Unwetter wie am Äquator
Gegen ein Jahrtausendhochwasser wie jetzt in Niederbayern gibt es keinen vollständigen Schutz. Das erklärte der Leiter der bayerischen Wasserwirtschaft im Landtag. Der Experte erläuterte die außergewöhnliche Wetterlage, die zu der Katastrophe führte. Seine Sorge: Ähnliche Ereignisse könnten künftig häufiger auftreten.
Hochwasser

Unwetter wie am Äquator

Gegen ein Jahrtausendhochwasser wie jetzt in Niederbayern gibt es keinen vollständigen Schutz. Das erklärte der Leiter der bayerischen Wasserwirtschaft im Landtag. Der Experte erläuterte die außergewöhnliche Wetterlage, die zu der Katastrophe führte. Seine Sorge: Ähnliche Ereignisse könnten künftig häufiger auftreten.

Zwei Wochen nach der Überschwemmung von Niederbayern hat sich ein Experte ausführlich zu den Ursachen der Katastrophe geäußert und deutlich gemacht, wie außergewöhnlich die Ereignisse waren. Eine vergleichbare Wetterlage wie Ende Mai und Anfang Juni habe es noch nie gegeben, sagte Martin Grambow am Donnerstag im Landtag. Er ist Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit und Professor an der Technischen Universität München.

160 Liter auf einen Quadratmeter

Tausendjähriges Hochwasser – im Fachjargon als „HQ 1000“ bekannt – bedeutet, dass ein Gewässer auf einen Rekordpegel anschwillt, der im statistischen Schnitt nur alle tausend Jahre einmal erreicht wird. In Simbach am Inn war am ersten Juni der Pegel des gleichnamigen Simbachs innerhalb kurzer Zeit um fünf Meter angestiegen. „Wir gehen davon aus, dass wir es mit einem Phänomen in einer neuen Ausprägung zu tun haben“, sagte Grambow dazu.

Die Unwetter zeichneten sich nach seinen Worten durch zwei Besonderheiten aus: Die Unwetterzellen seien über Stunden „ortsfest“ gewesen und nicht wie ein normales Sommergewitter weitergezogen. Die zweite Besonderheit: die enorme Größe der Unwetterzellen und eine extreme Aufladung mit Feuchtigkeit – „so wie wir es normalerweise nur in Äquatornähe kennen“. In Simbach waren binnen weniger Minuten mindestens 160 Liter Wasser auf einen Quadratmeter gefallen. So habe sich  „punktuell zerstörerische Gewalt ohne Vorwarnzeit“ entwickelt, erklärte Grambow.

Vier Meter hohe Flutwelle

In Simbach waren mehrere Dämme gebrochen – doch das war nach dem Bericht des Wissenschaftlers bei einer Sturzflut dieses Ausmaßes auch unvermeidlich. Die Dämme in Simbach seien für hundertjährige Hochwasser ausgelegt und hätten solchen Belastungen auch schon standgehalten. Die Flut vom 1. Juni habe die am Ort vorbeiführende Bundesstraße 12 auf 80 Meter Breite mit einem Wasserschwall von drei bis vier Metern Höhe überschwemmt. „Wenn jemand so etwas als Augenzeuge berichtet, würde man ihm das nicht glauben“, sagte Grambow.

Nach historischen Aufzeichnungen könnte es im Jahr 1766 einmal eine ähnliche Wetterlage gegeben haben, doch genau klären lässt das nach Grambows Angaben nicht. Das Beunruhigende aus wissenschaftlicher Sicht: Nur vier Tage vorher gab es in Braunsbach in Baden-Württemberg eine ebenso plötzliche Flut wie in Simbach. Grambow äußerte die Befürchtung, dass „so etwas künftig wesentlich häufiger passiert als früher“.

Sorge um Dorfweiher

Technische Hochwasserschutzmaßnahmen gegen derartige Katastrophen sind nach Grambows Einschätzung allein aus Kostengründen quasi ausgeschlossen: „Es gibt keinen Staat der Welt, der auch nur annähernd versuchen würde, HQ1000-Ereignisse mit technischen Möglichkeiten zu bewältigen.“ Allein neue Risikokarten für alle 2000 bayerischen Gemeinden würden nach seinen Angaben 200 Millionen Euro kosten. Zuverlässiger Schutz gegen derart unvorhersehbare Unwetter ist aus Grambows Sicht auch nicht möglich: „Dann müssten wir aus Bayern wegziehen.“

Der Wasserbauexperte richtet seinen Blick jetzt auf jahrhundertealte Dorfweiher und Fischteiche, von denen seit der Aufstauung des jeweiligen Baches im Mittelalter noch nie eine Gefahr ausgegangen sei und denen deswegen auch der entsprechende technische Schutz fehle.  „Es hat sich seit dem Mittelalter etwas geändert“, sagte Grambow. „Wenn so eine Stauanlage bricht, brauche ich nicht näher auszuführen, was dann passiert.“

Gedenkgottesdienst in Simbach

Im vom Unwetter besonders betroffenen Simbach wird heute der Opfer und Helfer in einem ökumenischen Gottesdienst gedacht. Vor mehr als zwei Wochen waren sieben Menschen durch das Hochwasser ums Leben gekommen. Leiten werden den Gottesdienst der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sowie der katholische Bischof von Passau, Stefan Oster. Auch Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) wird erwartet. Aus Anlass des Gottesdienstes ordnete Ministerpräsident Horst Seehofer Trauerbeflaggung an allen staatlichen Dienstgebäuden an.

(mit Material von dpa)