Großkundgebung anlässlich des gescheiterten Putschversuchs in der Türkei mit rund 30.000 Erdogan-Anhängern in Köln. (Foto: Imago/C. Hardt/Future Image)
Demo und Flüchtlingspakt

„Wir sind nicht auf dem türkischen Basar“

Bei einer Pro-Erdogan-Veranstaltung in Köln demonstrierten etwa 40.000 Menschen in der Domstadt. Gleichzeitig setzte die Türkei der EU ein Ultimatum wegen des Flüchtlingspaktes. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wies die Drohung zurück und appellierte an die EU, klare Verhältnisse zu schaffen.

Ein Meer aus roten Halbmond-Flaggen, viele Männer und Frauen sind ganz eingehüllt in die türkische Nationalfahne, es geht emotional zu bei der Kundgebung in Köln. Trotz Regen nehmen etwa 40.000 Erdogan-Anhänger an der Veranstaltung teil. Offizielles Thema ist der gescheiterte Putschversuch in der Türkei vor zwei Wochen. Aber die Demo-Teilnehmer wollen vor allem eine machtvolle Botschaft senden: volle Unterstützung für den Kurs des islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Viele scheinen geradezu im Erdogan-Rausch.

Von der Bühne ruft ein Redner: „Wir sind Deutschland.“ Er wartet auf das Echo. Aber aus der Masse schallt ihm entgegen: „Allahu akbar“ – Arabisch für „Gott ist groß“. Die türkische und die deutsche Nationalhymne werden gespielt. Eine Schweigeminute für die Opfer des Putsches in der Türkei wird abgehalten, auch für die Toten bei den Terroranschlägen in Deutschland und Frankreich. Die Themen vermischen sich.

Teilnehmer unterstützen „Säuberung“

Im Fokus aber steht Erdogan – und der Jubel der Menge ist ihm jedes Mal gewiss. In der Türkei hat der umstrittene Präsident den Ausnahmezustand verhängt, lässt die Behörden massiv gegen mutmaßliche Unterstützer Gülens in Militär, Justiz, Polizei, Bildungswesen und Medien vorgehen, aber offenbar auch gegen einige Andersdenkende. In den „Säuberungen“ wurden knapp 18.700 Menschen festgenommen, gegen 10.137 ergingen nach Angaben Erdogans Haftbefehle.

Demo-Teilnehmer Cabuk Kenan findet das richtig. „Es ist gut, dass Erdogan jetzt durchgreift“, meint der 29-Jährige, der eigens aus den Niederlanden angereist ist. Auch Habib Aydin (26) aus Stuttgart sagt: „Die Verhaftungswelle sehe ich nicht kritisch. Es muss eine Säuberung gemacht werden. Der Putschversuch hat sich gegen die Demokratie gerichtet.“ Es sei falsch, wenn Kritiker und Medien Erdogan als Diktator darstellten.

Verbot für Videogrußbotschaft

Die Veranstalter rufen immer wieder zum Zusammenhalt auf. Man wolle friedlich für Rechtsstaatlichkeit eintreten und stehe „auf der Seite des wehrhaften türkischen Volkes“. Maßgeblich mitorganisiert hat die Kundgebung die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die der türkischen Regierungspartei AKP sehr nahesteht. Erdogan selbst durfte sich nicht per Videogroßleinwand zuschalten. Die Veranstalter waren gerichtlich in einem Eilverfahren gegen das Verbot vorgegangen. Doch sie scheiterten vor dem Bundesverfassungsgericht, das den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einstimmig ablehnte. Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies hatte zuvor erklärt, er wolle eine Zuschaltung Erdogans unbedingt verhindern, „um zu vermeiden, dass es zu einer hochemotionalisierten Lage kommt“.

