Bundespräsident Joachim Gauck und Partnerin Daniela Schadt. (Foto: Xinhua/imago)
Bundespräsident Gauck

Skepsis bei Volksentscheiden auf Bundesebene

Bundespräsident Joachim Gauck bricht eine Lanze für Europa und spricht über seinen "Schock" nach dem Brexit-Votum. Beim Thema direkte Demokratie nimmt das Staatsoberhaupt eine "differenzierte Meinung" ein. Die repräsentative Demokratie habe sich - zumindest auf Bundesebene - in vielen Feldern bewährt.

Im Interview mit der BILD-Zeitung hat sich Bundespräsident Joachim Gauck zur aktuellen politischen Großwetterlage geäußert. Das Votum der Briten etwa, die Europäische Union verlassen zu wollen, habe ihn „schockiert“, sagte Gauck dem Springer-Blatt. „Ich war traurig und habe mich gefragt: Was soll das?“, sagte Gauck. Manchmal denke er sich, Völker seien – wie auch Einzelpersonen – „mal mehr und mal weniger von Ängsten geleitet. Und beim Brexit haben Ängste wohl eine starke Rolle gespielt“, stellte der Bundespräsident fest. Dennoch zeigte sich Gauck zuversichtlich, dass Europa diese Krise gemeinsam meistern werde. „Wir haben in der EU viele stabile Demokraten, eine Reihe von Ländern hat gute Wirtschaftsdaten und wir sind uns in Europa im Großen und Ganzen über mehr Dinge einig als uneinig“, so Gauck.

Gauck sieht Volksentscheide im Bund skeptisch

Die spätestens seit dem Brexit schwelende Debatte um mehr Volksentscheide bei gravierenden politischen Weichenstellungen sieht Gauck dagegen skeptisch. Früher sei er ein Anhänger von Volksentscheiden gewesen, betonte der Präsident. „Inzwischen habe ich einige Erfahrungen damit gesammelt und sehe es differenzierter.“ Auf kommunaler und Landesebene würden Volksentscheide oft genutzt – auf Bundesebene aber hält Gauck die repräsentative Demokratie für „die beste Antwort auf die komplizierten Probleme unserer Zeit“. Es gebe Themen, wie etwa Sicherheit, Steuern oder die Währungspolitik, bei denen man eine Fragestellung nicht auf ein einfaches Ja oder Nein herunterbrechen könne, so der Bundespräsident. „Oft müssen schwierige Kompromisse gefunden werden, die mit Volksentscheiden nicht möglich sind.“

Oft müssen schwierige Kompromisse gefunden werden, die mit Volksentscheiden nicht möglich sind.

Joachim Gauck

CSU debattiert über direkte Demokratie

In der CSU gibt es zu diesem Thema ebenfalls leidenschaftliche Debatten – und verschiedene Meinungen. Parteichef Horst Seehofer etwa ist seit jeher ein Freund von Volksabstimmungen, auch im Bund. Der Ministerpräsident spricht oft und gerne von einer „Koalition“, die er mit den Bürgern eingegangen sei.

Ich bin in einer Koalition mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Horst Seehofer

Schon kurz nach dem Brexit-Votum hatte Seehofer seine Ansicht bekräftigt, auch in Deutschland müsse es bundesweite Volksabstimmungen geben. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt dagegen teilte mit, die Bundestagsabgeordneten der Christsozialen stünden der Idee skeptisch gegenüber – gerade nach dem Brexit-Votum, dessen Anhänger durch viele Falschbehauptungen die Volksmeinung manipulierten.

Bislang sind im Grundgesetz nur in Ausnahmefällen bundesweite Volksabstimmungen vorgesehen. Um diese einzuführen, müsste man also die Verfassung ändern. Ausdrücklich geregelt sind im Grundgesetz nur Volksentscheide bei der Neuordnung des Bundesgebiets – und wenn die Verfassung selbst zur Disposition steht.