Generationen sprechen über die Rente; JU-Chef Hans Reichhart (l.) und SEN-Chef Thomas Goppel. (Bild: Anja Schuchardt)
Rentenreform

Leben wir auf Kosten der jüngeren Generation?

Wie soll die Alterssicherung künftig finanziert werden? Wie lassen sich Ansprüche erfüllen und Lasten gerecht verteilen? Darüber diskutieren der Vorsitzende der Jungen Union, Hans Reichhart, und der Chef der Senioren-Union, Thomas Goppel.

Bayernkurier (BK): Der Anteil der Sozialleistungen am Bundeshaushalt lag 2013 bei 47,3 Prozent, 2018 wird er bei 53,7 Prozent liegen. Hinzu kommen Projekte wie die Mütterrente, Rentenerhöhungen, Rente mit 63, bessere Pflegeleistungen. Die Zahl der Beitragszahler sinkt, die Zahl der Rentenempfänger steigt. Lebt diese Regierung auf Kosten der jüngeren Generation?

Hans Reichhart: Das glaube ich auf jeden Fall. Unser Staat gibt sehr viel Geld für Wohltaten aus. Das ist bei manchen Dingen auch sicherlich sinnvoll. Bei anderen allerdings handelt es sich eher um ideologische Projekte.

Thomas Goppel: So pauschal akzeptiere ich das nicht. Die Ausgaben im sozialen Bereich setzen längst nicht nur bei der Generation über 65 an. Allerdings stimmt: Wenn dieser Ausgleich stattfindet, trifft es eher die nächste, junge Generation. Die würde zwei Mal hintereinander bestraft. Also nicht die, die sich heute zur jungen Generation zählen, sondern die Generation, die ihr folgt. Da finde ich es hier notwendig, differenzierter zu diskutieren und den Vorschlaghammer wegzulassen.

BK: Die Schuldenbremse ist das bestimmende Thema der Generationengerechtigkeit. Diese wäre auch gefährdet, sollten die Steuereinnahmen wieder sinken – aktuell befinden sie sich ja auf einem Rekordhoch. Wie sehen Sie das?

Goppel: Da wir im Freistaat Bayern leben, ist das eine etwas leichter einzuschätzende Grundlage. Wir haben in Zeiten der Hochfinanzierung aufgepasst, unsere Rücklagen aufgestockt. Bei denen, die bis jetzt nichts Derartiges gemacht haben, wird das Thema problematisch und ärgerlich. Das ist richtig. Wir werden eine gewisse Zeit Gelegenheit haben, zu überlegen, wie und wo wir bestimmte Überhöhungen bei den Sozialleistungen rechtzeitig korrigieren.

Reichhart: Was bei der ganzen Frage klar sein muss: Wenn die Steuereinnahmen sinken, müssen auch die Sozialleistungen sinken. Aktuell haben wir da kein Problem – aber es muss eben auch gewährleistet sein, wenn die Steuereinnahmen einmal nicht mehr so sprudeln sollten. Neben der Schuldenbremse muss man aber auch auf den Bereich Personalausgaben achten. Ich glaube, auch da bräuchten wir einmal eine verpflichtende Quote. Das betrifft uns in Bayern stärker, weil wir stark personallastig sind. Das betrifft aber natürlich auch den Bund – da muss man auch irgendwann mal sagen: Die Personalkosten dürfen nicht mehr über einem gewissen Prozentsatz X liegen. Das sind ja auch Lasten, die die nachfolgende Generation mit Pensionszahlungen und so weiter betreffen.

Goppel: Umso spannender wird die Diskussion, welche Aufgaben der Staat denn in Zukunft übernehmen soll und wie sich vor- und nachher unsere Wettbewerbsfähigkeit entwickelt. Im Augenblick finanzieren wir eher nur unsere Selbstverwaltung, statt aus der aktuellen Situation eine tragfähige Zukunftsvision abzuleiten. Wer nur aus dem Topf lebt, den er schon hat, aber vergisst, ihn zu füllen, wird „hungern“ und nicht genug zum Verteilen haben.

BK: Wir haben Rekordeinnahmen bei den Sozialversicherungen. Macht die Riester-Rente denn überhaupt noch Sinn?

Reichhart: Auf jeden Fall. Sie ist als Teil der privaten Vorsorge essenziell, auch schon für das heutige Rentensystem. Wir brauchen die drei Säulen aus staatlicher, privater und betrieblicher Vorsorge. Da ist die Riester-Rente ein wesentlicher Bestandteil. Über die Ausgestaltung kann man sicher reden, aber dass wir den privaten Bereich nicht aufgeben dürfen, das ist, glaube ich, klar.