Türkei bestellt Botschafter nach Ankara

Die türkische Regierung äußerte scharfe Kritik an dem Verbot. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin nannte es „inakzeptabel“ und forderte eine „befriedigende Erklärung“ Deutschlands. Das türkische Außenministerium bestellte zudem den Gesandten der deutschen Botschaft in Ankara ein. Da Botschafter Martin Erdmann im Urlaub ist, nimmt der Gesandte – sein Stellvertreter – den Termin wahr.

Erdogan richtete dann doch noch einige Worte an die Demo-Teilnehmer: Unter Riesenbeifall dankt er dem türkischen Volk in einer vorgelesenen Ansprache für ihren „mutigen“ und „beispielhaften“ Einsatz gegen die Putschisten.

Heute ist die Türkei stärker, als sie je vor dem 15. Juli gewesen ist.

Recep Tayyip Erdogan, türkischer Präsident

Schon vor dem Putsch hatten sich einige Experten überrascht gezeigt über den „langen Arm“ des türkischen Präsidenten nach Deutschland. Im europäischen Vergleich habe Erdogan in Deutschland wohl die meisten Anhänger, sagt auch die muslimische NRW-Abgeordnete Serap Güler (CDU).

Türkei drängt auf Visumfreiheit

Parallel zu den Ereignissen in Köln droht die Türkei der Europäischen Union ultimativ mit der Aufkündigung des Flüchtlingspakts, wenn türkischen Reisenden nicht zügig Visumfreiheit gewährt wird. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seine Regierung erwarte einen konkreten Termin für die zugesagte Visumfreiheit. Es könne Anfang oder Mitte Oktober sein – aber sie erwarteten ein festes Datum.

Wenn es nicht zu einer Visaliberalisierung kommt, werden wir gezwungen sein, vom Rücknahmeabkommen und der Vereinbarung vom 18. März Abstand zu nehmen.

Mevlüt Cavusoglu , Außenminister

CSU weist Drohung zurück

Die CSU hat die türkische Drohung bezüglich des Flüchtlingspakts scharf zurückgewiesen.

Drohungen und Ultimaten – der neue Stil der Erdogan-Türkei. Wir sind bei der Erfüllung der 72 Kriterien für die Visafreiheit nicht auf dem türkischen Basar. Visafreiheit für die Türkei ist in der aktuellen Lage völlig ausgeschlossen. Die EU muss jetzt klare Verhältnisse schaffen.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

Auch für den CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber ist klar, dass das Europäische Parlament erst seine Arbeit aufnehme, sobald die 72 Voraussetzungen für die Abschaffung der Visumspflicht erfüllt seien.

Die Türkei hat sich in der Vergangenheit nicht als zuverlässiger Partner erwiesen, deswegen überrascht mich die neue Drohung nicht. Das Abkommen war von Anfang an ein gefährlicher Drahtseilakt. Ich habe immer davor gewarnt, das Flüchtlingsabkommen mit dem EU-Beitritt oder der Visafreiheit zu verknüpfen. Das ist einer der großen Pferdefüße an diesem Abkommen. Denn die Türkei sitzt am Ventil, um die Zahl der Flüchtlinge in Richtung EU zu steuern. Und sie wird es aufmachen und schließen, wie es ihr gerade passt.

Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter

Das Flüchtlingsabkommen hat – zusammen mit dem Bau des Grenzzauns in Mazedonien – dazu geführt, dass inzwischen deutlich weniger Migranten auf die griechischen Inseln übersetzen und sich über die nunmehr geschlossene Balkanroute Richtung Norden und vor allem nach Deutschland durchschlagen. Die Visumpflicht für türkische Staatsbürger sollte ursprünglich ab Juli aufgehoben werden. Dieser Termin hat sich aber verschoben, weil die Türkei noch nicht alle 72 Bedingungen erfüllt hat, darunter die Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze. Die EU will, dass sie so geändert werden, dass sie nicht gegen politische Gegner missbraucht werden können.

