Könnte Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat zuvorkommen: Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zum außenpolitischen Leitantrag am SPD-Parteitag. (Foto: Markus Heine/imago)
Außenminister Steinmeier

Der Anwalt des Kreml

Kommentar Auf heftigen Widerstand ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit seiner Kritik an Nato-Manövern zur Abschreckung Russlands gestoßen. Man sollte nicht durch "lautes Säbelrasseln" die Lage anheizen, sagte Steinmeier. Er unterschlug dabei, dass es Putin war und ist, der ständig mit dem Säbel rasselt, indem er Krieg gegen die Ukraine führt und Flugzeuge NATO-Luftraum verletzen lässt.

Angesichts der Militärmanöver in Osteuropa und vor dem Nato-Gipfel in Polen hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der „Bild am Sonntag“ vor einer Fokussierung auf Abschreckungsmaßnahmen gegen Russland gewarnt. „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt.“ Es wäre „fatal, jetzt den Blick auf das Militärische zu verengen“. Die Geschichte lehre, dass es neben dem gemeinsamen Willen zur Verteidigungsbereitschaft auch immer die Bereitschaft zum Dialog und Kooperationsangebote geben müsse. Er überging dabei die Tatsache, dass die von ihm gepriesene Entspannungspolitik (Willy Brandts) der 70er Jahre nur unter der Voraussetzung glaubhafter Abschreckung durch die Nato funktionierte. Man habe ein Inter­esse daran, so Stein­meier in der BamS-Vorabmeldung, „Russ­land in eine inter­na­tio­nale Ver­ant­wor­tungs­part­ner­schaft ein­zu­bin­den. Die Ver­hin­de­rung einer ira­ni­schen Atom­bombe, der Kampf gegen radi­ka­len Isla­mis­mus im Nahen Osten oder die Sta­bi­li­sie­rung liby­scher Staat­lich­keit sind dafür aktu­elle Bei­spiele.“ Steinmeier als Putin-Freund?

Kleine Korrekturen

24 Stunden nach der Vorabmeldung veröffentlichte das Außenministerium eine eigene Version der Zitate, die aber nur zum Teil ein wenig anders klangen. Die oben genannten Zitate werden jedenfalls nicht geleugnet. Danach habe Steinmeier der Zeitung auch Kritisches über Russland gesagt:

Mit der Krim-Annexion und dem militärischen Aktivitäten in der Ost-Ukraine hat Russland bei unseren östlichen Nachbaren ein Gefühl der Bedrohung entstehen lassen. Das müssen wir ernst nehmen. Deswegen war es richtig, eine gemeinsame Reaktion der NATO zu finden – das haben wir seit dem NATO-Gipfel in Wales mit den Rückversicherungsmaßnahmen getan. Wir weichen unserer Verantwortung nicht aus!

Niemand könne den vorgesehenen Umfang der NATO-Maßnahmen als Bedrohung für Russland werten, auch weil bei allen Maßnahmen die NATO-Russland-Grundakte strikt eingehalten worden sei. „Und deswegen müssen wir mit unseren Partnern auch wieder verstärkt über den Nutzen von Abrüstung und Rüstungskontrolle für die Sicherheit in Europa sprechen.“ Meinungsverschiedenheiten und Konflikte würden nicht „unter den Teppich“ gekehrt. „Mehr als 70 Jahre Frieden in Europa, jedenfalls ohne einen großen Krieg auf europäischem Boden, sind das kostbarste Gut, das wir haben. Ich jedenfalls werde dafür kämpfen, dass das nicht aufs Spiel gesetzt wird. Dafür gilt: Soviel Sicherheit, wie nötig – so viel Dialog und Kooperation, wie möglich“, so Steinmeier laut Auswärtigem Amt.

Das ändert jedoch rein gar nichts an den unglaublichen Äußerungen zur Nato.

Ein neuer kalter Krieg?

