Der Beruf Erzieher soll attraktiver werden - durch kürzere Ausbildungszeiten. (Bild: imago/epd)
Ländervergleich

Kinderbetreuung mal wieder am Pranger

In den Krippen und Kindergärten in Deutschland kümmern sich immer mehr Erzieher um den Nachwuchs. Dies hat der Ländermonitor Frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung ermittelt. Heftige Kritik an dem "Zahlensalat" kam allerdings von Bayerns Sozialministerin Emilia Müller. Verschiedene Daten würden für den Freistaat Bayern einfach weggelassen. Die Studie verunsichere deshalb unnötig.

Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung kommen bundesweit 9,3 Kinder auf eine Fachkraft. 2012 waren es noch 9,8 Kinder. Bei der Ganztagsbetreuung in Krippen kommen auf einen Erzieher oder eine Erzieherin 4,3 Kinder, drei Jahre zuvor waren es noch 4,8. Für eine kindgerechte Betreuung empfehlen die Experten der Stiftung aber einen Schlüssel von 1 zu 3 bei den unter Dreijährigen und von 1 zu 7,5 bei den Kindergartenkindern.

Große regionale Unterschiede

Es gibt aber große Unterschiede zwischen den Ländern: Bundesweiter Spitzenreiter beim Personalschlüssel sowohl im Krippen- (1 zu 3,0) als auch im Kindergartenbereich (1 zu 7,3) ist Baden-Württemberg. Schlusslicht bei den jüngeren Kindern ist Sachsen (1 zu 6,4) und bei den älteren Kindern Mecklenburg-Vorpommern (1 zu 14,1). So betreut laut der Studie in Mecklenburg-Vorpommern eine Fachkraft im Schnitt fast doppelt so viele Kindergartenkinder wie in Baden-Württemberg. Im Osten müssen sich Erzieherinnen um deutlich mehr U3-Kinder kümmern (1 zu 6,1) als im Westen (1 zu 3,6). Die Personalschlüssel für die Kindergartengruppen sind in den westdeutschen Ländern im Durchschnitt ebenfalls besser (West 1 zu 8,6; Ost 1 zu 12,3). Die Studienautoren heben zwar den positiven Trend hervor, beklagen aber, dass Bildungschancen je nach Wohnort eines Kindes unterschiedlich ausfallen. „Der Kita-Besuch allein verbessert nicht die Bildungschancen der Kinder. Es kommt auf die Qualität der Angebote an“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Bundesweit fordert die Stiftung mit Sitz in Gütersloh zusätzlich ganze 107.000 Vollzeitstellen für Erzieher in Krippen und Kindergärten. Das würde 4,8 Milliarden Euro kosten. „Die Finanzierung erfordert eine gewaltige Kraftanstrengung, die von Bund, Ländern, Kommunen, Trägern und Eltern nur gemeinsam zu stemmen ist“, sagt Dräger. „Bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für Kitas sind für mehr Chancengerechtigkeit notwendig. Die Akteure im Kita-System müssen sich dafür auf kindgerechte Standards für die Personalausstattung verständigen.“

Zahlen des Statistisches Bundesamtes bestätigen den bundesweiten Trend. Die Statistiker meldeten für 2015 einen Anstieg der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in den Kitas im Vergleich zum Vorjahr um 5,2 Prozent. Seit 2008 sei die Beschäftigtenzahl in diesem öffentlichen Sektor um 44 Prozent gestiegen. Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitors sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik und weiteren amtlichen Statistiken. Stichtag für die Datenerhebung war der 1. März 2015.

Bertelsmann über Bayern

In Bayern ist laut „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft durchschnittlich für 3,8 ganztags betreute Krippen- oder 8,8 Kindergartenkinder zuständig. Damit sind die Personalschlüssel in Bayern zum 1. März 2015 für beide Altersgruppen etwas ungünstiger als der westdeutsche Durchschnitt (1 zu 3,6 und 1 zu 8,6).

