Salafistische Gefahr für Deutschland
Mit massivem Einsatz hat Niedersachsens Polizei eine salafistische Mosche in Hildesheim gestürmt und durchsucht. Im islamistischen Terror-Sommer 2016 wurde die Salafisten-Moschee zu gefährlich: Ein Drittel aller niedersächsischen Syrien-Dschihadisten soll aus ihrem Umfeld kommen. Die salafistische Bedrohung wächst: Zu 8500 Salafisten in Deutschland kommen weit über 30.000 Unterstützer.
Salafisten-Razzia

Salafistische Gefahr für Deutschland

Mit massivem Einsatz hat Niedersachsens Polizei eine salafistische Mosche in Hildesheim gestürmt und durchsucht. Im islamistischen Terror-Sommer 2016 wurde die Salafisten-Moschee zu gefährlich: Ein Drittel aller niedersächsischen Syrien-Dschihadisten soll aus ihrem Umfeld kommen. Die salafistische Bedrohung wächst: Zu 8500 Salafisten in Deutschland kommen weit über 30.000 Unterstützer.

Ausgerechnet in der Hildesheimer Martin-Luther-Straße steht die Moschee des „Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim“ (DIK). Die Moschee ist ein „Problem für die gesamte (Hildesheimer) Nordstadt“, berichtete schon im vergangenen Januar die Hildesheimer Allgemeine Zeitung. Die Moschee sei außerdem eines von drei, vier oder gar fünf salafistischen Zentren in Niedersachsen. Alarmierend: Von insgesamt 64 aus Niedersachsen nach Syrien und Irak ausgereisten Terrorkriegern sollen 19 – also fast ein Drittel – aus dem Umfeld dieser Moschee kommen.

Es gibt eine Bedrohungslage.

Maren Brandenburger, Präsidentin des niedersächsichen Verfassungsschutzes

Mehrere Jahre lang haben Niedersachsens Sicherheitsbehörden dem Treiben in der Martin-Luther-Straße wachsam zugeschaut. „Es gibt eine Bedrohungslage“, zitierte im Januar das Hildesheimer Lokalblatt die Präsidentin des niedersächsichen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger. Jetzt, im Sommer des islamischen Terrorismus, ist den niedersächsischen Stellen weiteres Zuwarten zu gefährlich geworden. Am gestrigen Mittwoch stürmten etwa 400 Beamten der Polizeidirektion Göttingen und Kräfte des Spezialeinsatzkommandos des Landeskriminalamtes Niedersachsen die Moschee in Hildesheim und durchsuchten sie, ebenso wie die Wohnungen von acht Vorstandsmitgliedern des Moscheevereins.

In Predigten, Seminaren und Vorträgen wird zum Hass gegenüber Ungläubigen aufgerufen.

Boris Pistorius

„Der DIK in Hildesheim ist ein bundesweiter Hot-Spot der radikalen Salafistenszene“, erklärte später Innenminister Boris Pistorius. Den Sicherheitsbehörden lägen Erkenntnisse vor, dass im Verein Muslime radikalisiert und zur Teilnahme am Dschihad in den Kampfgebieten motiviert würden. In Predigten, Seminaren und Vorträgen werde auch zum „Hass gegenüber Ungläubigen“ aufgerufen, so Pistorius: „Nach Monaten der Vorbereitung sind wir mit den heute durchgeführten Durchsuchungen einen wichtigen Schritt zum Verbot des Vereins gegangen.“

Salafismus flächendeckend

Erst 2012 ist die Moschee in Hildesheim gegründet worden, von vornherein mit dezidiert salafistischer – also: radikal-islamischer – theologischer Ausprägung. Dann muss alles sehr schnell gegangen sein. Denn schon im Landesverfassungsschutzbericht von 2014 taucht die Hildesheimer Moschee als einer der Salafismus-Schwerpunkte des Bundeslandes auf, neben radikalen Moscheen und Moscheevereinen in Hannover, Braunschweig und Osnabrück. Andere Beobachter nennen außerdem Salafistenzentren in Göttingen, Wolfsburg und in der eher beschaulichen ostniedersächsischen Kreisstadt Gifhorn (41.000 Einwohner). Was die Zahl der niedersächsischen Dschihad-Touristen nach Syrien und Irak angeht, ist Hildesheim die Nummer Zwei: Nur aus Wolfsburg kamen mit bislang 23 Dschihadisten noch mehr Terrorkrieger für den Islamischen Staat.

Der salafistische Flächenbrand breitet sich rasch aus.

„Mittlerweile lassen sich salafistische Tendenzen in Niedersachsen flächendeckend, nicht nur in Großstädten, nachweisen“, heißt es denn auch im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht. Ebenso wie international und deutschlandweit sei der Salafismus auch in Niedersachsen „die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung“. Von 2013 auf 2014 ist seine Anhängerzahl in dem Bundesland von 330 auf 400 gewachsen. Ende 2015 ging der niedersächsische Verfassungsschutz von 480 Anhängern dieser radikal-islamischen Theologie aus, Tendenz steigend, so damals die Neue Osnabrücker Zeitung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt jetzt von mehr als 540 Salafisten in Niedersachsen. Für ganz Deutschland schreibt der Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums für 2015 von 8500 Salafisten (2013: 5500; 2014: 7000).

