Es ist schon eine seltsame Koalition, die derzeit Stimmung macht gegen die Freihandelsverträge der EU: CETA mit Kanada und TTIP mit den USA. Da treffen sich unter anderem Zukunfts-, Technik- und Fortschrittsskeptiker mit Marktwirtschaftskritikern, Linkssozialisten mit Deutschnationalen, Vergangenheitsromantiker, Umweltaktivisten, Globalisierungskritiker mit Besitzstandswahrern, atheistische Gewerkschaftler mit kirchlichen Arbeitnehmervertretern und besorgten Rentnern, Putinverstehern und Amerikahassern. Parteipolitisch ausgedrückt geben sich an den Infoständen, an denen Unterschriften für das Volksbegehren gegen TTIP und CETA gesammelt wird, viele Grüne, Freie Wähler und ÖDPler ein Stelldichein mit manchen Anhängern der AfD und der Linkspartei.
Natürlich gibt es auch ernsthafte Gegner der beiden Abkommen mit berechtigten Einwänden. Denn wohlgemerkt: Es gibt gute Gründe, die beiden Handelsabkommen zu kritisieren, allen voran fehlende Transparenz. Man muss auch im Vorfeld schon darauf achten, dass wichtige Standards im Verbraucher- oder Umweltschutz nicht abgesenkt werden, dass die Schiedsgerichte nicht die ordentliche Gerichtsbarkeit aushebeln und vieles andere mehr. Doch einem großen Teil der Gegner geht es gar nicht darum.
Wenn CETA scheitert, wäre im Endeffekt auch TTIP tot.
Mit den Unterschriften will das Bündnis ein Volksbegehren auf bayerischer Ebene durchsetzen, das letztlich die Staatsregierung verpflichten soll, im Bundesrat gegen CETA zu stimmen. Wenn CETA scheitert, wäre im Endeffekt auch TTIP tot, an dem derzeit noch verhandelt wird. Hauptinitiatoren des Volksbegehrens sind der Bund Naturschutz, das Umweltinstitut München, die Volksbegehren-Spezialisten „Mehr Demokratie“, die linke Propagandamaschinerie „Campact“ sowie die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB). Da allein binnen eines Tages bayernweit 50.000 Unterstützungsunterschriften zusammengekommen sind – nötig wären nur 25.000 Unterschriften gewesen – dürfte es wohl bald zur zweiten Stufe kommen, einem Volksbegehren mit offizieller Unterschriftensammlung. Dann müssen mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten mit Personalausweis im Rathaus vorstellig werden und in offiziellen Listen unterschreiben.
Wen die Beteiligung der KAB überrascht, dem sei mitgeteilt, dass bei den weiteren Unterstützern auch der Katholische Frauenbund (KDFB), die Katholische Jugend (BDKJ) und der Kolping-Verband zu finden sind – einträchtig neben der Linkspartei, den Grünen, den Freien Wählern, der ÖDP, den selbsternannten Verbraucherschützern von Foodwatch, der Gewerkschaft GEW, der Arbeiterwohlfahrt, diversen Anti-Atomkraft-Bündnissen und die sogenannten Globalisierungskritiker von der Attac-Gruppe, deren Mitgründer Joseph Bové 1999 durch die ideologisch motivierte gewaltsame Zerstörung der McDonalds-Filiale im französischen Millau bekannt wurde.
Angst vor Zukunft und offenen Märkten
Was eint den Teil der Kritiker, dem es nicht um die angesprochenen ernsthaften Einwände geht? Von diesen meist linken Gegnern wird TTIP und CETA Folgendes vorgeworfen: ungezügelter Kapitalismus, Verlust von Arbeitnehmerrechten, Stärkung der Großindustrie zu Lasten der kleine Betriebe und der Kleinbauern, Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Der Erfolg, binnen eines einzigen Tages 50.000 Unterschriften von oft ahnungslosen Bürgern zu sammeln, ist damit aber nicht zu erklären. Den Inhalt von TTIP kann noch keiner kennen, da das Abkommen nicht fertig ausgehandelt ist und zudem geheim verhandelt wird. Und den mittlerweile im Internet abrufbaren deutschen Text des CETA-Vertrages hat wohl auch kaum einer gelesen. Für viele Unterzeichner reichen anscheinend allein die Behauptungen in einem Propaganda-Flyer des Gegner-Bündnisses. Nach dem Motto: Nichts Genaues weiß man nicht, aber prophylaktisch sind wir mal dagegen.