Insgesamt sind die Personalschlüssel in Bayern leicht besser geworden: 2012 kamen auf eine Erzieherin noch 4,0 Krippen- beziehungsweise 9,0 Kindergartenkinder. Im Ländervergleich liegt Bayerns Entwicklung der Betreuungsrelation im Krippenbereich im Mittelfeld. Im Kindergartenbereich haben sich die Verhältnisse in Bayern, Sachsen und Hessen am geringsten verbessert. Dahinter liegen nur Brandenburg und Thüringen, wo es gar keine Veränderung gab.

Noch keine kindgerechten Personalschlüssel in Bayern erreicht

In Bayern besuchen 25 Prozent der unter Dreijährigen Kinder und 93 Prozent der Kinder zwischen drei und unter sechs Jahren eine Kindertageseinrichtung. Um all diesen Kindern eine gute Kita-Qualität zu bieten, ist ein kindgerechtes Betreuungsverhältnis wichtig, so die Studienautoren. Und weiter: „Bayern hat trotz der Verbesserungen ähnlich wie die meisten anderen Bundesländer noch immer keinen pädagogisch sinnvollen Wert erreicht.“ Nach den Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung sollte sich eine Erzieherin um höchstens 3 unter Dreijährige oder 7,5 Kindergartenkinder kümmern. Die bayerischen Werte 3,8 und 8,8 liegen allerdings nicht wesentlich über diesen Werten, das Jammern von Bertelsmann kann also nicht ganz überzeugen.

Die Autoren geben zu bedenken, dass das tatsächliche Betreuungsverhältnis im Kita-Alltag ohnehin ungünstiger ausfalle als der rechnerisch ermittelte Personalschlüssel. Erzieherinnen wendeten mindestens ein Viertel ihrer Zeit für Team- und Elterngespräche, Dokumentation und Fortbildung auf. Auch zunehmend längere Betreuungszeiten sowie längere Öffnungszeiten der Kitas verschlechterten die Betreuungsrelationen, wenn diese nicht durch zusätzliches Personal abgedeckt werden könnten.

8.800 zusätzliche Fachkräfte für Qualitätsausbau notwendig

Um die Personalschlüssel in Bayern auf das von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Niveau zu heben, sind danach weitere 8.800 vollzeitbeschäftigte Fachkräfte erforderlich (in Sachsen 16.900, in Nordrhein-Westfalen 15.600 und in Berlin 11.500). Dieses Personal würde nach Berechnungen der Stiftung jährlich rund 377 Millionen Euro kosten (in Sachsen 774 Millionen und in Nordrhein-Westfalen 698 Millionen Euro). Verglichen mit den derzeit im Kita-Bereich anfallenden Personalkosten in Höhe von 2,4 Milliarden Euro wäre das ein Anstieg um 16 Prozent.

Bayern fördert massiv den Ausbau von Kitas.

Emilia Müller, Bayerische Sozialministerin

Erforderlich ist aber nicht nur eine ausreichende Anzahl an Fachkräften, sondern auch gut qualifiziertes Personal. In Bayern verfügen laut Bertelsmann 50 Prozent der fast 84.000 pädagogisch Tätigen in Kitas über einen fachlich einschlägigen Fachschulabschluss, wie beispielsweise zur Erzieherin. Dies sei unter allen Bundesländern der geringste Anteil. Über den formal niedrigeren Berufsfachschulabschluss verfügen in Bayern 37 Prozent der Fachkräfte. Dies sei unter allen Bundesländern der höchste Wert. Bundesweit treffe dies nur auf 13 Prozent des Kita-Personals zu.

Bayerisches Sozialministerium:

„Dieser Termin hat Tradition: einmal im Jahr stellt die Bertelsmann Stiftung die deutschen Kindertageseinrichtungen an den Pranger, kritisiert deren Qualität und verunsichert damit das Fachpersonal, die Träger und die Kommunen“, konstatierte Bayerns Sozialministerin Emilia Müller. „Das reine Aufzählen von Personalschlüsseln und die stets negative Bewertung dieser Zahlen wird der komplexen, verantwortungsvollen Aufgabe der Kinderbetreuung und dem Engagement der Betreuerinnen und Betreuer nicht gerecht“, so Müller weiter.

