Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl. (Bild: Nikky Maier)
Kurt Gribl

„So ist das nicht zu schaffen!“

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Die Kommunen tragen die Hauptlast bei der Integration von Flüchtlingen, doch ohne eine Begrenzung des Zustroms steuern sie geradewegs auf einen finanziellen und organisatorischen Kollaps zu. Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl sendet einen Weckruf im Namen der bayerischen Kommunen.

Halten wir zunächst drei Dinge fest: Erstens: In der Migration liegen auch große Chancen für die demographischen Herausforderungen unseres Landes. Zweitens: Das Gelingen von Integration entscheidet sich in den Großstädten und mittleren Kommunen. Drittens: Die Festlegung von Kontingenten, die gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa, ein konsequenter EU-Außengrenzschutz und die Gewährleistung der finanziellen Tragfähigkeit für die Integrationsleistungen vor Ort in den Kommunen sind unabdingbar für dieses Gelingen.

Sehen wir die Dinge also zunächst einmal positiv. Denn nur wenn wir von der Lösung her denken, und nicht von der Möglichkeit des Misslingens, können wir die größte Herausforderung annehmen, die sich Deutschland seit der Wende stellt. Wie schon die politische Nachkriegsgeneration, wie die Generation „1989“ sollten wir unsere Probleme beherzt und doch ohne Romantisierung angehen. Dafür benötigen wir Lösungsvorschläge, die in den politischen Diskurs und dann unser praktisches Handeln eingehen können.

Wir wollen – aber so können wir nicht!

Oberbürgermeister und Bürgermeister der im Deutschen Städtetag organisierten Städte haben bereits vergangenen November die klare Forderung an den Bund adressiert, den Flüchtlingszustrom spürbar zu reduzieren. Ein bemerkenswertes Votum übrigens: Einstimmig über alle politischen Gruppierungen hinweg. Die Kommunen sind es, in denen die Flüchtlinge aufgenommen werden, leben und integriert werden. Probleme, Konflikte und Lösungen konzentrieren sich auf der kommunalen Ebene, mehr als auf den „nur“ steuernden übergeordneten Ebenen der Länder, des Bundes oder Europa. Aus dem Blickwinkel der Kommunen werden auch die zwingenden Gründe anschaulich, warum wir einen unbegrenzten Flüchtlingsstrom nicht schaffen können. Wohlgemerkt, von „nicht können“ ist die Rede, nicht von „nicht wollen“, wie sich aus der enormen Leistungsbereitschaft der Kommunen im vergangenen Jahr ohne weiteres ergibt. Es fehlt die finanzielle, die gesellschaftliche und die integrative Tragfähigkeit der kommunalen Strukturen.

Tabuthema Geld: Die Städte steuern sehenden Auges auf ein Desaster zu

Zunächst ein Tabuthema und deswegen allenfalls beschwichtigend intoniert oder am besten überhaupt nicht angesprochen: Ja, der Flüchtlingszustrom kostet Geld. Nein, er kann nicht – jedenfalls nicht länger, und schon gar nicht aus kommunalen Finanzmitteln – aus Rücklagen finanziert werden. Ohne Umverteilung, Steuererhöhung und/oder Verschuldung können die vielfältigen Aufgaben nicht bewältigt werden. Besonders hart trifft es die in der ganzen Republik finanziell gebeutelten Kommunen. Vielfach können es sich die ohnehin kaum mehr handlungsfähigen Städte nicht mehr leisten, die staatlichen Förderungen (z.B. für Wohnungsbau) in Anspruch zu nehmen, weil sie nicht einmal den kommunalen Investitionsanteil aufbringen können. Und wie sollen Oberbürgermeister und Bürgermeister überhaupt dazu motiviert werden im großen Stil Wohnungen zu bauen, wenn sie ihre Stadt damit gleichzeitig endgültig in den finanziellen Abgrund steuern? Was viele nicht wissen oder bedenken: Eine Vielzahl der hier ankommenden Asylbewerber werden mittelfristig oder länger nicht in Arbeitsverhältnisse vermittelt werden können. Die Rede ist von 50-80 Prozent über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren. Neue Gemeindebürger also, für die die Kommunen nicht nur Wohnraum schaffen müssen, sondern gleichzeitig über Hartz IV noch dazu rund 65 Prozent der Kosten für die Unterkunft zu tragen haben. Hinzu kommen Kosten für viele weitere Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge, von den Kinderkrippen und –tagesstätten, Schulen bis hin zur sozialen Fürsorge, ganz zu schweigen von den Verwaltungs- und Personalkosten. Ohne Begrenzung des Zustroms und gleichzeitige Kostenübernahme für alle durch die Flüchtlingsaufnahme verbundenen Kosten und Folgekosten können die Kommunen nicht einmal die Aufgaben ordentlich bewältigen, die mit den bereits bislang zu uns gekommenen Menschen verbunden sind. Klare Forderungen zur Entlastung der Kommunen durch den Bund, zum Beispiel für die Kosten der Unterkunft, blieben bislang ungehört. Wir steuern sehenden Auges und geradewegs auf ein Desaster zu.