Am Dienstag hatte die Nato beschlossen, je 1000 Soldaten in Polen, Lettland, Estland und Litauen zu stationieren. Auch Deutschland will Truppen dafür bereitstellen. Das Bündnis will bei seinem Gipfeltreffen in Warschau am 8. und 9. Juli weitere Maßnahmen zum Schutz der Bündnispartner beschließen. Dem Treffen voraus gehen mehrere Militärübungen im östlichen Nato-Gebiet. Vor allem die Truppenübung „Anakonda“ in Polen, an der 31 000 Soldaten aus 24 Ländern teilnahmen, war in Russland auf Kritik gestoßen.

Die östlichen Mitgliedstaaten der Nato fühlen sich nicht erst seit der russischen Annexion der Krim vor gut zwei Jahren von ihrem mächtigen Nachbarn bedroht – denn auch sie haben teilweise große russische Minderheiten im Land, die Putin im Falle Georgiens und der Ukraine als Kriegsvorwand benutzt hat. Durch ihre Mitgliedschaft in der Nato sind die baltischen Staaten und Polen allerdings etwas besser vor Putins Machtgelüsten geschützt. Darüber hinaus verletzen russische Flugzeuge aber immer wieder etwa die Grenzen der baltischen Staaten, auch wurden wie in Estland Staatsbürger von russischen Einheiten entführt und in Russland unter fadenscheinigen Vorwänden angeklagt. Mit Argusaugen wird auch die massive Aufrüstung Russlands, dessen wiederholte Cyberattacken und antiwestliche Propaganda beobachtet.

Heftige Kritik an Steinmeier

Die ungeheuerlichen Vorwürfe Steinmeiers an die Nato über „Säbelrasseln“, „Anheizen“ und „Kriegsgeheul“ hätte Steinmeier also besser in Richtung Russland gelenkt, das ist jedenfalls die Ansicht vieler Kommentatoren und Politiker. Das sei üblicherweise die Propagandasprache Moskaus (oder der Linkspartei), so ein FAZ-Kommentar. Damit würden die Tatsachen auf den Kopf gestellt: Ursache der neuen Eiszeit sei der „Verstoß Russlands gegen Prinzipien, die jahrzehntelang für Frieden und Stabilität in Europa gesorgt hatten. Es war nicht die Nato, sondern der Kreml, der die Krim okkupierte und der in der Ostukraine einen (Sitz-)Krieg führt.“ Auch die vier Bataillone, die dort stationiert werden sollen, stellen keine Bedrohung für Russland dar, das auf seiner Seite der Grenze mehrere Divisionen stehen hat.

Damit hat der Kommentator zweifellos Recht: Die im Vergleich winzigen Nato-Verbände und die Manöver signalisieren Putin lediglich, dass die Grenzen mit der völkerrechtswidrigen Krim-Besetzung längst überschritten sind und die Nato, anders als Steinmeier, Russlands Angriffskriegen nicht mehr tatenlos zusehen wird. Zudem gibt es längst verschiedene Kanäle, auf denen wieder mit Russland kommuniziert wird.

„Appeasement“-Politik des Außenministers

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier hat Außenminister Steinmeier nun aufgefordert, seine Kritik an den Nato-Manövern zur Abschreckung Russlands klarzustellen. „Ich glaube, das ist das falsche Signal an Putin“, sagte der hessische Ministerpräsident vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn nannte Steinmeier einen „Putin-Versteher“. Auch der Außenminister bereite mit seiner Kritik wie schon SPD-Chef Gabriel (der Bayernkurier berichtete) den Weg zu einem Bündnis mit der Linken. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), hat die Nato-Kritik von Steinmeier scharf zurückgewiesen. „Er warnt vor lautem Säbelrasseln und Kriegsgeheul. Wen meint der Außenminister mit diesem ungeheuerlichen Vorwurf?“, sagte der CDU-Außenpolitiker „Spiegel online„. „Er mahnt zu Dialogbereitschaft. Wer bestreitet das im Ernst?“ Röttgen warf Steinmeier vor, sich über die Russland-Frage innerparteilich und innenpolitisch profilieren zu wollen. „Er hat das gar nicht nötig und sollte es einfach sein lassen.“

Deutschland und der Außenminister sollten keinen Zweifel daran aufkommen lassen, wer Urheber der gegenwärtigen Spannungen ist.

