in der Flüchtlingskrise. Diese seien in der Abwägung „absolut richtig“ gewesen. Bereits am Morgen nach der Berlin-Wahl hatte CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärt: „Der Ruf nach einem Kurswechsel ist schwer nachvollziehbar. Die Regierung hat alles getan, damit sich das vergangene Jahr nicht wiederholt.“

Die von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen im Jahr lehnt Merkel weiterhin ab. Es gelte, die Zahl zu reduzieren, „aber nicht durch eine statische Zahl“, sagte sie nach einer Sitzung der CDU-Gremien am Montag in Berlin. Den Unterschied zur Position der CSU, die eine Wiederholung des Flüchtlingsstromes befürchtet, leugnet die Kanzlerin nicht. Deshalb müsse mit der CSU „an dieser Stelle weiter gearbeitet“ werden. „Gemeinsam sind wir mit Sicherheit stärker, als wenn wir die Differenzen immer in den Vordergrund stellen“, so die Kanzlerin. Merkel betonte mit Blick auf Sicherheitspakete, Integration und Abschiebungen, „dass uns sehr, sehr viele Dinge einen“.

Die Reaktionen

Die CSU hat auf die Äußerungen der Kanzlerin zurückhaltend reagiert. Die Selbstkritik wird begrüßt. Ohne Taten blieben die Eingeständnisse Merkels allerdings wirkungslos, so ist der Tenor.

Es wird nicht ausreichen, den Menschen zu sagen, wir haben alles richtig gemacht, wir müssen es euch nur besser erklären. Wir brauchen auch eine bessere Politik.

Horst Seehofer

CSU-Chef Horst Seehofer lobte vor der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion in Kloster Banz, dass sich Merkel in Berlin von ihrer Aussage „Wir schaffen das“ distanziert habe. Die Erklärung der Bundeskanzlerin sei erfreulich und bemerkenswert, aber noch nicht die Wende in der Flüchtlingspolitik. Seehofer forderte die Schwesterpartei erneut zum Handeln auf. „Es wird nicht ausreichen, den Menschen zu sagen, wir haben alles richtig gemacht, wir müssen es euch nur besser erklären“, sagte er. „Wir brauchen auch eine bessere Politik.“ Die Union müsse obendrein die Menschen durch Zukunftsvisionen überzeugen und die vereinbarten Beschlüsse vorantreiben. „Es ist ja nicht nur die Zuwanderungsfrage, es geht von Steuern, Finanzen, Rente, Sicherheit bis hin zu Europa und Wirtschaft.“ Seehofer sagte, er habe mit der Kanzlerin vereinbart, sich in den kommenden vier Wochen inhaltlichen Fragen zuzuwenden: „Dann werden wir hoffentlich so um Mitte Oktober eine gemeinsame Plattform haben.“

Der CSU-Fraktionsvorsitzende Thomas Kreuzer wertete die Aussagen Merkels als „einen ersten Schritt“. Nun brauche es ein Konzept und man müsse Taten folgen lassen. Im Bayerischen Rundfunk sagte Kreuzer: „Wir hatten nie Krieg, sondern wir haben diskutiert, wie wir uns in der Sache in einem wichtigen Thema aufstellen.“

Ob Obergrenze, Richtwert oder Orientierungsgröße – CDU und CSU haben das gleiche Ziel: die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren und zu begrenzen.

Gerda Hasselfeldt

Die Chefin der CSU-Bundestagsgruppe, Gerda Hasselfeldt, mahnte beide Parteien zur Einigung. „In dem einem Punkt, wo CDU und CSU nicht beisammen sind, müssen wir jetzt zügig eine gemeinsame Sprachregelung finden“, sagte sie der Rheinischen Post. „Ob Obergrenze, Richtwert oder Orientierungsgröße – CDU und CSU haben das gleiche Ziel: die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren und zu begrenzen.“ Hasselfeldt schlug einen Kompromiss vor: Die Obergrenze werde nicht so verstanden, dass der Erste, der nach 200.000 Flüchtlingen ankomme, nicht mehr ins Land dürfe. „Darüber kann man, glaube ich, reden.“ Die CSU habe die Zahl 200.000 nicht willkürlich in die Debatte eingeführt, betonte Hasselfeldt. Diese orientiere sich an Erfahrungswerten der vergangenen Jahre, wie viele Menschen man aufnehmen und integrieren könne. Ob die CSU am Ende auf einer festen Zahl beharren werde, ließ sie offen. Das im Grundgesetz in Artikel 16a verankerte Asylrecht müsse dafür jedenfalls nicht geändert werden. Das bestätigte auch Unionsfraktions-Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU). „Aus meiner Sicht ist die Obergrenze ein Stück weit auch Symbol, dass wir nicht noch einmal Verhältnisse von 2015 haben.“

Die Obergrenze ist keine Form der Rechthaberei. Der Begriff ist ein Symbol dafür, dass das bisherige System nicht funktioniert und dass es sich ändern muss.

