Schließt sich erstmals der CSU-Forderung nach einer Flüchtlings-Obergrenze an: SPD-Chef Sigmar Gabriel. (Foto: imago/Metodi Popow)
Wahlkampf

SPD-Chef fordert Flüchtlings-Obergrenze

Mit seinem Sommerinterview hat SPD-Chef Gabriel inoffiziell den Bundestagswahlkampf eingeläutet. Der Vizekanzler schließt sich nun der Forderung der CSU an, eine Obergrenze für den Zustrom von Flüchtlingen festzulegen, und übt heftige Kritik am Asylkurs der Bundeskanzlerin. CSU-Generalsekretär Scheuer nannte Gabriels Aussagen eine „180-Grad-Kehrtwende.“

Je näher die Bundestagswahlen kommen, desto mehr sind auch SPD und Linkspartei bemüht, die Sorgen ihrer Klientel angesichts der Flüchtlingskrise aufzugreifen. Nachdem bereits Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht die Massenzuwanderung aus dem Nahen Osten und Afrika kritisiert hatte, wandte sich nun erstmals SPD-Chef Sigmar Gabriel ausdrücklich gegen den Kurs von Bundeskanzlerin Merkel.

Im ZDF-Sommerinterview kritisierte der Vizekanzler die Kanzlerin für ihr Vorgehen in der Flüchtlingspolitik. Eine „total geöffnete Politik, wo jeder kommen kann“, funktioniere nicht, so der SPD-Chef. Man brauche eine Obergrenze, die bei der „Integrationsfähigkeit des Landes“ liege. Eine konkrete Zahl nannte Gabriel nicht.

Als Beispiel nannte er die Schulen: In diesem Schuljahr gebe es 300.000 Schüler mehr, für die würden 25.000 neue Lehrer benötigt. „Das kann man nicht jedes Jahr wiederholen“, so Gabriel. Weiter sagte der Vizekanzler, es reiche nicht, wenn Merkel in der Flüchtlingsdebatte ständig sage „wir schaffen das“, sondern sie müsse die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir es auch hinkriegen. „Und das hat die CDU/CSU immer blockiert“, fügt der SPD-Chef hinzu. Die Union habe „die Herausforderung unterschätzt“.

Appell der CSU an Gabriel: Machen statt herumreden

An dieser Stelle widerspricht CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt vehement: „Sigmar Gabriel hat in den Sommerferien offensichtlich den Sinn für die Realität verloren.“ Es sei nämlich ausschließlich die SPD, die bremse und sich nicht an Absprachen halte, wie die monatelange Blockade beim Asylpaket II zeige, so Hasselfeldt. „Auch die Vorschläge zur Stärkung der inneren Sicherheit kamen ausschließlich von der Union. Hier packt die SPD hingegen reflexartig die rhetorische Keule aus“, erinnert sie.

Ich erwarte von der SPD, dass sie nicht die Tatsachsen verdreht, sondern sich konstruktiv an politischen Diskussionen beteiligt.

Gerda Hasselfeldt

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte Gabriels Aussagen eine „180-Grad-Kehrtwende“ und wies darauf hin, dass der SPD-Chef noch am 10. Dezember 2015 auf dem SPD-Parteitag wörtlich erklärt hatte: „Ich wiederhole es, damit es niemand falsch versteht: Ich bin gegen eine Obergrenze.“ Scheuer kritisiert: „Im Gegensatz zum Schlingerkurs der SPD steht der klare Kurs der CSU: Die CSU ist schon immer für eine Obergrenze. Wir fordern von SPD-Chef Gabriel: Nicht herumreden, einfach machen! Die CSU steht für die Umsetzung der Obergrenze bereit.“ Denn wenn es etwa im Bundeskabinett tatsächlich zum Schwur käme, wäre Gabriels Forderung rasch als Wahlkampfgag entlarvt.

Im Gegensatz zum Schlingerkurs der SPD steht der klare Kurs der CSU: Die CSU ist schon immer für eine Obergrenze.

