Blick auf das Schweriner Schloss, Sitz des Landtages in Mecklenburg-Vorpommern. (Bild: Imago/BildFunkMV)
Mecklenburg-Vorpommern

Stimmungstest für Flüchtlingspolitik

Die Parteien im Bund schauen gespannt nach Schwerin und ins Berliner Abgeordnetenhaus. Denn beide Landtagswahlen im September sind für Merkel, Gabriel und Co. auch ein Stimmungstest in brisanten Zeiten.

Schon in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt bekamen die Parteien bei der Landtagswahl im März zu spüren, wie sehr der Flüchtlingskurs von Kanzlerin Angela Merkel polarisiert und vieles überstrahlt. In allen drei Ländern kam die AfD aus dem Nichts in die Parlamente. Am 4. September wählt Mecklenburg-Vorpommern, zwei Wochen später Berlin. Und nach den Terrorakten zweier Flüchtlinge in Bayern dreht sich nun heftiger Streit um die Sicherheit im ganzen Land. Nicht nur deshalb blicken die Strategen in den Parteizentralen – rund ein Jahr vor der Bundestagswahl – mit ziemlicher Spannung Richtung Nord-Ost. Wer muss womit rechnen?

In einer Umfrage von Infratest dimap, die der NDR, Ostsee-Zeitung, SVZ und Nordkurier in Auftrag gegeben hatten, kommt die SPD in Mecklenburg-Vorpommern auf 26 Prozent. Der Koalitionspartner CDU erreicht 23 Prozent. Dahinter liegt die noch nicht im Landtag vertretene AfD bei 19 Prozent. Der Linken drohen Verluste, sie steht in der Umfrage bei 16 Prozent.

Zieht der Amtsbonus bei der SPD?

Für die Sozialdemokraten steht viel auf dem Spiel. Sie haben zwei Ministerpräsidenten zu verteidigen. Vor allem in Schwerin wird es heikel, Verluste im Vergleich zur Wahl 2011 sind absehbar. Im Berliner Willy-Brandt-Haus hoffen sie darauf, dass es in beiden Ländern zumindest wieder knapp zur Regierungsführung reicht. SPD-Chef Sigmar Gabriel kann gute Nachrichten gebrauchen. Geht es schief, stehen ihm unangenehme Zeiten bevor. Nur einen Tag nach der Berlin-Wahl, am 19. September, folgt ein Parteikonvent zum Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta). Gabriel wirbt eifrig dafür, SPD-intern ist das Abkommen aber umstritten. Womöglich entlädt sich nach den Wahlen angestauter Frust über ihm.

Keine Begeisterung für „Wir schaffen das“

Für die Kanzlerin werden die Wahlen der nächste Stimmungstest für ihren Flüchtlingskurs. Dass Merkel trotz allem gerade ihr „Wir schaffen das“-Mantra bekräftigte, stößt an der Basis nicht nur auf Begeisterung. Trotzdem zeigt die CDU-Vorsitzende mit langjährigem Bundestagswahlkreis in Vorpommern natürlich Flagge. Sollten die Wahlen schiefgehen – aktuell sind die Christdemokraten immerhin in beiden Ländern Juniorpartner – könnte unionsinternes Murren wieder anschwellen. Zudem rückt auf Merkels Agenda eine Top-Personalie. Bald nach den Wahlen dürfte die Nachfolgesuche für Bundespräsident Joachim Gauck in Gang kommen. Und viele erwarten einen ersten Zug von Merkel.

Die Grünen als Notlösung

In Berlin als SPD-Wunschpartner, in Schwerin als Notlösung – die Grünen haben Chancen, in zwei weiteren Ländern mitzuregieren und ihre Macht im Bundesrat auszubauen. Die haben sie dieses Jahr schon ausgekostet und zusätzliche sichere Asyl-Herkunftsländer ausgebremst. Pragmatismus bei der Partnerwahl ist derzeit grüne Maxime, von Grün-Schwarz bis Schwarz-Rot-Grün, wie inzwischen in Stuttgart und Magdeburg. Um die AfD aus den Regierungen fernzuhalten, „können lagerübergreifende Dreierbündnisse notwendig sein“, sagte Parteichefin Simone Peter. Voraussetzung: Überhaupt wieder in den Schweriner Landtag einzuziehen, was den Grünen erstmals 2011 gelungen war. Nach dem Hoch des bundesweit populären Südwest-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann wäre ein Ausscheiden ein Dämpfer.

Rückenwind für Linke?

Trotz gesamtdeutschen Anspruchs sind Wahlen im Osten der Republik für die dort traditionell starke Linkspartei immer noch besonders wichtig. Der Triumph in Thüringen, der Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten machte, ist aber schon wieder zwei Jahre her. In Schwerin und Berlin, wo die Linke einst mitregierte, setzen die Kandidaten auf Rot-Rot-Grün. Sollte das klappen, gäbe es Rückenwind für all diejenigen, die auch im Bund nicht mehr nur auf Daueropposition setzen. In Sachsen-Anhalt mussten die Sozialisten im März allerdings erschrocken registrieren, dass die AfD sie deutlich überholen konnte. Auch im Nordosten und in Berlin muss sich zeigen, wie gut die Linke Protestpotenzial von links noch einbinden kann.

AfD prescht voraus

Bei der AfD herrscht fast so etwas wie Vorfreude. In Schwerin prophezeite Spitzenkandidat Leif-Erik Holm zum Wahlkampfauftakt schon vollmundig einen Landtagseinzug „als größte Fraktion“. Ganz abwegig ist es nicht. Denn die AfD hatte schon bei anderen Wahlen besser als in Umfragen abgeschnitten. Das könnte daran liegen, dass ein Teil der Anhänger Protestwähler sind, die sich nicht offen dazu bekennen. In Berlin dürfte der Einfluss der Rechtspopulisten begrenzt bleiben. Dass die Union in beiden Wahlkämpfen die Reizthemen Burka-Verbot und Doppelpass aufgriff, hat der AfD zwei Wahlkampfakzente genommen. Intern richten sich Blicke auf den Bundestagswahlkampf 2017, die schwelenden Führungsstreitigkeiten sind aber nicht beigelegt.

(dpa/AS)