Goppel: Ich akzeptiere ihre Beibehaltung – aber nur dann, wenn wir über die Ausgestaltung ergebnisoffen reden. Ohne solche Vorgaben halte ich das Konzept für Unfug, eine Fehlentwicklung erster Ordnung. Denn: Die, die eine ordentliche Vorsorge getroffen haben, entlasten die Sozialkassen als Riester-Rentner später vielleicht um ein, zwei oder drei Prozent. Mehr ist das nicht.

Reichhart: Trotzdem: Wenn ich mir vor Augen halte, dass wir jetzt schon im Bereich der unter 30-Jährigen eine Vorsorgequote – also eine Anzahl an Leuten, die sich über die Altersvorsorge konkrete Gedanken machen – von unter 50 Prozent haben, ist die Riester-Rente auf jeden Fall schon einmal ein Faktor, der den Leuten diese Problematik ins Gedächtnis ruft. Wenn man vom Bankberater, von Eltern, Freunden oder Bekannten darauf angesprochen wird, macht man sich automatisch Gedanken.

Goppel: Mit solchem Idealismus war auch ich früher unterwegs (lacht). Inzwischen weiß ich, nach 43 Jahren im Landtag, dass alle fünf oder zehn Jahre Verantwortliche auf die Idee kommen, das, was sich als sicher erwiesen hat oder gerade bewährt, wieder infrage zu stellen. Stattdessen präsentieren sie ein anderes, gänzlich ungeprüftes Finanzierungsmodell. Weil sich solches Vorgehen wiederholt, bin ich keiner von denen, die sich auf andere verlassen, wenn es um die eigene Sicherheit geht. Der Eigenbeitrag dazu schafft neue Verantwortlichkeit, aber eine ungeteilte. Die Riester-Rente ist mir zu unsicher.

BK: Hatte die rot-grüne Bundesregierung 2002 die Rente nicht so geplant, dass man das Niveau absenkt und die Eigenbeteiligung erhöht? Hat das denn funktioniert, wenn weniger als die Hälfte der Bevölkerung seither überhaupt Riester-Renten abgeschlossen hat?

Reichhart: Nein, aber das liegt an anderen Faktoren. Nehmen Sie den Bereich der Niedrigeinkommen. Dort wird jede Zahlung, die ich in die Riester-Rente oder jede andere private Rente leiste, auf die Grundsicherung angerechnet. Das ist eigentlich einer dieser Grundfehler, der nicht passieren darf. Da müssen wir ansetzen. Wir müssen die private Vorsorge attraktiver machen und sie so gestalten, dass jeder, der anfängt, sein eigenes Geld zu verdienen, gezwungen wird, sich auch darüber Gedanken zu machen.

BK: Dann reden wir ja von einer Art Riester-Pflicht.

Reichhart: Man muss schon darüber nachdenken, ob man nicht eine Verpflichtung zur privaten Rentenvorsorge einführt. Die gesetzliche Vorsorge reicht im Alter schlicht und einfach nicht mehr aus. Das ist das Hauptproblem. Die Einschätzung, dass wir eine gigantische Gefahr der Altersarmut haben, teile ich aber nicht. Aktuell sind meines Wissens 3,5 Prozent der Rentner davon betroffen – sie erhalten die sogenannte Grundsicherung. Das wirksamste Mittel gegen zukünftige Altersarmut ist, die Menschen in jungen Jahren zu verpflichten, sich mit dem Thema Vorsorge intensiv auseinanderzusetzen.

BK: Dennoch: Einer aktuellen Studie zufolge glauben viele 16- bis 28-Jährige, dass ihnen die gesetzliche Vorsorge bei ihrem Renteneintritt reichen wird – allerdings mit dem Zusatz: „Wenn es die Politik will“. Was genau will denn die Politik?

Reichhart: Ich bin davon überzeugt, dass wir stärkere Akzente in der nichtstaatlichen Altersvorsorge setzen müssen. Da müssen wir ein System schaffen, das – und das sage ich jetzt sehr kritisch – unabhängig ist von politischer Einflussnahme. Da nehme ich unsere Partei auch nicht aus. Ich finde aber, dass politische Projekte nicht in die Rentengesetzgebung gehören.

Goppel: Dann lass uns doch gemeinsam gegen Riester wettern.

Reichhart: Wir haben viele Bereiche in den Sozialleistungen, die über das Rentensystem mitfinanziert werden. Das habe ich im privaten Bereich nicht – denn da habe ich einen starken Eigentumsschutz. Daher glaube ich, wir brauchen mehr private Vorsorge, bei gleichbleibender staatlicher Versorgung.

Goppel: Ich wehre mich dagegen, dass wir weiter so verfahren wie in den letzten 20 Jahren. Fast immer, wenn sich eine Lücke im Rentensäckel aufgetan hat, hat die Gemeinschaft der Deutschen entschieden, die jeweiligen Rentner zur Kasse zu bitten. Beispiel gefällig? Die 16 Millionen Rentenempfänger aus der ehemaligen DDR. Der „Rentner West“ verzichtet für deren Wohlbefinden auf einen ordentlichen Rentenprozentsatz, landet dafür unter 50 Prozent der Arbeitsbezüge.

