Der über die Jahre immer gieriger gewordene Staat muss sich bescheiden und den Bürgern deutlich mehr von ihrem eigenen Geld lassen. (Bild: Fotolia/Denis Junker)
Steuerpolitik

Schäuble will die Bürger entlasten

Die Steuereinnahmen steigen dank der robusten Konjunktur auf immer neue Rekordstände. Da ist es nur konsequent, wenn der Staat den ursprünglichen Eigentümern des Wohlstands, den Steuerzahlern, etwas mehr von deren eigenem Geld belässt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist offenbar bereit, mit einem Steuersenkungs-Versprechen in den Wahlkampf zu ziehen.

Am Anfang steht eine einfache, aber sehr zutreffende Erkenntnis: „Das dringendste Problem ist der Mittelstandsbauch“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) laut der Tageszeitung Die Welt auf einem Steuerberaterkongress. „Mittlere Einkommen erreichen viel zu früh die höchste Progressionsstufe.“ Mit der Folge, dass selbst der vielzitierte fleißige Normalverdiener mit zwei Kindern sich trotz der niedrigen Zinsen kaum noch ein Eigenheim leisten kann, weil ihm der allzu gierige Staat – finanziell gesehen – die Luft zum Atmen nimmt (Eine Analyse hierzu lesen Sie hier).

Bereits ein fleißiger Facharbeiter bei BMW oder Audi kommt nämlich mit seinen Nacht- und Wochenendzuschlägen in den Bereich des Spitzensteuersatzes. Die Spitze der Steuerprogression wird in Deutschland bereits bei einem Bruttoeinkommen von 54.666 Euro im Jahr erreicht, also bei 4472 Euro monatlich. In keinem anderen Industrieland muss ein Durchschnittsverdiener so hohe Steuern zahlen wie in Deutschland: Rund 50 Prozent seines Lohns gehen in Form von Steuern und Sozialabgaben an den Staat. Nur in Belgien greift der Fiskus noch brutaler zu als in Deutschland. Arbeitnehmer in den OECD-Ländern dürfen hingegen im Schnitt 75 Prozent ihres Einkommens behalten.

Das 1,3-fache des Durchnittslohns führt bereits zum Spitzensteuersatz

Damit ist der ursprüngliche Sinn des progressiven Steuersystems, dass „starke Schultern“ mehr tragen sollen als schwache, pervertiert. Musste man in den 1950er Jahren noch das 17-fache des Durchschnittslohns verdienen, um in den Spitzensteuersatz zu fallen, genügt heute schon das 1,3-fache, um die Spitze der Steuerprogression (42 Prozent) zu erreichen. Diagnose: Das deutsche Einkommensteuersystem ist krank.

„Wie der Name schon sagt, darf der Spitzensteuersatz tatsächlich nur für Spitzenverdiener gelten“, sagt der Vorsitzende der CSU-Mittelstandsvereinigung, Hans Michelbach, zum BAYERNKURIER. „Der Spitzensteuersatz muss in Zukunft beim echten Spitzenverdiener greifen und nicht wie heute beim normalen Facharbeiter, der gerade etwas mehr als der Durchschnitt verdient“, betont auch Carsten Linnemann, Chef des CDU-Wirtschaftsflügels, in der Welt. Die Mittelschicht sei in den vergangenen Jahren „sträflich vernachlässigt“ worden.

Der Kommentator der Welt bringt es folgendermaßen auf dem Punkt: „Deutsche Firmen investieren zu wenig, auch mangels Steueranreizen. Zweitverdiener werden hierzulande stark belastet und so vom Arbeiten abgehalten.“ Sogar die „aufgeheizte Stimmung im Land“ habe damit zu tun, „dass die Mittelschicht sich mehr und mehr ausgenommen fühlt“.

Hat Schäuble endlich ein Einsehen?

Nun hat Schäuble offenbar ein Einsehen: Wie die Welt berichtet, will er mit einem Steuersenkungsversprechen für Mittelverdiener in den Bundestagswahlkampf 2017 ziehen. „Die Union ist für eine steuerliche Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen und von Familien“, zitiert die Zeitung den CDU-Chefhaushälter Eckhardt Rehberg. Laut Welt taxiert Schäuble den Spielraum für Steuerentlastungen auf rund zwölf Milliarden Euro. Technisch könnte das so laufen, dass die Steuerquote des Bruttoinlandsprodukts, die heuer von 22 auf 23 Prozent zu steigen droht, gesetzlich auf 22 Prozent begrenzt wird.

Die öffentliche Hand könnte sich eine deutliche Entlastung durchaus leisten: 42,4 Milliarden Euro Mehreinahmen erwartet der stets konservativ rechnende Arbeitskreis Steuerschätzung für Bund, Länder und Gemeinden bis 2020. Schon heuer soll der Staat fünf Milliarden Euro mehr einnehmen als geplant. Dabei muss sich immer vor Augen halten: Dieses Geld fällt ja nicht vom Himmel, sondern der Staat nimmt den Arbeitnehmern jeden einzelnen Euro in Form von Steuern weg. Der Terminus „sprudelnde Steuerquellen“ ist also im Grunde nichts weiter als ein staatsgläubiger Euphemismus.

Bisher blockierte Rot-Grün im Bundesrat jede spürbare Entlastung

Eine gehörige Portion Skepsis bleibt trotz der Ankündigung eines Steuerwahlkampfs – vor allem bei denjenigen, die sich an vergangen Wahlkämpfe erinnern: Bereits 2009 versprachen die späteren Regierungsparteien Union und FDP unisono, die Steuerbürger der Mittelschicht zu entlasten. Geschehen ist nicht viel – vor allem auch, weil die notorisch klammen Rot-Grün-Länder alle ambitionierten Projekte im Bundesrat scheitern ließen.