Rekrutierer für den Heiligen Krieg

Aber womöglich sind es schon längst viel mehr: Mitte April zitierte der Deutschlandfunk den Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, der das salafistische Unterstützerpotential in Deutschland auf 43.000 Personen beziffert – „Muslime größtenteils aus der salafistischen Szene, für einen bewaffneten Dschihad“, so der Deutschlandfunk. Diese salafistische Szene stelle ein wesentliches Rekrutierungsfeld für den Dschihad dar, warnt auch der Verfassungsschutzbericht des Bundes: „Fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die sich dem Dschihad angeschlossen haben, standen zuvor mit salafistischen Strukturen in Kontakt.“ Jetzt, wo die Dschihadisten ihren „Heiligen Krieg“ immer mehr auf Europa konzentrieren, ist das für Deutschland eine potentiell gefährliche Situation.

Etwa 260 Syrien- und Irak-Dschihadisten sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt.

Für ganz Deutschland wurden bis Ende 2015 über 780 Dschihadisten-Ausreisen gezählt. Möglicherweise 130 von ihnen sind in Syrien oder Irak ums Leben gekommen. Ein Drittel der Syrien- und Irak-Dschihadisten ist wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Von den bis Mitte 2015 gezählten 64 niedersächsischen Dschihadisten-Ausreisen sollen nach Angaben der Landesregierung 13 ums Leben gekommen sein, drei davon als Selbstmordattentäter. Das berichtete im vergangenen Oktober wieder die Hildesheimer Allgemeine Zeitung. 22 der Terrorkrieger sollen wieder nach Niedersachsen zurückgekehrt sein (Stand Oktober 2015).

Fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die sich dem Dschihad angeschlossen haben, standen zuvor mit salafistischen Strukturen in Kontakt.

Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums für 2015

Aber nicht nur die Dschihad-Werbung der Salafisten stellt für die Bundesrepublik ein Risiko dar. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Bundes notiert auch Versuche der Salafisten, muslimische Migranten – „etwa 70 Prozent der in Deutschland eintreffenden Flüchtlinge sind Muslime“ – anzusprechen und zu werben. Tatsächlich berichtete das Göttinger Tageblatt (Auflage: 27.000) schon im Februar 2015, also deutlich vor der großen Völkerwanderung im Sommer und Herbst des vergangenen Jahres, von „salafistischen Aktivisten, die in der Göttinger Innenstadt gezielt Migranten aus Krisengebieten ansprächen“. Der Göttinger Salafisten-Szene sollen derzeit etwa 50 Personen angehören.

Salafismus − „reformatorische“ Bewegung des Islam

Eine gute Erläuterung des Phänomens des Salafismus bietet der jüngste Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums (S. 171):

„Salafisten sehen sich als Verfechter eines ursprünglichen, unverfälschten Islam. Sie geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran, dem Vorbild des Propheten Muhammad und der ersten drei muslimischen Generationen, den sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arab. al-salaf al-salih), auszurichten. In letzter Konsequenz versuchen Salafisten, einen ‚Gottesstaat‘ nach ihrer Auslegung der Regeln der Scharia zu errichten, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung keine Geltung mehr haben soll.“

Die grundsätzliche Bejahung von Gewalt ist ein immanenter Bestandteil salafistischer Ideologie, wie der Bericht weiter ausführt:“… Dennoch ist festzustellen, dass der politische Salafismus ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele pflegt, da religiös legitimierte Gewalt nicht prinzipiell ausgeschlossen wird. Nach salafistischer Islamauslegung muss der universelle Geltungsanspruch des Islam aufgrund seiner Überlegenheit und nach göttlichem Heilsplan der gesamten Menschheit zuteil werden und notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Damit ist die grundsätzliche Bejahung von Gewalt ein immanenter Bestandteil salafistischer Ideologie. Die Grenzen zwischen politischem und gewaltbereitem/jihadistischem Salafismus verschwimmen zunehmend.“

Hinzuzufügen wäre: Salafisten wollen zurück zu einem als ursprünglich verstandenen Islam. Man darf sie darum als eine „reformatorische Bewegung des Islam” bezeichnen. Der Salafismus ist denn auch nicht etwa eine radikale sektiererische Randerscheinung des Islam, sondern eine durchaus verbreitete und theologisch ernsthafte islamische Strömung, die sich auf jahrhundertealte islamische theologische Schulen beziehen kann. Saudi-Arabiens Wahabiten gelten als Salafisten − nicht alle Salafisten sind Wahabiten, aber alle Wahabiten sind Salafisten − und ebenso natürlich die Anhänger des selbsternannten Kalifen des Islamischen Staates.