Sterbende bis zuletzt liebevoll begleiten und umsorgen, das ist das Ziel der Palliativmedizin. (Bild: openlens - Fotolia)
Sterbehilfe

Schmerzen lindern statt Gift verabreichen

Der Bundestag debattiert über die Sterbehilfe, im Herbst soll eine Entscheidung fallen. Einig sind sich die Abgeordneten darin, dass die Versorgung mit Palliativpflege deutlich ausgebaut werden muss. Zur eigentlichen Sterbehilfe liegen fünf konkurrierende Entwürfe vor. Die Hanns-Seidel-Stiftung veranstaltete ein vielbeachtetes Experten-Symposium zu dem Thema.

Es ist der schwierigste Gesetzgebungsprozess dieser Legislaturperiode – darin sind sich alle Experten einig. Losgelöst von Partei- und Fraktionszwängen debattieren die Abgeordneten des Bundestages derzeit die Neuregelung der Sterbehilfe – „sehr persönlich und mit auffallend hoher Qualität“, wie der langjährige CSU-Landtagsfraktionschef und Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Alois Glück, lobt. In einem Expertensymposium der Hanns-Seidel-Stiftung debattierten Ärzte, Juristen, Psychologen und Theologen verschiedene Aspekte der Sterbehilfe.

Es geht um eine Gewissensfrage und um eine „Grundfrage des Menschenbildes“, stellte Glück klar: „Treffen wir eine Unterscheidung zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben?“ Die frühere SPD-Finanzpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier habe in der FAZ erklärt: „Mein Ende gehört mir“, zitierte Glück. Sie fordere, jedem Menschen solle die Palliativmedizin zugänglich gemacht werden. Aber wenn in einer alternden Gesellschaft das Geld dafür fehle, solle im Sinne freier Selbstbestimmung jedem Menschen der Zugang zu assistiertem Suizid offenstehen, so Matthäus-Maier.

Auch in der Kirche hat sich ein Wandel vollzogen

Suizid sei straffrei, also auch die Beihilfe dazu, unterstrich Glück. Auch in der Kirche gebe es in den letzten Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel: Die „Selbstmörder“ würden heute nicht mehr theologisch geächtet, sondern in der Regel als psychisch krank eingestuft. Nach einem gescheiterten Suizid-Versuch folge in der Regel kein zweiter Versuch. „Nur ein ganz kleiner Teil versucht es erneut. Der Versuch erfolgt also sehr stark aus der momentanen Lage heraus“, so Glück. Bei der anstehenden Neuregelung gehe es nicht in erster Linie um Strafen, sondern um rechtliche und gesellschaftliche Normen.

Eines lässt sich in der Debatte schon jetzt feststellen: Der Bundestag ist sich über die Fraktionsgrenzen hinweg in dem Wunsch einig, die Versorgung mit Palliativmedizin und Hospizen deutllich zu verbessern. Daher wurde dieser Teil aus der Debatte ausgegliedert und mittlerweile von Gesundheitsminister Hermann Gröhe in den Bundestag eingebracht. „Schwerkranke und sterbende Menschen benötigen in ihrer letzten Lebensphase die bestmögliche menschliche Zuwendung, Versorgung, Pflege und Betreuung. Dafür ist eine gute Hospiz- und Palliativversorgung in unserem Land unabdingbar. Sie muss an den Orten gewährleistet sein, an denen die Menschen ihre letzte Lebensphase verbringen – sei es im häuslichen Umfeld, in stationären Pflegeeinrichtungen, Hospizen oder Krankenhäusern“, erklärt der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Stephan Stracke.

Ambulante und stationäre Palliativmedizin stark ausbauen

Mit Gröhes Gesetz, meint Stracke, werde „die flächendeckende Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland durch gezielte Maßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung gestärkt. Es werden Anreize zum weiteren Auf- und Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung gesetzt und die Kooperation und Vernetzung gefördert“.

Die zuständige Berichterstatterin der CSU-Landesgruppe, Emmi Zeulner, erinnert daran, dass die CSU bereits seit langer Zeit für den weiteren Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung kämpft – ausweislich des einstimmigen CSU-Vorstandsbeschlusses ‚Miteinander bis ans Lebensende – Leben gestalten statt Sterben organisieren‘.

Zeulner: „In dem Beschluss haben wir uns, wie es jetzt im Gesetzentwurf der Bundesregierung verankert ist, für die systematische Weiterentwicklung der regionalen ambulanten sowie stationären Hospiz- und Palliativversorgung stark gemacht mit dem Ziel, allen Patienten flächendeckend einen verlässlichen und gleichen Zugang zu gewähren. Vor allem verringert eine gute Hospiz- und Palliativversorgung auch den Wunsch nach Sterbehilfe erheblich, da dadurch dem Sterbenden Schmerzfreiheit und Selbstbestimmung zurückgegeben wird.“

Kernfrage: Wer soll beim Suizid helfen dürfen?