Vor der Bundestagswahl 2013 versprach die Union lediglich, die geplanten Steuererhöhungs-Orgien von SPD und Grünen zu verhindern und die besonders unfaire Kalte Progression abzuschmelzen, was 2015 auch gelang. Aber besonders viel spüren die Bürger davon nicht in ihren Geldbeuteln. Die ursprünglich diametral entgegengesetzten Steuerpläne von Union und SPD führten dazu, dass die große Koalition in der laufenden Legislaturperiode nichts Besonderes tat.

Kampf gegen Kalte Progression ersetzt den Bürgern nur Bruchteil früherer Verluste

Denn auch der Kampf gegen die Kalte Progression wurde vom sparsamen Kassenwart Schäuble mit nur 1,5 Milliarden Euro pro Jahr budgetiert – „Peanuts“ nennt dies der Kommentator der Welt, „gemessen an der Belastung, die den Steuerzahlern in den Vorjahren dadurch entstanden waren, dass ihre höheren Löhne durch das Zusammenspiel eines höheren Steuersatzes und der Inflation unterm Strich aufgefressen wurden“.

Denn dass die Inlandsnachfrage derzeit boomt, hat ja nicht etwa damit zu tun, dass der Staat den Bürgern spürbar mehr von deren eigenem Geld ließe – das ist nach wie vor nicht der Fall. Sondern es liegt allein an der Nullzinspolitik der EZB: Wenn der deutsche Sparer, der fürs Leben ausgesorgt hat, fürs Sparen bestraft wird, löst er eben seine Sparguthaben auf und gönnt sich etwas Schönes.

Leidensdruck der Mittelschicht ist gewaltig

Der Leidensdruck bei den Mittelschichts-Steuerzahlern ist mittlerweile gewaltig. Die im Finanzministerium laut Welt angedachten zwölf Milliarden Euro Entlastung wären nicht genug, um die im Mittelschicht-Bereich viel zu steil ansteigende Progressionslinie spürbar abzuflachen und damit die Normalverdiener deutlich zu entlasten. Finanzexperten taxieren das Volumen einer solchen spürbaren Steuerreform auf mindestens 30 Milliarden Euro.

Und da beginnen die Probleme. Denn die staatsgläubige Mehrheit bei SPD, Grünen und Linkspartei sowie in den meisten Mainstream-Medien fordert eine komplette „Gegenfinanzierung“. Statt auf die Idee zu kommen, dass der Staat auch einmal seine Ausgaben wirksam einschränken könnte, suchen werden krampfhaft neue Steuereinnahmequellen gesucht, die die Volkswirtschaft dann auch wieder beschädigen würden: Erbschaftsteuer, höherer Spitzensteuersatz oder der Wegfall der Abgeltungssteuer bei Aktienverkäufen.

Neue Grundrichtung nötig: Leistung muss sich wieder lohnen

Vielleicht könnte aber auch die Politik einmal ihre Grundrichtung drehen – weg von immer größeren staatlichen Wohltaten und immer mehr Umverteilung, hin zu Förderung und Belohnung von Leistung? Das jedenfalls fordert CSU-Wirtschafts- und Mittelstandspolitiker Hans Michelbach gegenüber dem Bayernkurier: „Die Politik der Bundesregierung konzentriert sich viel zu stark auf die soziale Umverteilung, und dabei werden wirtschaftliche Aspekte völlig ausblendet.“

Michelbach weist auf ein Grundproblem hin: „Das ökonomische Prinzip, wonach das Erwirtschaften vor dem Umverteilen kommt, wird von der Regierung umgedreht. Erst wird Geld ausgegeben, dann wird es vom Mittelstand zurückgeholt. Wenn die Leistungsträger unserer Gesellschaft weiter so belastet werden, braucht man sich über eine andauernde Wählerwanderung nicht zu wundern.“ Einzige Schlussfolgerung könne deshalb nur sein, dass die Union ihr wirtschaftspolitisches Profil dringend schärfen muss, meint Michelbach. „Die Anerkennung der Leistungsträger muss dabei im Vordergrund stehen. Dafür müssen jetzt der Mittelstand und die Mittelschicht dringend entlastet werden. Offensichtlich wurden in den letzten Jahren zu viele Fehler begangen, die uns in den nächsten Jahren finanzpolitisch stark belasten werden.“

Michelbach kritisiert „schleichende Sozialdemokratisierung“ der CDU

Es habe eine „schleichende Sozialdemokratisierung“ der CDU stattgefunden, kritisiert Michelbach. „Vorschläge, wie Deutschland in den nächsten Jahren seinen Wohlstand sichern und ausbauen will, werden kaum noch vorgebracht. Stattdessen wird das Wirtschaftswachstum beinahe als gottgegeben angenommen“, so der Landesvorsitzende der Mittelstandsunion Bayern.

„Der Regierung fehlt es offensichtlich an einem wirtschaftspolitischen Konzept, das die deutsche Volkswirtschaft für die nächsten Jahre zukunftssicher macht“, so Michelbach. „Stattdessen wird eine Wohltat nach der anderen verkündet. Negative Folgewirkungen, die sich etwa aus der Rente mit 63, dem Mindestlohn oder der Erbschaftsteuer ergeben, werden dabei sträflich vernachlässigt.“

Welt/wog