Markus Söder

Bayerns Finanzminister Markus Söder lobte in der Welt ebenfalls Merkels Worte: „Ein Kurswechsel kündigt sich an. Die Aussagen der Kanzlerin sind schon beachtlich. Das ist ein richtiger Ansatz.“ Er mahnte jedoch: „Aber natürlich müssen den Worten Taten folgen.“ Pannen bei der Passkontrolle, Urlaub von anerkannten Asylbewerbern in ihren Heimatländern, wo sie angeblich verfolgt würden, sowie die weiter ineffektive Kontrolle der Grenzen seien nur einige der offenen Baustellen. „Zudem brauchen wir ein Programm für schnelle Rückführungen“, so Söder. „Die Menschen spüren, dass sich Deutschland verändert hat. Wenn sich in bestimmten Stadtvierteln Parallelgesellschaften bilden und Klans regieren, ist das der Beweis, dass die bisherige Integrationspolitik schon vor der Flüchtlingskrise keine Erfolgsgeschichte ist. Wir müssen gemeinsam, aber auch entschieden und entschlossen zeigen, dass wir Deutschland als Deutschland erhalten wollen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.“ Zur Obergrenze erklärte der Minister: „An sich wäre es einfach, wenn nur das europäische Recht angewendet und Dublin umgesetzt würde. Leider klappt das nicht.“ Die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs sei nicht verhandelbar. „Die Obergrenze ist keine Form der Rechthaberei. Der Begriff ist ein Symbol dafür, dass das bisherige System nicht funktioniert und dass es sich ändern muss.“

Die Obergrenze drückt zwei Dinge aus. Erstens: Unsere Integrationsfähigkeit hat Grenzen. Zweitens die Entschlossenheit zu sagen: bis hierher und nicht weiter.

Hans-Peter Friedrich

Auch der stellvertretende CSU-Vorsitzende, Bundesagrarminister Christian Schmidt, fand die Worte der Kanzlerin angemessen. „Das halte ich für einen hochrespektablen Akt“, so Schmidt in der Deutschen Presse-Agentur. Er sei dankbar, dass es „eine realistische Einschätzung“ und „also ein Stück Ehrlichkeit“ der CDU-Chefin über die Situation ihrer Partei nach den jüngsten Wahlen gebe.

Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich begrüßte, dass Merkel die Notwendigkeit gesehen habe, in der Flüchtlingspolitik ihre Kommunikation zu verändern. „Aber es ist so viel Vertrauen verloren gegangen, dass man auch die Politik verändern muss“, sagte er Focus Online. „Es gibt aber Zweifel an ihrer Entschlossenheit, wenn sie eine Obergrenze weiterhin ablehnt.“ Eine Obergrenze drücke zwei Dinge aus, erklärte Friedrich weiter. „Erstens: Unsere Integrationsfähigkeit hat Grenzen. Zweitens die Entschlossenheit zu sagen: bis hierher und nicht weiter. Beides ist zwingend notwendig, um Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen.“

Kurswechsel faktisch längst vollzogen

Nach Ansicht des innenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer, hat es in den vergangenen zwölf Monaten bei der CDU in der Flüchtlingsfrage ohnehin längst einen Kurswechsel gegeben. Im „Stakkato-Stil“ seien zahlreiche Gesetze verändert worden, sagte der CSU-Politiker. Nach den Verlusten der CDU bei den Landtagswahlen 2016 sei er hoffnungsvoll, dass sich die „Warnrufe“ positiv auswirkten. „Und zwar dahingehend, dass sich die Kommunikation der Bundesregierung deutlich verändert und auch die Kanzlerin deutlich zu verstehen gibt, dass sie verstanden hat. Das ist das, was die Bevölkerung in Deutschland auch am stärksten erwartet.“