In Deutschland kommt Glyphosat auf rund 40 Prozent der Felder zum Einsatz. (Bild: imago/alimdi)
Brüssel

Der Streit um Glyphosat

Die EU vertagt ihre Entscheidung darüber, ob das Pflanzenschutzmittel Glyphosat erneut zugelassen werden soll. Dass es keine klare Position gibt, daran trägt auch Deutschland Schuld. Streitfrage: Ist der Unkrautvernichter krebserregend oder nicht? Auf dem Markt für Glpyhosat ist es hingegen zu einer Einigung gekommen. Bayer wird sein Agrargeschäft durch die Übernahme Monsantos stärken.

Sechs Wochen vor Ablauf der Zulassung für den Unkrautvernichter Glyphosat haben sich die EU-Staaten nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Damit ist weiterhin offen, ob das Mittel auch in Zukunft in Europa eingesetzt werden kann. Bei einem Treffen von Vertretern der 28 Länder in Brüssel kam nach Angaben aus EU-Kreisen nicht die nötige Mehrheit für oder gegen die Neuzulassung in Europa zustande. Eine formelle Abstimmung blieb daher aus. Falls die EU-Staaten sich weiterhin nicht einigen können, müsste am Ende die EU-Kommission entscheiden.

Krebsgefahr umstritten

Warum keiner klare Position bezieht, liegt unter anderem an scheinbar verschiedenen Bewertungen zweier Fachstellen. Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC hat geurteilt, Glyphosat sei „vermutlich krebserregend beim Menschen“. Sie bewertet jedoch nur Produkte nach ihrem grundsätzlichen Gefahrenpotenzial und nicht, ab welcher Menge und unter welchen Umständen dieses Risiko relevant wird. „Nur die Dosis macht das Gift“, so lautet aber ein altes Sprichwort. So erklärt sich das nur scheinbar abweichende Urteil der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit, Efsa: Eine krebserregende Wirkung von Glyphosat sei unwahrscheinlich – wenn das Mittel bestimmungsgemäß angewendet wird. In Südamerika, wo es Berichte, jedoch keine wissenschaftlich anerkannten Untersuchungen über Fehlbildungen bei Kindern durch das Mittel gibt, wird Glyphosat beispielsweise ganzjährig gespritzt, meist mit Flugzeugen aus der Luft. Dabei wird das Mittel auch über den Dörfern versprüht, die zwischen den Feldern liegen. In Europa ist so etwas verboten. Hinzu kommt: Es ist noch unklar, ob Glyphosat allein oder erst durch die Kombination mit anderen, in Europa oft verbotenen Stoffen schädlich ist – wie es in Pflanzenschutzmitteln in Südamerika regelmäßig der Fall ist. Diese Mischungen sind nämlich in vielen Ländern unterschiedlich. Glyphosat ist außerdem seit Anfang der 70er Jahre im Einsatz, mögliche breite Schädigungen beim Menschen müssten sich also eigentlich längst gezeigt haben. 100prozentige Sicherheit gibt es hier aber natürlich nicht, beispielsweise bei Asbest dauerte es bis zum Verbot auch sehr lange. Andere Pflanzenschutzmittel, die bei einem Verbot vermutlich zum Einsatz kämen, sind viel weniger erforscht, auch das wäre also ein gefährlicher Weg. Sollte nun aber doch keine Krebsgefahr drohen, bröckelt das Kernargument der Gegner weg.

Deutschland hält sich raus

Dass es bisher keine Mehrheit für oder gegen die Neuzulassung gibt, liegt auch an Deutschland – und nicht nur deshalb, weil das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in diesem Fall der zuständige Berichterstatter für die EU ist. Das deutsche Votum hat in Brüssel Gewicht, da bei der Mehrheitsregelung auch die Bevölkerungsgröße zählt. Denn für die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat ist die qualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten nötig. Dabei wird Rücksicht darauf genommen, wie viele Menschen in einem Land wohnen. Die Stimmen der großen EU-Staaten zählen mehr als die der kleinen. Eine qualifizierte Mehrheit ist erst bei 260 von insgesamt 352 Stimmen erreicht. Deutschland steht für 29 Stimmen.

Wir haben bisher noch keine Einigung erzielt. Aber wir arbeiten daran.

Christian Schmidt (CSU), Bundesagrarminister

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) tritt ebenso wie Schmidt für die Wiederzulassung ein. Auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul (CDU), sprach sich gegenüber dem rbb für die Zulassung aus. „Ich finde, dass es nicht ausreichend nachgewiesen ist, dass es wirklich gefährlich ist“, sagte er. Die SPD-Minister sind mit Verweis auf mögliche gesundheitliche Risiken dagegen. Der Fraktionschef der Konservativen im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), sieht Deutschlands Enthaltung im Streit um den Unkrautvernichter Glyphosat kritisch. Es sei aber Teil des Koalitionsvertrages von Union und SPD, sich in Brüssel der Stimme zu enthalten, wenn beide Partner nicht einig seien.

Das ist grundsätzlich schade, weil das größte Land der Europäischen Union auch in Brüssel bei solchen Fachentscheidungen Orientierung geben sollte, in welche Richtung der Kontinent geht.

Manfred Weber (CSU), Fraktionschef der Konservativen im Europäischen Parlament

Auf Feldern und im Bier

In der Landwirtschaft und im Gartenbau wird Glyphosat vor der Aussaat zur Unkrautbekämpfung verwendet. In Deutschland kommt es auf rund 40 Prozent der Felder zum Einsatz. Der Bauernverband geht davon aus, dass seine Mitglieder bei einem Verbot auf eine Mischung anderer Herbizide ausweichen – und schätzt dies als problematischer ein als den Einsatz von Glyphosat. Die EU-Kommission schlägt eine Neuzulassung der Substanz in Europa für neun Jahre vor. Im März hatte sie noch eine Frist von 15 Jahren angeregt. Die europäische Zulassung läuft Ende Juni aus. Auch beliebte deutsche Biere sollen laut einer Untersuchung mit Glyphosat belastet sein, allerdings hätte man bis zum (strittigen) Grenzwert überaus viel davon trinken müssen. Mehr dazu lesen Sie hier: Spuren im Bier.

Aus EU-Kreisen heißt es, dass die Kommission ihren bisherigen Vorschlag in den kommenden Tagen noch einmal überarbeiten könnte und eine Sondersitzung des Ausschusses einberufen könnte, um dann eine qualifizierte Mehrheit für die weitere Zulassung von Glyphosat zu erreichen.

Bayer will Monsanto

Auf dem Markt für Glyphosat deutet sich derweil eine wichtige Übernahme an: Der deutsche Chemieriese Bayer will sein Agrargeschäft mit dem Kauf des amerikanischen Saatgutkonzerns Monsanto stärken. Der höchst umstrittene Monsanto-Konzern stellt neben gentechnisch veränderten Produkten auch den weltweit meistgenutzten Unkrautvernichter „Roundup“ her, der Glyphosat enthält. Mit Monsanto würde das Agrargeschäft bei Bayer an Bedeutung gewinnen. Der US-Konzern erlöst im Jahr rund 15 Milliarden Dollar (etwa 13 Milliarden Euro) mit Saatgut und Pflanzenschutzmitteln. Bayer kam im vergangenen Jahr insgesamt auf einen Umsatz von 46,3 Milliarden Euro. Die Aktien der Leverkusener gingen nach der Mitteilung auf Talfahrt und stürzten im Dax kurz nach Börsenöffnung um sechs Prozent ab.

(dpa/AS/Spiegel Online/avd)