Jürgen Hardt, CDU

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, erklärte, die westliche Außen- und Verteidigungspolitik müsse gegenüber Russland von Dialogbereitschaft, aber auch von Entschlossenheit geprägt sein, militärischem Druck nicht nachzugeben. „An der Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft des Nato-Bündnisses darf es keinen Zweifel geben“, sagte der CDU-Abgeordnete. „Deutschland und der Außenminister sollten keinen Zweifel daran aufkommen lassen, wer Urheber der gegenwärtigen Spannungen ist.“ Der CDU-Europapolitiker Herbert Reul sagte, er verstehe Steinmeier nicht mehr. Russland habe ein anderes Land überfallen. Deshalb könne man osteuropäischen Nato-Partnern nicht vorwerfen, das Verhältnis zu Russland zu belasten.

Sogar die grüne Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, bezeichnete Steinmeiers Äußerungen als „unverantwortliches Signal“ angesichts der Weigerung Moskaus, Waffen aus der Ostukraine zurückzuziehen.

Fragwürdige Rückendeckung

Rückendeckung erhielt Steinmeier dafür ausgerechnet vom Grünen-„Außenpolitiker“ Jürgen Trittin, einem der vehementesten Vertreter eines rot-dunkelrot-grünen Bündnisses. „Die baltischen Staaten sind nicht tatsächlich durch Russland bedroht, sie fühlen sich bedroht“, sagte Trittin „Spiegel online“. Der Kurs der Nato sei deshalb fragwürdig.

Vielleicht sollte er sich mal mit dem estnischen Polizisten Eston Kohver über Bedrohung unterhalten, der 2014 aus Estland entführt und in Russland angeklagt wurde. Laut estnischen Berichten hat der Polizist wohl russische Sicherheitskräfte beim Schmuggel oder bei Operationen auf estnischem Staatsgebiet überrascht. Kohver wurde in Russland wegen „Spionage“ zu 15 Jahren Haft verurteilt, obwohl seine Polizei-Abteilung gar nicht für Beziehungen zu anderen Staaten zuständig ist. Er wurde auch, bei Polizeibeamten besonders skurril, wegen illegalen Waffenbesitzes und illegalen Grenzübertritts schuldig gesprochen. Die Entführung fand zudem während des Nato-Gipfels in Wales und kurz nach dem Tallinn-Besuch von US-Präsident Barack Obama statt. Kohver wurde erst im September 2015 bei einem Agentenaustausch freigelassen. Estlands Regierung vermutete, dass der Überfall von Russland für eine Inszenierung genutzt werden sollte, um das baltische Land zu bedrohen. Jeder vierte Einwohner Estlands ist Russe.

Auch die SPD stützt Steinmeiers Kurs mit den gleichen falschen Argumenten. „Frank-Walter Steinmeier hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass wir die Nato und auch die Europäische Union im Verhältnis zu Russland jetzt nicht zurückführen dürfen in die Zeiten des Kalten Krieges, wo möglichst mit früher eingemotteten Panzern wieder irgendwelche Übungen durchgeführt werden“, sagte Gabriel am Montag in Berlin. „Es geht nicht darum, dass wir jeden Tag Säbelrasseln üben.“ Für die Position habe Gabriel in den Sitzungen der Parteigremien Rückendeckung erhalten.

Steinmeier reagiert

Steinmeier selbst betonte später gegenüber dem Sender n-tv, er lasse sich mit seiner Haltung nicht als „Anwalt des Kreml“ diskreditieren. Muss er auch nicht, das hat er ja selbst getan. Und vor Beginn eines Treffens mit den EU-Außenministern in Luxemburg fügte er in der ARD noch an, dass neben Abschreckung auch Dialog wichtig sei. „Mir scheint es im Augenblick so zu sein, als würden wir diese zweite Säule völlig vergessen.“ Das Bündnis könne sich nicht nur auf militärische Stärke verlassen, sondern solle bestehende Konflikte entspannen helfen. „Das ist ein nicht weniger wichtiger Beitrag zur europäischen Sicherheit als der, den andere gegenwärtig betonen und öffentlich zeigen.“

Um es aber zu wiederholen: Fast alle Dialogkanäle zu Moskau wurden offen gehalten, von Deutschland, der Nato und der EU. Steinmeiers Äußerungen sind also falsch.