Andreas Scheuer

Gabriel nähert sich der CSU-Position an

Der SPD-Chef nähert sich mit seinen Forderungen dem Kurs der CSU an – trotz seiner rhetorischen Angriffe auf die Union. Denn die CSU mahnt bereits seit Sommer vergangenen Jahres eine Aufnahme-Obergrenze an. Außerdem hat der CSU-geführte Freistaat Bayern sowohl die Hauptlast der Massenzuwanderung 2015 bewältigt als auch mit einem bundesweit einzigartigen Integrationspaket Zeichen gesetzt: Bis 2019 gibt Bayern mehrere Milliarden Euro für die Integration aus, davon 490 Millionen Euro bereits 2016 – mehr Lehrer, mehr Polizisten, mehr Wohnungen, mehr Integrationskurse.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl scheint der Wahlkampf damit eröffnet, kommentiert die ZDF-Redaktion Gabriels Äußerungen: „Die Regierungspartner rücken zunehmend voneinander ab, so auch der Vizekanzler von seiner Regierungschefin.“

Schon Wagenknecht hatte Kehrtwende hingelegt

Ganz ähnlich hatte bereits Ende Juli – die Stimmung der kleinbürgerlichen Klientel im Blick – die Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, den starken Flüchtlingszustrom kritisiert und damit heftigen Protest bei den ideologisch festgelegten Zuwanderungsfreunden in der eigenen Partei geerntet. Nach den islamistischen Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg kritisierte Wagenknecht, „dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“.

Mehrere Experten weisen seit Monaten darauf hin, dass durch die Massenzuwanderung gerade die deutsche Unterschicht in eine massive Konkurrenzsituation gestoßen wird – beim Ringen um gering qualifizierte Jobs, günstige Wohnungen, soziale Unterstützung von Ämtern und Wohlfahrtsorganisationen und so weiter. Auch deshalb hat der Freistaat Bayern sein Integrationspaket von vornherein so ausgelegt, dass auch die einheimische Bevölkerung davon Nutzen hat – etwa vom stärkeren Wohnugnsbau und den zusätzlichen Lehrern.

Merkel lässt Kandidatur 2017 offen

Bundeskanzlerin Merkel ihrerseits ließ auf Nachfragen von Journalisten offen, ob sie bei der Bundestagswahl 2017 nochmals als Spitzenkandidatin der Union antreten werde. Die 62-Jährige kündigte im ARD-Sommerinterview lediglich an, sie werde ihren Beschluss „zum gegebenen Zeitpunkt“ fassen. Dies betreffe auch ihre Kandidatur als CDU-Vorsitzende auf dem Parteitag in Essen Anfang Dezember.

Die Bild-Zeitung berichtete unterdessen unter Berufung auf namentlich nicht genannte CDU-Präsidiumsmitglieder, Merkel wolle sich in Essen für weitere zwei Jahre als Parteivorsitzende zur Wahl stellen und beide Kandidaturen miteinander verknüpfen – aus taktischem Kalkül heraus, um ihre parteiinternen Kritiker im Schach zu halten. Demnach erwarte die CDU-Führung wegen des Unmuts über Merkels Flüchtlingspolitik einen erheblichen Dämpfer bei der Wahl zum CDU-Vorsitz – und die Verkündung ihrer Kanzlerkandidatur vor der Abstimmung sei dazu geeignet, das Ergebnis deutlich aufzupolieren. Denn wer dann noch gegen sie stimme, schmälere die Erfolgschancen der CDU im Wahlkampf. „Das diszipliniert“, zitierte das Blatt ein Präsidiumsmitglied.

Ohne die CSU keine gemeinsame Unions-Kandidatin

Allerdings kann die CDU-Chefin ohne die Unterstützung der CSU nicht als gemeinsame Unionskandidatin antreten. Eine Kandidatur als alleinige CDU-Kanzlerkandidatin wäre allerdings ebenfalls riskant: Ohne das weit überdurchschnittliche CSU-Ergebnis hatte die CDU bei der sehr gut ausgefallenen Bundestagswahl 2013 lediglich 34,1 Prozent erreicht, im Jahr 2009 sogar nur 27,3 Prozent. Das genügt nicht für eine überzeugende Forderung nach dem Kanzleramt. Merkel ist seit 2005 im Amt und damit Europas dienstälteste Regierungschefin. Merkel regiert derzeit zum zweiten Mal in einer großen Koalition mit der SPD. Sollte sie erneut antreten, könnte sie mit Helmut Kohls Rekord-Kanzlerschaft von 16 Jahren gleichziehen.

Nach einer Umfrage sind die Deutschen bei der Frage gespalten, ob Merkel auch nach der Bundestagswahl 2017 Kanzlerin bleiben soll. Jeder zweite Bürger lehnt nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag eine vierte Amtszeit Merkels ab. Die Zahl der Befürworter ist mit 42 Prozent deutlich kleiner. Unter den Unions-Anhängern sprachen sich 70 Prozent für eine weitere Amtszeit Merkels aus; 22 Prozent sind dagegen. Damit haben sich Merkels Sympathiewerte dem Bericht zufolge leicht verschlechtert. Im vergangenen November hätten noch 45 Prozent der Befragten eine weitere Amtszeit befürwortet, 48 Prozent lehnten sie ab.

(ZDF/ARD/dpa/wog)