Alle wollen nach Europa, die meisten nach Deutschland: Flüchtlingscamp Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze im März nach der Schließung der Balkanroute. (Bild: Imago/Christian Mang)
Asylbewerber

Ohne Obergrenze geht es nicht

Ein gutes Jahr nach dem Flüchtlings-"Signal" von Budapest gibt es mehrere ungelöste Probleme. So erschweren hunderttausende illegal Eingereiste den Überblick über die genaue Zahl der Flüchtlinge. Ein weiteres Problem: Die Kosten der Flüchtlingskrise sind unüberschaubar. Die CSU plädiert auch deshalb weiter für eine Begrenzung des Zustroms – und hat dabei 60 Prozent der Deutschen auf ihrer Seite.

Die hohe Zahl der illegal Eingereisten lässt vermuten, dass die jüngste Behauptung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, man habe jetzt die Asylbewerber größtenteils mit Foto und Personendaten erfasst und polizeilich überprüft, etwas gewagt ist. Experten des „Overseas Development Institute“ in London verwiesen jetzt in einer Studie auf die Differenz zwischen der Zahl der registrierten Flüchtlingsankünfte und der Zahl der gestellten Asylanträge. So seien im vergangenen Jahr 1,1 Millionen Flüchtlingsankünfte in Europa registriert worden, gleichzeitig wurden aber 1,7 Millionen Anträge auf Asyl gestellt. Daraus schließt die Denkfabrik, dass viele Asylbewerber auf anderem Wege – wie beispielsweise versteckt in Lastwagen oder mit einem Besuchervisum – nach Europa eingereist sein müssen. Das britische Institut prophezeite außerdem, dass sich der Zustrom auf andere Routen verlagern werde. Für das Jahr 2016 rechnen die Experten mit der Ankunft von 330.000 Flüchtlingen. Die Zahl der erwarteten Asylanträge liege aber mit 890.000 deutlich höher. Dabei sei bereits berücksichtigt, dass sich in Deutschland mehrere Hunderttausend Asylanträge angestaut hätten.

Ich kann nicht verstehen, warum das Bundesamt, das jeden Pass in Ruhe anschauen kann, diese gefälschten Pässe nicht erkannt hat.

Joachim Herrmann

Auch aus Sicherheitskreisen ist zu hören, dass viele Asylbewerber offenbar mit gefälschten Pässen oder Identitäten eingereist seien. Außerdem sei die Identität der großen Zahl von Asylbewerbern ohne Ausweise oft nicht zweifelsfrei zu klären. In Bayern sind nach Angaben von Innenminister Joachim Herrmann bei Stichproben von Flüchtlingspässen Fälschungen und nicht zutreffende Identitäten in einem erheblichen Anteil entdeckt worden. „Das können wir angesichts der aktuellen Gefahren mit der Sicherheitslage in unserem Land nicht vereinbaren“, sagte Herrmann dem Sender rbb. Nach rbb-Recherchen stellten bayerische Fahnder allein in Garmisch-Partenkirchen bei einer Stichprobe 19 gefälschte Pässe sicher. Die Dunkelziffer sei viel höher, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in München. Innenminister Herrmann übte danach schwere Kritik an der Arbeitsweise des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF): „Ich kann nicht verstehen, warum das Bundesamt, das jeden Pass in Ruhe anschauen kann, diese gefälschten Pässe nicht erkannt hat.“ Er wolle das Thema in der kommenden Woche mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) besprechen, „weil es so nicht akzeptabel ist“. Auch andere Bundesländer misstrauen nach rbb-Informationen den Identitätsprüfungen des BAMF. In Mecklenburg-Vorpommern überprüfe man derzeit rund 3300 Pässe, unter denen sich 140 gefälschte syrische Pässe fanden. Das Land Brandenburg will rund 18.000 Datensätze des BAMF beschlagnahmen lassen. Man wolle so erfahren, wer genau ins Land gekommen sei, sagte Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. Es handele sich um die Unterlagen jener Flüchtlinge, die von September bis Dezember 2015 nach Brandenburg gekommen seien. Das BAMF hat die Vorwürfe zurückgewiesen.

Mehrheit der Deutschen will Obergrenze

Die Mehrheit der Deutschen möchte daher wie die CSU den Zuzug von Flüchtlingen durch eine Obergrenze beschränken. Einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid für das Magazin Focus zufolge sind 60 Prozent der Bundesbürger für eine Obergrenze, 35 Prozent dagegen. Mit 81 Prozent besonders hoch sei die Zustimmung unter Anhängern der AfD, berichtete das Magazin am Freitag vorab. Von den Unionsanhängern sprechen sich demnach 64 Prozent für eine Obergrenze aus, bei FDP-Wählern liegt die Zustimmung bei 57 Prozent, auch 54 Prozent der Linken-Wähler und 52 Prozent der SPD-Anhänger sind dafür. Mehrheitlich gegen eine feste Obergrenze für den Zuzug von Migranten seien nur die Anhänger der Grünen. Emnid befragte am Dienstag und Mittwoch dieser Woche insgesamt 1002 Personen.

Noch eindrucksvoller ist eine Dimap-Umfrage für den Bayernkurier: 74 Prozent der Deutschen sind der Meinung, die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge sollte auf Dauer begrenzt werden. Das gleiche Stimmungsbild ergab sich in Bayern.

Wir werden auf die Obergrenze nicht verzichten.

