Im Interview mit dem BAYERNKURIER erklärte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, warum er dem Deal zwischen der EU und der Türkei kritisch gegenüber steht. (Bild: A. Schuchardt / BK)
Türkei-Deal

„Eine abenteuerliche Geschichte“

Interview Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber kritisiert das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei scharf. In der Frage der Visumsfreiheit darf es für die Türkei keinen politischen Rabatt geben. Die geplanten Reiseerleichterungen werden Deutschland neue Probleme bringen.

Herr Ferber, seit kurzem gilt das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Das Abkommen führt dazu, dass Griechenland endlich wieder das macht, wozu es nach EU-Recht verpflichtet ist, und was es, seit Herr Tsipras an der Regierung ist, nicht mehr getan hat: Nämlich jeden Menschen, der europäischen Boden betritt, zu kontrollieren und wenn er keine Zugangsberechtigung zur EU hat, auch zu registrieren. Unter der Regierung Samaras wurden die Grenzen noch kontrolliert. Und zweitens, dass auch die Türkei das tut, wozu sie verpflichtet ist. Nämlich Menschen , die aus der Türkei kommen, und keinen Zutritt in die Europäische Union haben, wieder zurückzunehmen.

Dafür erhält die Türkei sechs Milliarden Euro, Visafreiheit und eine Beitrittsperspektive – ist das nicht ein zu hoher Preis?

Die sechs Milliarden gehen ja nicht an den Staat Türkei, sondern sie gehen über Flüchtlingshilfswerke direkt an die Menschen in den Lagern. Das ist Geld, das wir auch bezahlen sollten. Es gilt die Formel, ein Euro, den wir dort nicht investieren, bedeutet zehn Euro hier bei uns.

Wie sehen Sie die weiteren Zugeständnisse an die Türkei?

Ich habe ein Riesenproblem mit den Visa-Erleichterungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir die erste große Flüchtlingswelle aus dem West-Balkan bekamen, nachdem wir die Visumsfreiheit eingeführt hatten. Zudem stelle ich mir die Frage, wo werden die Menschen wohl hinfahren? Vor allem dorthin, wo sie bereits Verwandte haben. Das heißt die Visumsfreiheit für die Türkei würde vor allem Deutschland betreffen. Für uns lautet dann Frage, sind wir in der Lage, den Menschen nach 90 Tagen,  länger dürfen sie nicht bleiben, zu sagen, dass sie unser Land wieder verlassen müssen?

Was geschieht, wenn jemand nicht gehen möchte und Asyl beantragt?

Dann geht sofort die Diskussion los, ob die Türkei ein sicherer Herkunftsstaat ist. Dann werden uns Pro Asyl, die Linken und die Grünen mitteilen, dass es in der Türkei staatliche Verfolgung gibt. Und dann müssen wir bei jedem Türken im Einzelfall prüfen, ob er ein Kurde ist oder ob individuelle Verfolgung vorliegt. Dann kollabiert unser Asylsystem nicht aufgrund syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge sondern wegen Türken, die visumsfrei in die EU gekommen sind.

Erfüllt denn Türkei die Voraussetzungen für die Abschaffung der Visumspflicht?

Derzeit nicht. Es gibt 72 Punkte, die erfüllt werden müssen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Pässe maschinenlesbar sein müssen. Etwa 40 Punkte sind derzeit noch offen. Ich bezweifle auch, dass die Türkei in den nächsten Monaten die Voraussetzungen erfüllen wird. Und eines ist klar: politischen Rabatt darf es in dieser Frage für die Türkei nicht geben. Es kann nicht sein, dass wir diese Entscheidung durchs Europaparlament peitschen müssen, nur weil Frau Merkel und Herr Juncker das so wollen.

Es kann nicht sein, dass wir diese Entscheidung durchs Europaparlament peitschen müssen, nur weil Frau Merkel und Herr Juncker das so wollen.