Reichhart: Wobei gleichzeitig die Einzahlungen auch gestiegen sind.

Goppel: Das ist mir natürlich klar. Aber jetzt steht das zweite Beispiel an: die Mütterrente und ihre Ausweitung. Überall dort, wo der Staat eingreift, nimmt er dem Einzelnen die Vorsorgeverpflichtung. Deshalb wehre ich mich gegen jede Form der zusätzlichen staatlichen Versorgung, die nicht sauber in ihren Auswirkungen vorgerechnet wird. Eine ehrliche Debatte muss her!

Reichhart: Da stimme ich dir zu. Ich stehe voll hinter der Mütterrente – aber die muss weiterhin zu einhundert Prozent steuerfinanziert sein. Man muss einmal aus dem jetzigen Rentensystem herausrechnen: Was gehört zum klassischen Rentensystem, und was ist hier dazugekommen? Wenn ich das tue, kann ich auch ehrlicher diskutieren.

BK: Laut der bereits erwähnten Studie schieben viele junge Menschen das Thema „Rente“ vor sich her. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

Goppel: Es ist schon besser geworden. Die Meinung: „Wenn andere sich nicht kümmern, muss ich mich auch nicht damit befassen“, verliert an Anhängerschaft. Längst bekomme ich mit, dass junge Leute heute stärker und lauter werden. Wahrscheinlich deshalb, weil die Hälfte der heute Erwachsenen keine eigenen Kinder mehr hat. Die sind es, die trotzdem davon ausgehen, dass sie ihren Rentenanteil sicher bekommen. Sie vernachlässigen, dass der Staat eigentlich davon ausgegangen ist, dass alle Erwachsenen weiter auf Kinder setzen. Die Stabilisierung unseres Rentensystems hätte das gebraucht. Wir erinnern uns an Adenauer bei der Einführung der Rente: „Dat jeht! Kinder kriegen de Leute immer!“

Reichhart: Da wäre ein Modell denkbar, wie es in der Pflegeversicherung schon eingeführt ist. Wir müssen diejenigen belohnen, die Kinder haben – also eine Art „Kinderbonus“. Das könnte man auch ins Rentensystem transferieren. Aber schauen wir uns doch noch einmal die Altersgruppe 16 bis 28 an: In diesen Jahren werden wesentliche Weichenstellungen für das gesamte Leben getätigt, beruflich wie privat. Hier brauchen wir einen starken Impuls von außen, um die Menschen dazu zu bringen, sich auch mit dem Thema Altersvorsorge zu beschäftigen.

BK: Ist das Thema Altersarmut nicht ein wenig überhöht, wenn man sich anschaut, dass nur drei Prozent der Rentner davon betroffen sind, aber 15 Prozent der Kinder hierzulande im Hartz-IV-Bereich liegen?

Reichhart: Was ich schon glaube, ist, dass ich nicht zum Sozialamt gehen müssen sollte, wenn ich 40 oder 45 Jahre in das Rentensystem eingezahlt habe. Daher müssen wir bei der Grundsicherung aktiv werden. Ich verstehe nicht, wieso das eine über die Sozialausgaben läuft und das andere über die Rentenversicherung. Warum kann man die Grundsicherung nicht schon über die Rente laufen lassen – damit hätte man zum Beispiel die Stigmatisierung, die mit dem Begriff einhergeht, eliminiert. Ich denke schon, dass es da eine etwas überhitzte Diskussion gegeben hat. Das Lohngefüge hat sich in Bayern allerdings so verändert, dass die junge Generation in Zukunft mit dem Thema Altersarmut weniger Probleme haben wird. Schwieriger ist es bei den heute 50- bis 60-Jährigen. Bei ihnen herrschte früher noch ein anderes Lohngefüge. Hier müssen wir aktiv werden.

Goppel: Schauen Sie, meine Mutter hat fünf Söhne zu Hause aufgezogen. Das würde heute so nicht mehr stattfinden. Das Schlagwort „Altersarmut“ hat andere Bezugsgrößen. Heute stehen viel mehr Frauen in Arbeit, kümmern sich selbst um ihre Rente, oft in Vollzeit. Das gilt auch schon für meine Generation, meine Schwägerinnen und meine Frau. Die sind inzwischen längst besser abgesichert als meine Mutter, aber noch lange nicht genug. Meine Frau hat zwar zehn oder 15 Jahre als Lehrerin gearbeitet, ist dann aber aufgrund meiner politischen Karriere zu Hause geblieben. Sie rechnet mit einer Rente von 500 Euro. Das ist allemal mehr als meine Mutter bekommt, trotzdem zu wenig, weil sie auf mich Rücksichtgenommen hat. Die wichtige Frage lautet deshalb: Wann schaffen wir ein Splitting in der Rente, das berücksichtigt, dass der Verdienst aus eigenem Lohn zugunsten der Familie und der Kindererziehung eine sachgerechte Anrechnung erfährt? Schaffen wir das, dann beseitigen wir vor allem Ungerechtigkeit und reduzieren Altersarmut durch eine fallbezogene Um verteilung. An diesem Punkt muss die Politik für Gerechtigkeit sorgen.