Schwieriger wird die eigentliche Regelung der Sterbehilfe werden. Fünf Gesetzentwürfe wurden im vergangenen November eingebracht. Im Kern drehen sich die Differenzen um die Beihilfe zum Suizid, etwa das Reichen einer Überdosis Schlaftabletten, die der Patient aber letztlich selbst nimmt. Welchen Personengruppen soll dies erlaubt sein? Angehörigen, Freunden, Ärzten? Welche Einschränkungen und Vorbedingungen sollen gelten? Derzeit ist Ärzten die Beihilfe zum Suizid verboten, aber nur durch die ärztlichen Standesordnungen. Einig sind sich die Abgeordneten in der Ablehnung von kommerzieller Sterbehilfe. Eine Minderheiten-Position fordert eine reglementierte Zulassung von Sterbehilfe-Vereinen.

Der Leiter der Palliativmedizinischen Abteilung der anästhesiologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen, Christoph Ostgathe, unterschied vier Begriffe: „Passive Sterbehilfe“, neuerdings auch als „Sterben zulassen“ bezeichnet, sei gesetzlich erlaubt. Ebenso die „indirekte Sterbehilfe“, die Ostgathe „Therapie am Lebensende“ nannte. Dabei werden Schmerzmittel, falls nötig, so hoch dosiert, dass sich die Lebensdauer des Patienten verkürzen könnte. Gesetzlich erlaubt sei derzeit auch die „Beihilfe zum Suizid“, allerdings für Ärzte aufgrund der Standesordnungen verboten. Gesetzlich verboten sei in Deutschland lediglich die „Tötung auf Verlangen“, so Ostgathe. Die Niederlande, Belgien, die Schweiz und Luxemburg hätten ihre Regelungen zwischen 2002 und 2009 stark liberalisiert. Ebenfalls der US-Bundesstaaat Oregon.

Alle Liberalisierungen der aktiven Sterbehilfe haben Haken

All diese gesetzlichen Liberalisierungen nannte Ostgathe – gleichzeitig Vizepräsident der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin – im Endeffekt problematisch, weil die Kriterien für Tötung auf Verlangen immer weiter ausgedehnt werden könnten. In Oregon etwa hätten ausgerechnet sogenannte „Pro-Suicide-Lobbys“ 58 von 61 Beratungen von schwerstkranken Schmerzpatienten durchgeführt. In den Niederlanden sei eine Wartezeit von nur einer Woche vorgeschrieben zwischen Beratung und der Tötung auf Verlangen. „Da ist keine Zeit für die Verbesserung der Situation“, kritisierte Ostgathe. In Belgien sähen nur zwölf Prozent der Patienten einen Palliativmediziner.

Ostgathe betonte, dass die Palliativmedizin mit ihrem schmerzlindernden Ansatz „nicht besonders teuer“ sei im Vergleich mit anderen medizinischen Fachbereichen. Nach seiner Auffassung ist eine Änderung des strafrechtlichen Rahmens nicht nötig, aber sehr wohl eine Vereinheitlichung der ärztlichen Berufsordnungen. Die seien bisher von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Ostgathe schlug vor, darin zu regeln, dass ärztich assistierter Suizid „keine ärztliche Aufgabe“ sei. Gleichzeitig lehnte er Sanktionen in Situationen eines persönlichen Dilemmas ab.

Es gibt viele Methoden der Schmerzlinderung

Der Erlanger Palliativmediziner machte klar, dass ein ärztlich assistierter Suizid nur „in extremen Ausnahmesituationen“ ein letzter Ausweg sein könne. „Diese Ausnahme darf niemals zur Norm werden“, betonte er. Ostgathe forderte, den Satz „Wir können nichts mehr für Sie tun“ aus dem ärztlichen Sprachschatz zu streichen. „Wenn man Behandlung auch als Beziehung versteht, kann man immer etwas tun“, unterstrich er – etwa bestehe immer die Möglichkeit einer Palliativbehandlung. Oft könne man auf Wunsch des Patienten auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten, manchmal auch auf Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr über Magensonden.

In seltenen Fällen könne eine „palliative Sedierung“ angewandt werden, ein künstlicher Tiefschlaf zur Schmerzlinderung. Nach seiner Erfahrung, so erzählte Ostgathe, schwinde der Wunsch nach assistiertem Suizid bei den allermeisten todkranken Patienten, sobald ihnen klar sei, dass sie keine Last für ihre Angehörigen mehr sind und dass zweitens eine gute und wirksame Schmerzbehandlung möglich ist. Ostgathe: „Der Todeswunsch ist nicht stationär, sondern das ändert sich schnell – oft binnen zwei bis vier Wochen.“

Strafgesetzbuch ist zu holzschnittartig

Der Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg, Peter Küspert, lobte die gesetzgeberische Zurückhaltung auf dem Gebiet. „Die Tötungsparagraphen im Strafrecht sind offensichtlich nicht auf die Sterbehilfe zugeschnitten.“ Das Strafrecht wirke immer holzschnittartig. „Es tut sich schwer, verschiedene Behandlungs- und Krankheitssituationen zu behandeln.“ Küspert schlug vor, das Strafrecht solle auch künftig nur dort eingreifen, wo der Schutz des Lebens nicht anders gewährleistet werden könne.

Die Beihilfe zum Suizid sei jedenfalls straffrei, so lange auch der Suizid straffrei sei – unabhängig vom Motiv des Handelnden. Küspert: „Ich darf der lebensmüden reichen Erbtante die von mir gesammelten Schlaftabletten auch dann reichen, wenn es mir vor allem ums Erbe geht.“ Die Grenze der Straffreiheit liege beim Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung.