Hier, genau zwischen Tisch und Fahrradständer, hat sich der Terrorist Mohammad Daleel in die Luft gesprengt und dabei 15 Menschen verletzt. Es handelt sich um den Freibereich einer Gaststätte. Im Hintergrund der Durchgang zur Reitbahn der Ansbacher Residenz, wo Daleel zuvor der Zugang zu dem Popkonzert verwehrt wurde. (Foto: Wolfram Göll)
Ferngesteuerter Terror

„Ich will heute Nacht ins Paradies kommen“

Ferngesteuerte „einsame Wölfe“ − das neue Terror-Phänomen wird sichtbar in den Protokollen der Online-Chats der Terroristen von Würzburg und Ansbach. Beide Täter standen bis unmittelbar vor der Tat in Kontakt mit fernen Instrukteuren, wurden angeleitet und angetrieben.

„Ihr liebt das Leben, und wir lieben den Tod.“ Der Satz fiel in der Al-Kaida-Bekennerbotschaft nach zehn Terrorbomben auf Madrider Vorortzüge am 11. März 2004. Es ist schwer, nicht daran zu denken, wenn man heute das Protokoll der Textbotschaften liest, die am vergangenen 18. und 24. Juli die Terroristen von Würzburg und Ansbach mit ihren Instrukteuren (in Saudi-Arabien?) austauschten. „Ich will heute Nacht ins Paradies kommen“, tippt Tage vor der Tat der angeblich 17-jährige und angeblich afghanische Flüchtling Riaz Khan A. seinem fernen Terror-Instrukteur ins Smartphone oder den Computer. „Jetzt erlangst Du das Paradies“, versicherte ihm der ferne Instrukteur per Chat-Botschaft am 18. Juli, unmittelbar bevor Riaz in der Regionalbahn bei Würzburg mit der Axt zur Tat schritt. Todesliebe und regelrechte Paradiesbesessenheit − ein so unbegreifliches wie durchgängiges Muster islamischer Terroristen. Westliche Gesellschaften werden darüber nachdenken müssen, woher solches offenbar verbreitetes Religionsverständnis kommt und wie dem in der zivilisierten Welt zu begegnen ist.

Neues Terror-Phänomen: Einsame Wölfe, aus der Ferne dirigiert mit dem Smartphone.

In den Chat-Protokolle, die die Süddeutsche Zeitung in Auszügen veröffentlicht hat, wird ein neues Terror-Phänomen sichtbar: islamistischer Terror, mit dem Smartphone dirigiert aus der Ferne. Die Terroristen von Würzburg und Ansbach handelten zwar alleine. Aber sie waren keine sogenannten einsamen Wölfe. Sie wurden ferngesteuert − ein neues Terror-Phänomen. Auch jenes 16-jährige Mädchen, das am 26.  Februar auf dem Bahnhof von Hannover mit dem Messer auf einen Polizisten einstach und ihn schwer verletzte, wurde offenbar von Leuten des Islamischen Staats aus der Ferne gelenkt und dirigiert.

Terror-Instrukteure wollen größtmögliches Blutbad

Über die Kontaktaufnahme zwischen den Terror-Tätern und ihren fernen Führungskräften sagen die Aufzeichnungen nichts aus. Aber einiges spricht für die Annahme, dass Riaz Khan A. in Würzburg-Ochsenfurt und der Syrer Mohammed D. in Ansbach von I.S.-Instrukteuren über Internet kontaktiert und rekrutiert wurden. Folgt man den vorliegenden Ausschnitten der Chat-Protokolle, ist dennoch gut möglich, dass beide Täter von vornherein mit Mordplänen auf sich aufmerksam gemacht haben. Die Instrukteure übernahmen dann die Rolle der Ratgeber und hatten dabei stets nur ein Ziel: Die beiden Terroristen sollten ein Blutbad anrichten, das so groß war wie möglich. Das zeigt folgender Austausch zwischen Riaz A. in Ochsenfurt und dem fernen I.S.-Schergen:

Instrukteur: „Mit welchen Waffen beabsichtigst du zu töten?“

Riaz A.: „Messer und Axt sind bereitgelegt.“

Instrukteur: „Bruder, wäre es nicht besser, es mit einem Auto durchzuführen?“

Riaz A.: „Ich kann nicht Auto fahren.“

Instrukteur: „Du solltest es lernen.“

Riaz A.: „Das Erlernen kostet Zeit.“

Instrukteur: „Der Schaden wäre auch erheblich größer.“

Chat-Kontakt bis unmittelbar vor der Tat

Dann fiel von dem angeblichen afghanischen Flüchtling jener Satz: „Ich möchte heute Nacht ins Paradies kommen.“ Er hatte es eilig. Das Protokoll nennt kein Datum für diesen Austausch. Für den Leser bleibt offen, ob er vor oder nach dem Terroranschlag von Nizza am 14. Juli stattfand. Sicher ist: Die fernen Terror-Instrukteure wollen Anschläge mittels Pkw oder Lkw sehen. Die Europäer werden mit weiteren Terrorangriffen wie in Nizza rechnen müssen.

Jetzt erlangst du das Paradies.