Markus Ferber

Wie soll denn die Verteilung der Menschen ablaufen, die aus der Türkei in die EU kommen dürfen? Wird Deutschland sie alle aufnehmen?

Nein. Was bisher dank des Merkelschen Satzes passiert ist, war doch folgendes: Es sind unkontrolliert Menschen in die Europäische Union gekommen, von denen wir erst in den nächsten Monaten, nachdem wir sie dezentral in Deutschland verteilt haben, erfahren werden, woher sie kommen und ob sie wirklich verfolgt wurden . Dass sich die anderen Länder weigern, aus dieser Gruppe Menschen aufzunehmen, ist doch klar. Wenn wir uns aber künftig auf die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien konzentrieren, dann ist auch die Bereitschaft vorhanden zu helfen. Die EU hat sich ja der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet.

Das galt aber auch schon zuvor.

Zuvor haben viele europäische Länder gesagt, warum sollen wir ein Problem lösen, das es ohne Deutschland nicht gäbe. Als die Flüchtlinge noch in Griechenland waren oder auf Lampedusa, da hat Deutschland immer gesagt, es dürfe keine Quote geben und hat darauf bestanden, dass die EU-Regeln an den Außengrenzen eingehalten werden. Erst nachdem die Flüchtlinge in Deutschland waren, sollte eine europäische Lösung gefunden werden. Der Grundvorwurf  lautet: Erst wenn die Deutschen Probleme haben, dann wird ein Thema auf die europäische Agenda gesetzt. Das ist gefährlich, weil es stark zur Isolierung Deutschlands beiträgt. Aber das Abkommen mit der Türkei haben alle europäischen Regierungschefs unterzeichnet.

Wie viele Syrer nach Europa kommen entscheidet künftig die Türkei. Für jeden Flüchtling, den sie zurück nimmt, muss Europa einen aufnehmen. Das bedeutet doch, dass die Türkei ein Interesse daran hat, möglichst viele Flüchtlinge nach Griechenland zu lassen. Kann das funktionieren?

Die Türkei sitzt am Ventil. Und sie wird es aufmachen und schließen, wie es gerade passt. Ich halte das für eine abenteuerliche Geschichte, dass wir uns darauf einlassen. Das ist einer der großen Pferdefüße an diesem Abkommen.

Die Türkei scheint ihre Macht schon jetzt weidlich auszunutzen – man muss sich nur das Verhalten von Präsident Erdogan anschauen.

Weil wir selber unsere Probleme nicht lösen können, haben wir mit der Türkei einen schmutzigen Deal gemacht. Wir akzeptieren, dass Pressefreiheit eingeschränkt wird, wir akzeptieren, dass die Türkei nicht den Islamischen Staat bekämpft sondern die Kurden, und geben dabei alles auf, was europäische Werte ausmacht. Das alles zeigt, dass es keine langfristige Strategie gibt, sondern es nur um eine kurzfristige Problemlösung geht.

Sie halten also die Flüchtlingskrise nicht für bewältigt?

Nein. Dieses Abkommen ist nur ein Puzzle-Stein in einem viel größeren Bild. Alle Prognosen gehen davon aus, dass es neue Fluchtrouten geben wird. Entweder auf dem Landweg um die Karpaten herum – was für Afghanen und Pakistanis interessant sein könnte. Oder wieder über Libyen nach Italien – was kommen wird, wenn das Mittelmeer wieder ruhiger wird.

Die Flüchtlingskrise ist noch nicht bewältigt.

Markus Ferber

Was muss geschehen, um eine neue Flüchtlingswelle zu verhindern?

Immer das gleiche: Das geltende europäische Recht muss angewandt werden: Registrieren, prüfen wer einen Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention hat und diejenigen, die keinen Schutz genießen sofort wieder zurückzuschicken.

Was kann noch getan werden?