Was diese Anti-CETA-Propagandisten ansprechen, ist auch das Bauchgefühl der Bürger – Angst vor dem Ungewissen, der Zukunft, vor Amerika, vor der Kälte der großen weiten Welt, vor offenen Märkten, der offenen Gesellschaft und vor dem internationalen Wettbewerb. Nach rund 60 Jahren deutschem Wohlfahrtsstaat, in dem sich nicht zuletzt die hier klagenden Organisationen so wohlig eingerichtet haben, mit dem hunderte Milliarden teuren Sozialstaat und all den Kündigungsschutzklauseln und Arbeitnehmer-Mitbestimmungsrechten. Da wirkt das schon irgendwie bedrohlich, wenn man es entsprechend darstellt – was ja nicht unbedingt mit der Realität zu tun haben muss.
Die Behäbigkeit gefährdet Deutschlands Zukunft
Aber das Problem geht wesentlich über das Thema CETA und TTIP hinaus, bis tief in die Köpfe der Deutschen hinein: Es hat sich eine allgemeine Fortschrittsskepsis breitgemacht, eine Angst, die Deutschland lähmt, die sich wie Mehltau über das Land legt. Man muss gar nicht mit den Beispielen Bau einer Schnellstraße (Nordanbindung Nürnberg), eines Bahnhofs (Stuttgart) oder der Erweiterung eines Flughafens (München) anfangen.
Schon jeder verzweifelte Kommunalpolitiker, der in den vergangenen Jahren einmal versucht hat, eine Fabrik mit vielen Arbeitsplätzen, aber auch erhöhtem Verkehrsaufkommen und Lärmemission anzusiedeln, der versucht hat, ein neues Wohngebiet auszuweisen oder auch nur eine neue Straße zu bauen, kann von dem Phänomen ein Liedchen singen. Man nennt diesen gesellschaftlichen Mehltau etwas augenzwinkernd auch die „Anwohneritis“. Die Amerikaner sagen dazu: „NIMBY“ – „Not In My Back Yard / Nicht in meinem Hinterhof“.
Der Satz ‚Mein Kind soll es einmal so gut haben wie ich‘ ist der Schlachtruf einer untergehenden, absterbenden Gesellschaft.
Natürlich haben solche Entscheidungen im Einzelnen auch Nachteile, für die Menschen, für die Umwelt, für die Finanzen und so fort. Natürlich ist nicht jeder Bau ein Fortschritt. Und die Intransparenz der CETA- und TTIP-Verhandlungen ist wie gesagt durchaus kritikwürdig, ebenso einzelne Punkte der Abkommen. Doch um den Teil der Gegner, der sich ernsthaft mit CETA und TTIP auseinandersetzt, geht es hier nicht.
Gefährlicher Paradigmenwechsel: Die deutsche Krankheit
Eines ist bedenklich: Aus dem Motto der Kriegsgeneration „Mein Kind soll es einmal besser haben“ ist die Parole der heutigen grünen Post-68er geworden: „Mein Kind soll es einmal so gut haben wie ich.“ Das hört sich nach einem nur minimalen Unterschied an, aber es markiert nicht weniger als einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel.
Während das erstere Motto Optimismus, Dynamik, Fortschritt, Innovation und Entwicklung ausdrückt, zieht sich die zweite Parole äußerst defensiv auf die Bewahrung des derzeitigen Besitzstandes zurück, verrät die Skepsis einer mutlosen, pessimistischen Truppe nach dem Motto: Das beste war schon, ab jetzt kann es nur schlimmer werden, nach mir die Sintflut. Da sprechen letztlich wohlstandsverwöhnte Spießbürger und Überängstliche.
Noch schärfer zugespitzt: Der Satz „Mein Kind soll es einmal so gut haben wie ich“ ist der Schlachtruf einer untergehenden, absterbenden Gesellschaft, die mit ihrer prinzipiellen Fortschrittsskepsis der heutigen Jugend genau die Chancen raubt, die eine Generation früher mit dem damaligen Aufbruchsgeist noch bestanden.
Kann das Exportland Deutschland etwas gegen Freihandel haben?
Während nämlich jedem Geschäftsmann klar ist, dass Stillstand unweigerlich Rückschritt bedeutet, versuchen die lang nach dem Krieg aufgewachsenen heutigen Wohlstandsbürger, staats- und selbstverliebt, krampfhaft ihren Besitzstand zu wahren und jede Veränderung zu blockieren. Sie ziehen die Zugbrücke hoch und verschanzen sich in ihrem intellektuellen Bunker. Wehe, einer kommt ihnen zu nah. Dabei vergessen sie aber, dass auch der auf seine Rechte pochende Arbeitnehmer nicht von der Bundesdruckerei bezahlt wird, sondern von einem Unternehmen, das in aller Regel in einem harten internationalen Wettbewerb steht.