Reichhart: Wichtig ist: Wir dürfen nicht Alt gegen Jung ausspielen. Die Leute, die heute Rentner sind, sind unsere Eltern und Großeltern. Das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. Wenn ich von dem klassischen Familienbild ausgehe, steht jeder für den anderen ein – ohne sich zu bevorteilen. Die Großeltern haben ja auch kein Interesse daran, dass es ihren Enkeln schlecht geht.

BK: Wie kann man denn die Generationen zu mehr Gerechtigkeit verpflichten?

Goppel: Wir brauchen die Erkenntnis, dass Kinder das wesentliche Element dafür sind, dass es in einer Gesellschaft weitergeht. Es muss aufhören, dass immer nur egoistisch gedacht wird: Wie kriege ich jetzt mehr Geld oder habe einen Vorteil? Ansonsten soll die Gesellschaft sehen, wo sie bleibt.

Reichhart: Wir müssen bei der Kinderförderung stärker aktiv werden. Das geht bei den Kindern los und bei den Eltern weiter: Denen müssen wir Bedingungen schaffen, damit sie Beruf und Familie unter einen Hut kriegen. Ausgangslage muss die Familie sein, nicht der Beruf, wo dann die Familie nebenher mitlaufen soll.

BK: Die Bundesregierung hat jetzt einen flexibleren Renteneintritt beschlossen. Hat sich damit die Forderung der Jungen Union nach der „Rente mit 70“ erledigt?

Reichhart: Ich finde, mit der Forderung nach der Rente mit 70 kann ich jede Rentendiskussion sofort zerstören. Denn: Ich weiß, es wird nur noch über diesen einen Punkt gesprochen und nicht mehr über das, was es eigentlich zu tun gilt. Ich denke, wir sind uns alle einig: Wir haben in den kommenden Jahren den Prozess bis zur Rente mit 67. Was danach passiert, muss man nicht jetzt diskutieren. Meiner Meinung nach ist das zum jetzigen Zeitpunkt eine fiktive Diskussion. Jetzt, heute, müssen wir über das System an sich sprechen, nicht über Schlagworte oder Jahre.

Goppel: Ich halte es für ausgesprochen sinnvoll, dass wir über eine flexiblere Renteneintrittszeit reden und sie auch bekommen. Das ist zwingend, und zwar heute. Ein Uni-Professor, der mit 35 Jahren erstmals Geld verdient, bekommt die volle Pension, während ein Handwerker, der sein ganzes Leben lang malocht hat, sich mit einer wesentlich niedrigeren Rente begnügen muss. Das System braucht viel mehr Flexibilität und individuelle Offenheit. Die neuen Ideen der Koalition sehen das vor. Das ist gut so und überfällig. Wichtig ist aber auch: Das Rentensystem muss berechenbar bleiben, weil sich die Leute darauf verlassen wollen. Die Sprünge der letzten Jahre müssen der Vergangenheit angehören.

BK: Eignet sich die Rentenpolitik als Wahlkampfthema?

Reichhart: Ich glaube, dass sich gewisse Aspekte – Themen wie die Mütterrente im letzten Wahlkampf – als Themen eignen. Die Frage nach einer Rentenreform eignet sich nicht. Ein Wahlkampf fußt ja immer darauf, dass ich versuche, möglichst vielen möglichst viel zu ermöglichen. Und da ist die Rente sowohl zu sensibel als auch zu wichtig für unser gesellschaftliches Gefüge.

Goppel: Seit 1989 haben wir uns angewöhnt, bei den Dingen, bei denen wir nicht damit rechnen können, dass wir uns zusammenraufen, runde Tische einzurichten. Dabei wird versucht, die unterschiedlichen Interessen mit an den Tisch zu holen. Als Gesamtthema denke ich daher auch nicht, dass sich die Rente als Wahlkampfthema eignet. Einzelne Bereiche der Rentenpolitik eignen sich durchaus dazu, Profil zu gewinnen und sich mit Ideen von den politischen Mitbewerbern abzugrenzen. Aber „die Rente“ als Ganzes halte ich als Wahlkampfthema für zu komplex.

Das Interview führten Andreas von Delhaes-Guenther und Dominik Sauter