„Gas-Gerd“ teilt die Meinung seines Zöglings

Ist es also Zufall, dass sich der Förderer Steinmeiers (der ihn zum Kanzleramtsminister machte), Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der Russlands Energiekonzern Gazprom geschäftlich verbunden ist, am Wochenende ebenfalls zu Wort meldete? Der als „Gas-Gerd“ verspottete einstige Kanzler, der mit seiner Bezeichnung von Putin als „lupenreinem Demokraten“ für herzliche Lacher sorgte, hat nun die Verlegung zusätzlicher Nato-Truppen nach Osteuropa scharf kritisiert. Wegen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vor 75 Jahren trügen die Deutschen gegenüber Russland „eine besondere Verantwortung“, so seine Begründung. Nun gilt diese Verantwortung auch gegenüber anderen Ex-Sowjetrepubliken wie der Ukraine, aber das scheint Schröder nicht zu wissen.

Was steckt dahinter?

Somit ziehen eigentlich alle Kommentatoren den Schluss, dass es sowohl Steinmeier, als auch Schröder darum geht, zusammen mit Gabriels „Linksbündnis“-Idee die SPD wieder nach links zu führen und bei den Putin-Freunden von SPD, Linkspartei und AfD Stimmen abzuziehen.

Ein ARD-Kommentar fordert Steinmeier deshalb im nationalen Interesse zum Umdenken auf:

Ein zerstrittenes Europa hat gegen Russland keine Chance. Darum darf sich die europäische Union nicht auseinander dividieren lassen, sondern muss zusammenhalten – und gegenüber Moskau mit einer Stimme sprechen. Dabei sollte es unbedingt bleiben.

Und ein Kommentar in der „Welt“ zieht dieses Fazit: „Sollte SPD-Chef Gabriel sein neuerdings propagiertes ‚Anti-rechts-Bündnis‘ ausgerechnet mit ‚linken‘ Weißwäschern dieses (russischen) Regimes schmieden wollen, offenbarte dies einen Orientierungsverlust, der die SPD ins politische Nirwana treiben muss. Zynisch aber ist es, wenn sich der Außenminister nicht scheut, aus parteipolitischer Panik Deutschlands Zuverlässigkeit als westlicher Bündnispartner in Zweifel zu ziehen.“

Russlands Märchenerzähler

Unterdessen hat der russische Präsident Wladimir Putin die NATO-Raketenabwehr in Osteuropa als Gefahr für sein Land kritisiert. Die von den USA behauptete Gefahr durch iranische Atomraketen gebe es nicht, sagte Putin am Freitagabend in St. Petersburg. „Wenn eine Seite beim Aufbau einer Raketenabwehr erfolgreicher ist als die andere, verschafft sie sich einen Vorteil“, sagte Putin. Die Welt sei vor großen Kriegen gerade durch eine Balance der Kräfte bewahrt worden. Russland werde sein Atompotenzial weiterentwickeln, um das Gleichgewicht zu halten, „nicht um zu drohen“. Die Nato hatte Mitte Mai in Rumänien eine erste Station in Betrieb genommen, die vom Iran anfliegende Raketen abschießen soll. Eine zweite wird in Polen gebaut. Die Nato-Batterien mit Raketen von 500 Kilometer Reichweite seien leicht und ohne Kontrolle auf Raketen mit doppelter Reichweite umrüstbar, sagte Putin. „Das ist Teil des atomaren Angriffspotenzials.“

Was der russische Autokrat mit seinem „merkwürdigen“ Verhältnis zur Wahrheit vergisst: Die Nato hat wiederholt erklärt, dass die wenigen Abwehrraketen überhaupt nicht in der Lage wären, das riesige russische Atomwaffenarsenal abzufangen. Die Stationen wurden außerdem geplant und gebaut, als es noch keinen Atom-Deal mit dem Iran gab, als also die Bedrohung durch das Mullah-Regime noch greifbar war. Verschwunden ist die iranische Raketenbedrohung im Übrigen auch noch keineswegs. Aber Fakten sind für den Kremlherrscher ohnehin nie wichtig gewesen.