Viele Länder sind gerne dazu bereit, Deutschland von seinem Wohlstand zu befreien, wenn es diesen nicht mehr haben will.
Gerade eine Bevölkerung, die dermaßen vom Export lebt wie die deutsche, sägt mit dem Widerstand gegen Freihandelsabkommen langfristig genau den Ast ab, auf dem sie sitzt. Stillstand bedeutet schon allein deshalb Rückschritt, weil es genügend hungrige Konkurrenten – Individuen, Firmen wie auch ganze Wirtschaftsräume – aus vielen Gegenden der Welt gibt, die sofort in die Lücken springen, die eine unflexible, veraltete Volkswirtschaft übriglässt. Sagen wir es sarkastisch: Viele Länder sind gerne dazu bereit, Deutschland von seinem Wohlstand zu befreien, wenn es diesen nicht mehr haben will.
Alle grundsätzlichen Kritiker des freien Welthandels mögen doch bitte bedenken, dass auch die hunderte Milliarden Euro, die jährlich in den Mühlen des deutschen Sozialstaates umgewälzt werden und die mehrere Millionen Menschen alimentieren, nicht einfach gedruckt, sondern erst einmal erwirtschaftet werden müssen – ehe sie dann den Leistungsträgern, den fleißigen Arbeitnehmern und Unternehmen, mittels Steuern und ständig steigender Abgaben weggenommen werden. Ein bisschen grundlegende Information über wirtschaftliche Zusammenhänge und Abhängigkeiten des Exportlandes Deutschland wäre gar nicht schlecht in einem Moment, in dem man sich eine Meinung über ein internationales Handelsabkommen bildet.
Warum schweigen denn die EU und die Wirtschaftsverbände?
Andererseits reibt sich der Beobachter aber auch verwundert die Augen und fragt sich, wo denn die EU bleibt, die den CETA-Vertrag ausgehandelt hat, wo die Wirtschaftsverbände bleiben, und all die anderen politischen Unterstützer der Verträge? Haben sie nichts zu sagen? Haben sie keine Argumente? Gerade die mittelständische Exportwirtschaft hatte doch angeblich CETA begrüßt, weil nun erstmals auch kleine europäische Betriebe einen fairen Marktzugang in Kanada erhalten. Wo sind denn diese Argumente? Wo bleiben die Pro-CETA-Infostände?
Während die Befürworter der Abkommen CETA und TTIP kollektiv einem kontemplativen Schweigeorden beigetreten zu sein scheinen oder sich möglicherweise in innere Emigration geflüchtet haben, trommeln die kampagnenerfahrenen Propagandisten von Links und Linksaußen á la Campact, Foodwatch, Bund Naturschutz und Attac schon seit Monaten wie wild. Die Befürworter der Verträge, selbst wenn diese letztlich in Ordnung sein sollten, laufen schon jetzt Gefahr, dass ihre Argumente überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden angesichts des öffentlichen Trommelfeuers und der Horrorvisionen, die die CETA-Gegner an den Infoständen zeichnen.
Was gar nicht geht, ist die Methode Gabriel
Klartext ist hier dringend nötig: Braucht Deutschland, braucht Europa wirklich die Verträge CETA und TTIP? Wenn ja, dann müssen deren Befürworter, von der EU über Minister Gabriel bis zum BDI, gefälligst auch dafür kämpfen. Wenn Deutschland diese Abkommen aber nicht braucht, dann sollte man sie rasch für tot erklären und schreddern. Dann muss man das aber auch klar sagen. Was aber überhaupt nicht geht, ist die Methode Gabriel: Der SPD-Chef und Bundeswirtschaftsminister zeichnet nämlich mitverantwortlich für die Verträge und ist damit logischerweise der geborene Befürworter.
Angesichts der nahenden Bundestagswahl 2017 und des Widerstands beim linken Flügel seiner Genossentruppe sowie seiner Wunschkoalitionspartner Grüne und Linkspartei macht er nun aber den Kerkeling („Ich bin dann mal weg“) und distanziert sich zunehmend von CETA und TTIP. Gabriels Plan, nun der Union und der FDP den politischen Kampf für diese Verträge überlassen zu wollen und sich selber billig aus der Verantwortung zu stehlen, ist zwar typisch Gabriel, aber es ist in hohem Maße unfair und zweitens verantwortungslos. Solche Handlungsweise zeugt nicht von Regierungsfähigkeit und gibt den Ahnungslosen Rückenwind.