Mutmaßlicher I.S.-Instrukteur

Mit dem Paradies wurde es für Riaz A. Khan zumindest an diesem Tag nichts. Aber am Abend der Tat, dem 18. Juli, stand der Terrorist wieder in Chat-Kontakt mit seinem Instrukteur − bis unmittelbar vor Tatbeginn − und schickte ihm ein Bekennervideo: „Ich bin ein Gotteskrieger des Islamischen Staats. Ich werde euch mit meinem Messer töten und eure Köpfe mit der Axt spalten.“ Der Instrukteur riet ihm: „Nicht mit einem Messer. Mach es mit der Axt.“ Riaz A. bestieg den unterfränkischen Regionalzug und sendete eine letzte Botschaft: „Fang jetzt an.“ Die Antwort hat er vielleicht noch gesehen: „Jetzt erlangst du das Paradies.“ Der angeblich afghanische Flüchtling griff dann mit Messer und Axt Reisende an und verletzte vier von ihnen schwer – ein Blutbad „wie im Schlachthof“, wie es später von Zeugen hieß. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei hat den Täter, der auf der Flucht auch noch Polizisten angriff, später erschossen.

Einblick in fremdes Welt- und Religionsverständnis

Auch der Syrer Mohammed D. in Ansbach wurde von einem fernen Islamisten-Schergen per Online-Chat regelrecht ferngesteuert. Interessant: Der Islamische Staat bezeichnete ihn später als erfahrenen Kämpfer und „Soldat“. Die veröffentlichten Teile des Chat-Protokolls legen nahe, dass der Täter selber das Musikfestival „Ansbach Open 2016“ als Ziel für den Anschlag mit der Rucksackbombe vorgeschlagen hat. „Dieser Platz wird voll von Leuten sein“, sendete er beim Planungs-Chat. Antwort vom Instrukteur: „Töte sie alle auf einer großen Fläche, dass sie am Boden liegen.“

Vergiss das Fest, und gehe zum Restaurant. Mann, was ist mit dir los? Ich würde es wegen zwei Personen durchführen. Vertrau Gott, und lauf zum Restaurant los.

Mutmaßlicher I.S.-Instrukteur

Am Tag der Tat, dem 24. Juli, lief dann nicht alles wie geplant: Mangels Einlasskarte wurde der Syrer nicht auf das Festival-Gelände gelassen. Der Instrukteur griff ein und feuerte den offenbar unentschlossenen Täter an: „Such dir einen Platz, und tauch in die Menge ein. Durch die Polizei brechen, rennen, und tue es.“ Der Syrer muss dann gezögert haben: „Bete für mich. Du weißt ja nicht, was gerade mit mir passiert.“ War das Angst, Zweifel? Das vermutet der mit christlicher Denkweise aufgewachsene Leser. Aber womöglich zögerte der Syrer nur, weil er sich alles ganz anders vorgestellt hatte und jetzt nicht genug Opfer für seine Bombe sah. Enttäuschung? Das legt die Antwort aus der Ferne nahe: „Vergiss das Fest, und gehe zum Restaurant. Mann, was ist mit dir los? Ich würde es wegen zwei Personen durchführen. Vertrau Gott, und lauf zum Restaurant los.“ Mohammed D. hat gehorcht und zündete seine Bombe vor einer Weinstube nahe dem Festivalgelände: 15 Personen wurden verletzt, der Terrorist kam ums Leben.

NSA half bei Ermittlungen

Der US-Geheimdienst NSA hat den deutschen Sicherheitsbehörden nach einem Focus-Bericht maßgeblich bei den Ermittlungen zu den Anschlägen in Würzburg und Ansbach geholfen. Die US-Experten hätten codierte Nachrichten entschlüsselt, mit denen ein unbekannter Drahtzieher der Terrormiliz IS die beiden Attentäter über eine saudi-arabische Telefonkarte gesteuert habe, schrieb das Nachrichtenmagazin unter Berufung auf Ermittlerkreise. Deutsche Behörden seien technisch nicht in der Lage gewesen, die codierten Chats zwischen den Attentätern und dem IS-Koordinator zu knacken.

Vor wenigen Tagen hatte die saudi-arabische Botschaft in Berlin mitgeteilt, dass die beiden Attentäter keinen direkten Kontakt zu IS-Verbindungsleuten in Saudi-Arabien hatten. „In enger Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden konnte ermittelt werden, dass lediglich einer der Attentäter in Kontakt zu einem IS-Anhänger stand, der sich mit einer saudischen Telefonnummer in einem sozialen Netzwerk registriert hat“, hieß es in einer Mitteilung. Dieser IS-Kontaktmann halte sich aber nicht in Saudi-Arabien, sondern in einem vom IS kontrollierten Gebiet auf.

Erschreckend aufschlussreich

Die Chat-Protokolle jedenfalls sind so erschreckende wie aufschlussreiche Lektüre: Sie erlauben einen fast intimen Einblick in ein Welt- und Religionsverständnis, das in der westlichen zivilisierten Welt im Wortsinne unbegreiflich ist. Wenn die Fahndungsarbeit es erlaubt, sollten die Ermittlungsbehörden die Chat-Aufzeichnungen vollständig und in ganzer Länge veröffentlichen.