Wir brauchen Rückführungs-Abkommen, zum Beispiel mit Marokko. Das Land weigert sich bislang, Landsleute zurückzunehmen, wenn diese keine Ausweise besitzen. Unsere provisorischen Papiere erkennt die Regierung nicht an.

Warum hat denn die EU nicht schon längst Rückführungsabkommen mit allen Mittelmeer-Ländern abgeschlossen?

Bislang gibt es nur bilaterale Abkommen. Es gibt zum Beispiel eines zwischen Spanien und Marokko, das hervorragend funktioniert. Aber die Mitgliedsstaaten haben bislang gesagt, das ist keine europäische Aufgabe. Ich sage – wie Sie auch – dass die EU die Möglichkeiten hat, derartige Abkommen durchzusetzen. Wir helfen zum Beispiel beim Aufbau von Infrastruktur, dafür muss der Partner dann auch seine Verpflichtungen erfüllen: seine Landsleute zurücknehmen und seine Außengrenzen gegenüber Drittstaaten schützen. Diese Dinge hat die Europäische Kommission nicht mit dem Nachdruck verfolgt, der nötig gewesen wäre.

Braucht Deutschland weiterhin eine Obergrenze für Flüchtlinge?

Natürlich. Wir sollten uns an so demokratischen Ländern wie Kanada orientieren. Die Kanadier haben beschlossen, 25.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Und sie entscheiden, wen sie nehmen. Da müssen wir auch hinkommen. Nach Genfer Flüchtlingskonvention ist jeder Mensch, der in einem sicheren Drittstaat Zuflucht gefunden hat, sicher. Und die Türkei ist ein sicherer Drittstaat. Wir haben die humanitäre Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Menschen dort gut untergebracht werden. Wir können wie die Kanadier darüber entscheiden, wie viele wir aufnehmen und wen. Da sind die 200.000, die Horst Seehofer genannt hat, ein sehr großzügiges Angebot.

Allein in Syrien leben mehr als 20 Millionen Menschen, weltweit gibt es aber Hunderte Millionen, die sich ein besseres Leben erhoffen. Ist es angesichts dieser Zahlen nicht unumgänglich, eine Festung Europa zu bauen?

Die Kernfrage ist doch, hat jeder, der für sich in Anspruch nimmt, woanders eine bessere Zukunft zu finden, den Rechtsanspruch, sie auch zu bekommen? Wenn man zum Beispiel zentrale Teile Afrikas betrachtet, dann muss man sagen, dass eine fehlende Perspektive kein Fluchtgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist. Das gilt übrigens auch für Umweltveränderungen wie etwa die Klimaerwärmung.

Aber die Menschen werden trotzdem versuchen zu kommen.

Weil wir die falschen Signale aussenden. Wenn wir sagen, wir können alle Flüchtlinge für den Arbeitsmarkt qualifizieren, wenn wir sagen, wir bauen jetzt Wohnungen für Flüchtlinge, dann nutzen das die Schlepper. Sie sagen den Menschen, `Schau mal, die Deutschen schaffen Wohnraum für dich, die geben noch mehr Geld für Integrationskurse aus, die bereiten sich vor, die warten schon auf dich´. Wir führen eine völlig falsche Diskussion, weil wir damit den Schlepperbanden die Argumente frei Haus liefern.

Was müssten wir stattdessen tun?

Wir müssen uns wieder, an die Spielregeln halten, die wir haben. Es darf nicht gelten, dass wir jeden, der es bis zu uns schafft, hereinlassen, weil wir sagen `Der hat so viele Mühen auf sich genommen´. Das ist vollkommen falsch. Es gibt die humanitäre Verpflichtung nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Und es gibt einen legalen Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt. Der heißt: Zunächst der deutsche Arbeitsmarkt, dann der europäische und wenn dann keine Fachkraft zu finden ist, der nichteuropäische Arbeitsmarkt. Das geht und das ist nicht unmenschlich.

Diese klare Botschaft haben wir bisher so von der Bundesregierung nicht gehört.

Dieses Signal muss aber kommen.