„Die Stimmung kippt“ versus gesellschaftliche Toleranz

Oft zu hören: Wir sind ein reiches Land. Unsere Gesellschaft ist tolerant und aufgeschlossen. Wir sind der Menschenwürde und unserem Grundgesetz (auch vor geschichtlichem Hintergrund) besonders verpflichtet. Wir haben bereits in der Vergangenheit enorme Integrationsleistungen erbracht und nehmen Interkulturalität und Diversity gerade in großen Städten als Bereicherung wahr. Wir sehen auch die in der Migration liegenden Chancen für unsere demographischen Herausforderungen. – Alles richtig! Und zwar uneingeschränkt!

Und dennoch, immer öfter zu hören: „Die Stimmung kippt!“ Auch die Aufnahmegesellschaft besteht (nur) aus Menschen, unseren Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihren Bedürfnissen, Ansprüchen und Ängsten ins Hintertreffen zu geraten drohen. Verunsicherung, Verärgerung, Neid, Verlust- und Existenzängste und Ungerechtigkeitsempfinden entstehen nicht nur aus einer diffusen Gefühlslage oder gar aus latenter Fremdenfeindlichkeit. Sie beruhen auf konkreten Tatsachen und Betroffenheiten, oft aus Situationen, in denen mit den neu in unserer Gesellschaft angekommenen Schützlingen um Wohnraum oder soziale Unterstützung konkurriert wird, wie zum Beispiel bei der Gewährung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Unverständnis entsteht aus oft nicht begreifbarer Ungerechtigkeit beim Verwaltungsvollzug. Während die Bürger und Bürgerinnen der Aufnahmegesellschaft geradezu pedantisch dem über Jahrzehnte hinweg entwickelten und geübten Verwaltungsvollzug für die bei uns geltenden Regeln und Vorschriften ausgesetzt werden, gilt für die Einreise, die Registrierung und Regelkonformität des Verhaltens von Asylbewerbern bis hin zu sicherheitsrelevanten Aspekten anscheinend (faktisch) das laissez-faire-Prinzip. Die Balance muss wieder hergestellt werden. Sonst bricht die gesellschaftliche Tragfähigkeit als Grundvoraussetzung für die Bewältigung des Flüchtlingszuzugs weg.

Qualitätvolle Integration funktioniert nur bei Begrenzung des Zustroms

Wir dürfen uns nichts vormachen. Integration ist die Hauptaufgabe. Ein Sprach- und Integrationskurs reicht dafür nicht aus. Auch nicht mehrere. Gerade größere Städte haben hinlängliche Erfahrung, wie Integration gelingen kann. Mehr noch wie sie scheitern kann. Natürlich ist das Erlernen und die Ausübung der deutschen Sprache der Schlüssel für eine gelingende Integration. Sie ist auch Voraussetzung für die wichtigste Komponente: die Aufgeschlossenheit für und Rücksichtnahme auf unsere Kultur, unsere Werte, unsere Tugenden und unsere Lebensart. Der unbedingte Wille und damit verbunden die Bereitschaft, unsere Rechtsordnung zu achten und mit uns zu leben und zu arbeiten. Das Selbstverständnis, dass es sich hierbei um „Bringschulden“ der hier ankommenden Menschen handelt. Teilhabe und Teilnahme. Eine Ausbildung und ein learning by doing im täglichen Leben. Mit Unterstützung durch ein starkes Netzwerk, bestehend aus professionellen Integrationsangeboten, Arbeitsvermittlung, Bildung und ehrenamtlichem Engagement der Bürgergesellschaft. Über lange Zeit, über viele Jahre hinweg. Gründlich also und mit hoher Qualität in jedem Einzelfall. Leistbar ist dies nicht am Fließband und als „Großveranstaltung“. Dem Integrationserfolg ist ungeachtet der finanziellen Leistbarkeit die mengenmäßige Begrenzung immanent. Sonst wird die Integrationskraft der Aufnahmegesellschaft überfordert.

Drei Kernforderungen:

1. Nein zur kommunalen Haushaltsüberlastung: Die Kommunen benötigen sofort strukturelle und langfristige finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern.

2. Ja zur Reduzierung der Menge: Damit Integration dort, wo sie stattfindet, gelingen kann, muss es eine mengenmäßige Reduzierung geben. Unbegrenzter Zuzug ist von den Kommunen nicht leistbar.

3. Ja zur qualitätsvollen Integration und Gleichbehandlung: Wo die finanzielle Grundlage stimmt, kümmern sich die Kommunen um das Gelingen von Integration. Wichtig ist dabei, dass wir uns um die Aufnahmegesellschaft genauso kümmern wie um die Menschen, die zu uns kommen.

 

Sie interessieren sich für das BAYERNKURIER-Monatsmagazin? Alle Informationen finden Sie hier.