EU wehrt Druck ab

Die EU-Kommission reagierte reserviert und erklärte, man werde sich von den Drohungen aus Ankara nicht beeinflussen lassen. Die Visumfreiheit werde es nur geben, wenn alle Bedingungen erfüllt seien, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde der Deutschen Presse-Agentur. Aus der Kommission hieß es, Experten der Kommission stünden weiter bereit, um Ankara bei der Umsetzung zu unterstützen.

Außenminister Cavusoglu sagte der Zeitung, das Flüchtlingsabkommen funktioniere, weil die Türkei „sehr ernsthafte Maßnahmen“ ergriffen habe, unter anderem zur Bekämpfung der Menschenschmuggler. „Aber all das ist abhängig von der Aufhebung der Visumpflicht für unsere Bürger, die ebenfalls Gegenstand der Vereinbarung vom 18. März ist.“ Der Minister versicherte, dies solle keine Drohung sein.

Das ist einer der großen Pferdefüße an diesem Abkommen. Denn die Türkei sitzt am Ventil, um die Zahl der Flüchtlinge in Richtung EU zu steuern. Und sie wird es aufmachen und schließen, wie es ihr gerade passt.

Markus Ferber

Der CSU-Europaabgeordnete, Markus Ferber, erklärte hierzu: „Die Türkei hat es selbst in der Hand, die Voraussetzungen für die Erteilung der Visumsfreiheit zu schaffen. Für mich ist klar, erst wenn die 72 Voraussetzungen für die Abschaffung der Visumspflicht erfüllt sind, wird das Europäische Parlament die Arbeit aufnehmen können. Und Fakt ist, die Türkei erfüllt die Kriterien bis heute nicht. Ganz im Gegenteil: seit dem gescheiterten Militärputsch hat sich die Situation in der Türkei massiv verschlechtert. Der Termin wird sich also weiter verschieben, solange die Türkei nicht alle 72 Bedingungen erfüllt.“ Ferber weiter: „Darüber hinaus hat sich die Türkei in der Vergangenheit nicht als zuverlässiger Partner erwiesen, deswegen überrascht mich die neue Drohung nicht. Das Abkommen war von Anfang an ein gefährlicher Drahtseilakt. Ich habe immer davor gewarnt, das Flüchtlingsabkommen mit dem EU-Beitritt oder der Visafreiheit zu verknüpfen. Das ist einer der großen Pferdefüße an diesem Abkommen. Denn die Türkei sitzt am Ventil, um die Zahl der Flüchtlinge in Richtung EU zu steuern. Und sie wird es aufmachen und schließen, wie es ihr gerade passt.“

Der Deal: ein Tauschhandel

Zurzeit hält die Türkei das Flüchtlingsabkommen mit der EU noch ein, wie der Sprecher des griechischen Stabes für die Flüchtlingskrise, Giorgos Kyritsis, im Staatsfernsehen ERT sagte. Zwar seien nach dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli an einigen Tagen mehr als 100 Menschen angekommen. Im großen und ganzen aber sei der Zustrom nicht dramatisch gestiegen. Im Zentrum des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei steht ein Tauschhandel. Die EU schickt Flüchtlinge und andere Migranten, die seit dem 20. März illegal in Griechenland eingereist sind, zurück in die Türkei. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf seit dem 4. April ein anderer Syrer aus der Türkei legal und direkt in die EU einreisen.

Säuberungswelle nach Putschversuch

Zwei Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei kündigte Erdogan überdies an, den Generalstab der Streitkräfte und den Geheimdienst MIT künftig direkt seinem Befehl unterstellen zu wollen. Dies erfordere eine Verfassungsänderung, sagte der islamisch-konservative Politiker in einem Interview mit dem Sender A Haber nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadolu. Dazu werde es Gespräche mit der Opposition geben. Der Geheimdienst wird momentan vom Ministerpräsidenten gesteuert, die Armee agierte bisher weitgehend autonom unter dem Generalstab. Die türkische Führung wirft den betroffenen Soldaten vor, Verbindungen zu dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen zu haben, den Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht.

(dpa/AS)