Horst Seehofer

Nach Ansicht der CSU sollte eine Obergrenze bei 200.000 Neuankömmlingen pro Jahr liegen. „Wir werden auf die Obergrenze nicht verzichten“, machte jetzt CSU-Chef Horst Seehofer im Nachrichtenmagazin Der Spiegel klar. „Da geht es schlicht und einfach um unsere Glaubwürdigkeit.“ Seehofer hatte bereits vor Monaten verdeutlicht, dass es nicht um das Wort Obergrenze gehe, sondern um die Begrenzung und Kontrolle des Migrantenstroms – wie immer das auch aussehen werde. Das Asylrecht im Grundgesetz ist zwar nicht begrenzbar, es gilt allerdings auch nur für einen sehr kleinen Bruchteil der Neuankömmlinge. Die meisten Migranten genießen nur eine der verschiedenen Formen der Duldung. Eine Begrenzung ihrer Zahl wäre nach Meinung von Juristen durchaus möglich.

Richtig ist aber auch, dass sich die Politik ändern muss, wenn wir wieder Vertrauen zurückgewinnen wollen.

Horst Seehofer

Er wisse zwar, dass Dauerstreit der Union schade, sagte der bayerische Ministerpräsident weiter. „Richtig ist aber auch, dass sich die Politik ändern muss, wenn wir wieder Vertrauen zurückgewinnen wollen.“ Seehofer bekräftigte im Spiegel das Ziel, den Streit vor den Parteitagen von CSU und CDU im November beziehungsweise Dezember beizulegen – wollte aber keine Garantie abgeben, ob dies tatsächlich gelingen wird. Er verteidigte sich, ohne eine Einigung mit der Kanzlerin nicht auf dem CDU-Parteitag auftreten zu wollen. „Wenn Angela Merkel auf einem Parteitag der CSU aufträte und ich bei der CDU, obwohl wir bei den wesentlichen Koordinaten unserer Politik meilenweit auseinander lägen, wissen Sie doch, welchen Schaden das für die Union anrichten würde“, sagte er. Vorher müssten die inhaltlichen Differenzen geklärt sein – ob das gelinge, sei aber fraglich.

Die faktische Obergrenze

Beim EU-Gipfel in Bratislava sorgt unterdessen vermutlich eine Mehrheit der Staaten dafür, dass es faktisch zu einer Begrenzung kommen wird. Erste Signale deuten darauf hin, dass die EU ihre Außengrenzen ernster als bisher sichern will. Erwogen wird beispielsweise der rasche Aufbau eines europäischen Grenz- und Küstenschutzes, die Entsendung von 200 Beamten an die bulgarische Grenze zur Türkei und der Aufbau eines Einreise-Registrierungssystems namens Etias.

Daneben hat die Bundesregierung in den letzten Wochen ihre Bemühungen verstärkt, mit den Hauptherkunftsländern der Flüchtlinge Rücknahmeabkommen auszuhandeln, zuletzt mit Afghanistan. Hinzu kommen der umstrittene Türkei-Deal sowie viele Maßnahmen aus den auf Druck der CSU ausgehandelten Asylpaketen, etwa die erweiterte Liste der sicheren Herkunftsstaaten. All dies soll den Zuzug von Flüchtlingen weiter drosseln, kommt also de facto der gewünschten Obergrenze immer näher. Ein wichtiger Beitrag war auch die Schließung der Balkanroute durch einzelne Staaten wie Österreich, Ungarn, Slowenien und Mazedonien. Was in jedem Fall fehlt, ist jedoch ein deutliches öffentliches Signal der Bundeskanzlerin, dass man nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann.

Unklare Kosten der Migrantenkrise

Laut der britischen Studie des „Overseas Development Institute“ haben europäische Staaten seit 2014 mindestens 17 Milliarden Euro ausgegeben, um Flüchtlinge von der Einreise nach Europa abzuhalten. Wie viele Milliarden die Staaten aber ausgaben, um den Neuankömmlingen zu helfen, hat das Institut anscheinend nicht ermittelt. Dies ist allerdings auch schwierig: Allein für Deutschland gibt es wegen der unsicheren Datenlage zu den Flüchtlingen Schätzungen zwischen 20 bis 55 Milliarden Euro pro Jahr.

Unsicherheitsfaktoren sind zunächst schlicht die exakte Zahl der Migranten und die Zahl der in den nächsten Jahren noch Kommenden (inklusive Familiennachzug), die Zahl der in irgendeiner Form Aufenthaltsberechtigten sowie die Zahl der (späteren) Rückkehrer. Schwer zu kalkulieren sind auch die Chancen der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt. Weiter müssten die Kosten der Asylbewerber im Gesundheits-, Renten- und Sozialsystem (etwa bei Arbeitslosigkeit) ermittelt werden, die Kosten für Unterbringung und späteres Wohnen, die Kosten für Verpflegung, Ausstattung und Ausbildung, die Kosten der zusätzlichen Behördenarbeit, die Kosten für mehr Lehrer, Polizisten, Kindergärtner und Sozialarbeiter – und vieles andere mehr.

Eine ungesteuerte Zuwanderung bringt dem Land keine fiskalische Rendite, sondern kostet dauerhaft.

Michael Eilfort, Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft

All das müsste dann mindestens auch noch für die zweite Generation der Migranten berechnet werden. Die vielen Variablen machen eine Bilanz also fast unmöglich. Das Ifo-Institut versuchte es Ende 2015 dennoch und kam für das gleiche Jahr auf Aufwendungen für die Flüchtlingskrise von 21,1 Milliarden Euro. „Das schließt nun Unterbringung, Ernährung, Kitas, Schulen, Deutschkurse, Ausbildung und Verwaltung ein“, erklärte damals der Ifo-Experte Gabriel Felbermayr. „Eine ungesteuerte Zuwanderung bringt dem Land keine fiskalische Rendite, sondern kostet dauerhaft“, warnte auch die Stiftung Marktwirtschaft. Dies gelte selbst dann, wenn die Asylsuchenden rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden würden.

(dpa/Spiegel/avd)