CSU-Chef Ministerpräsident Horst Seehofer. (Bild: Anja Schuchardt)
CSU-Parteivorstand

„Die Visafreiheit würde die Probleme der Türkei importieren“

Als Reaktion auf die Terrorgefahr kündigt Ministerpräsident Seehofer "stärkere Sicherheitsanstrengungen" in Bayern und Deutschland an. Dabei betont der CSU-Chef aber: Absolute Sicherheit kann es nicht geben. Den gescheiterten Putsch in der Türkei und die Reaktionen Erdogans betrachtet Seehofer mit Sorge. Auch CSU-Vize Manfred Weber bezweifelt die Rechtsstaatlichkeit des Landes.

Der schreckliche Terroranschlag von Nizza und die Krise nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei waren die bestimmenden Themen bei der Sitzung des CSU-Parteivorstandes. Als Reaktion auf die Anschläge der vergangenen Monate – allen voran der wahrscheinlich islamistisch motivierten Amokfahrt über die Strandpromenade der französischen Stadt – kündigte Parteichef Horst Seehofer Konsequenzen auch im deutschen Recht an. „Wir werden unsere Sicherheitsanstrengungen verstärken“, sagte der CSU-Chef nach der mehrstündigen Beratung mit dem Vorstand in München.

„Sicherheitsanstrengungen werden verstärkt“

Gerade in Bayern lebe man nach dem Sprichwort „Leben und leben lassen“, betonte der Ministerpräsident. Dennoch sieht er Handlungsbedarf. „Bei Themen wie dem Informationsaustausch – auch mit dem Ausland – müssen wir über die Änderung von Rechtsgrundlagen nachdenken“, sagte Seehofer. Bayerns Justizminister Winfried Bausback und Innenminister Joachim Herrmann seien mit der Erarbeitung neuer Konzepte befasst.

Putsch „nicht zu rechtfertigen“

Für den Putsch in der Türkei vom vergangenen Wochenende hatte Seehofer kein Verständnis. „Ich hatte eigentlich nicht gedacht, dass in der heutigen Zeit noch jemand auf die Idee kommen könnte, eine Regierung wegzuputschen“, hatte Seehofer schon vor Beginn der Vorstandssitzung zu Protokoll gegeben. Der Putsch sei „mit Nichts zu rechtfertigen“. Aber auch die Aufarbeitung der Vorfälle durch den türkischen Staat sehe er jetzt „mit wachsender Sorge“, sagte der Ministerpräsident.

Aufarbeitung des Putsches „Bewährungsprobe für die Türkei“

Für das türkische Regime seien Analyse und Konsequenzen des Putsches jetzt eine „Bewährungsprobe“. „Ankara muss jetzt zeigen, dass man mit den Werten des Rechtsstaats und auf der Basis unserer europäischen Grundlagen aufarbeiten kann“, sagte Seehofer.

Konsequenzen für EU-Beziehungen zur Türkei

Für Deutschland und die EU aber müssten die Entwicklungen in der Türkei Konsequenzen im Umgang mit dem Land haben. „Die CSU ist da in ihrer Ausrichtung klar“, sagte etwa Generalsekretär Andreas Scheuer. „Es kann jetzt keine weiteren Gespräche über eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union geben.“ Eine Aussage, die auch Horst Seehofer unterstützt. Die Forderung der Türkei nach einer Visafreiheit für ihre Bürger ist für den Ministerpräsidenten spätestens jetzt auch vom Tisch. „Mit einer Visafreiheit würden wir uns die Probleme der Türkei nach Deutschland und Bayern importieren“, betonte Seehofer.

Auch Bayerns Innenminister Joachim Hermann warnte vor einer Zunahme der Gewalt unter Türken in Deutschland. Die Gefahr einer Eskalation des Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Erdogan sei auch in Deutschland gestiegen, sagte er dem Münchner Merkur. Durch die türkische Gesellschaft gehe „ein tiefer Riss“.

Mit einer Visafreiheit würden wir uns die Probleme der Türkei importieren.

Horst Seehofer

Und auch die aktuelle Debatte um die Bundeswehrsoldaten im türkischen Incirlik sieht Bayerns Ministerpräsident mit Sorge. „Es ist auf Dauer nicht hinnehmbar, dass die Türkei deutschen Abgeordneten den Besuch verweigert“, stellte Seehofer klar. Als wahrscheinliche Reaktion auf die Verabschiedung einer Resolution zum Völkermord der Türken an den Armeniern vor einhundert Jahren weigert sich das Regime in Ankara, deutsche Bundestagsabgeordnete nach Incirlik zu lassen – ein Umstand, der bereits für heftige Empörung gesorgt hat.

Seehofer bei weiteren Einsätzen in der Türkei skeptisch

Wie viele Abgeordnete sieht auch der Ministerpräsident dann die Grundlage für weitere Bundeswehreinsätze in der Türkei nicht mehr gegeben. Man bemühe sich auf diplomatischer Ebene seit Wochen um eine Lösung – „aber wenn die Türkei trotz aller Bemühungen und aller Diplomatie stur bleibt, kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Parlament, dass seine Soldaten nicht besuchen darf, mit Begeisterung weiteren Einsätzen in dem Land zustimmt.“

EU-Mitgliedschaft in weiter Ferne

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sieht kaum mehr Chancen für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Nach dem Putsch-Versuch seien die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei an einem Wendepunkt angelangt, sagte der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament am Montag im Deutschlandfunk. „Gerade die Grundsatzfrage, ob die Türkei ein Mitglied der Europäischen Union werden kann, wird in den nächsten Wochen grundsätzlich auch zu beantworten sein“, sagte er. Mit den jüngsten Entwicklungen sei eine solche Mitgliedschaft in weite Ferne gerückt.

Dass in den Beitrittsverhandlungen momentan irgendwelche Fortschritte erzielt werden könnten, „das scheint mir ziemlich irreal zu sein“, ergänzte Weber. Der richtige Weg sei, mit der Türkei wie mit anderen Nachbaren punktuell zusammenzuarbeiten und Abkommen zu schließen, etwas in der Flüchtlingsfrage. Man müsse dabei aber von einigen Vorstellungen Abschied nehmen. „Und dazu zählt für mich, dass die Türkei Vollmitglied der Europäischen Union werden kann“. Eine Zusammenarbeit brauche Ehrlichkeit, damit Vertrauen wieder wachsen könne.

Die Ankündigungen, die Todesstrafe einzuführen, und die offensichtlich vorbereiteten Listen von Tausenden von Beamten und Richtern, die jetzt aus dem Verkehr gezogen werden, deuten darauf hin, dass es in der Türkei Entwicklungen gibt, die weit weg vom Rechtsstaat sind.

Manfred Weber

Weber forderte von der EU und der Türkei Besonnenheit im Umgang mit der aktuellen Situation. „Wir sollten keine Schnellschüsse an den Tag legen, im Sinne von Drohungen aussprechen“, sagte er mit Blick auf die EU. Die Türkei sollte die Lage nicht weiter eskalieren. Das Land müsse auf alle Fälle mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Beteiligten an dem jüngsten Putsch-Versuch vorgehen. „Die Ankündigungen, die Todesstrafe einzuführen, und die offensichtlich vorbereiteten Listen von Tausenden von Beamten und Richtern, die jetzt aus dem Verkehr gezogen werden, deuten darauf hin, dass es in der Türkei Entwicklungen gibt, die weit weg vom Rechtsstaat sind“, sagte Weber am Montag vor der CSU-Vorstandssitzung in München. Dies müsse man im Auge behalten. Er sprach von einer „sehr instabilen Situation“.

(dpa/dos)