Die Ministerin kritisierte außerdem die einseitige Darstellung im Ländermonitor: „Bayern fördert massiv den Ausbau von Kitas – seit 2008 zum Beispiel den Ausbau von Plätzen für Kinder unter drei Jahren mit rund 1,4 Milliarden Euro. So sind mehr als 70.000 neue Plätze für diese Altersgruppe entstanden, insgesamt gibt es bereits rund 110.000 in Bayern. Diese Zahl taucht im Ländermonitor nicht auf.“ Genauso wenig wie zum Beispiel die Entwicklung des pädagogischen Personals in den bayerischen Kindertagesstätten: seit 2006 verzeichneten die Betreuerinnen und Betreuer einen Zuwachs von 76 Prozent (deutschlandweit nur 56 Prozent). Unerwähnt blieben im Ländermonitor auch die umfangreichen Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. „Diese – sehr positiven – Zahlen und Fakten sprechen eine ganz andere Sprache als der Ländermonitor. Eltern können sich in Bayern darauf verlassen, dass ihre Kinder sehr gut betreut werden“, erklärte die Ministerin.

Dazu brauchen wir allerdings keinen Zahlensalat und keine negativen Kommentare, sondern moderne Konzepte und innovative Strategien.

Emilia Müller

Dazu gehöre auch ein Modellprojekt zur Qualitätssteigerung in den Kitas. 80 Berater sind seit März 2016 im Freistaat unterwegs, um vor Ort in den Kindertagesstätten die Qualität der pädagogischen Arbeit zu sichern und mit den Teams weiterzuentwickeln. Über 1000 Kitas nehmen derzeit daran teil – die Reaktionen sind überaus positiv. „Wir wollen die Kinderbetreuung in Bayern immer weiter verbessern. Dazu brauchen wir allerdings keinen Zahlensalat und keine negativen Kommentare, sondern moderne Konzepte und innovative Strategien wie zum Beispiel unsere Qualitätsbegleiter. Das macht effektive Familienpolitik aus – so wie wir sie in Bayern betreiben wollen“, sagte Müller abschließend.

Die Forderung von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) nach einem Bundesqualitätsgesetz für Kitas lehnt Müller zugleich entschieden ab: „Ein Bundesgesetz bedeutet in den meisten Fällen, dass der kleinste gemeinsame Nenner festgeschrieben wird. Deshalb bin ich für eine Länderlösung, damit sich nicht die niedrigsten Anforderungen durchsetzen, sondern jedes Bundesland individuell seine Ziele und Standards festlegen kann.“

Andere Kritikpunkte

Was Müller nicht erwähnt: Bei allen staatlichen Aufgaben muss immer abgewogen werden, welche Aufgabe wie viel Geld erhält. Das machen die Landesregierungen natürlich unterschiedlich, je nach Parteizugehörigkeit. Grüne und Rote sehen den Staat als Allheilmittel in der Kinderbetreuung und fördern auf Teufel komm raus diese Art der Betreuung. Sie benachteiligen dadurch allerdings jene Eltern, die ihre Kinder lieber zu Hause betreuen, wie sich auch beim rot-grünen Widerstand gegen das Betreuungsgeld zeigte. Man müsste also alle Länderaufgaben miteinander vergleichen und eine objektive Gewichtung dafür einführen, um ein vernünftiges Ergebnis zu erhalten. Beispielsweise liegt Bayern etwa bei Infrastrukturausgaben bundesweit auf Platz 1, wie kürzlich eine andere Bertelsmann-Studie ergab. Auch bei der Bildung, Forschung, Investitionen, Digitalisierung und in wirtschaftlichen Fragen liegt Bayern immer weit vorn.

Würde Bayern zudem die jährlich mittlerweile mehr als fünf Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich behalten dürfen, die der Freistaat in 12 bis 13 andere schlecht wirtschaftende Bundesländer pumpen muss, so wäre auch mehr Geld für Personal in Kinderbetreuungseinrichtungen oder Schulen da. Gerade die meist rot-grün regierten Empfängerländer verwenden das bayerische Geld, um es in die Kinderbetreuung zu stecken – die, wie schon gesagt, das ideologisch bedingte Steckenpferd linker Parteien ist.