Ohne eine Obergrenze wird Deutschland die Flüchtlingskrise nicht bewältigen können, so Rupert Scholz. Foto: imago/ZUMA Press
Flüchtlinge

Das Grundrecht auf Asyl kann eine Obergrenze haben

Gastbeitrag Deutschland muss sich auf eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen einigen. Ansonsten drohen massive Probleme - ähnlich wie in Frankreich, wo die Integration nahezu gescheitert ist. Mit der Obergrenze würde die Bundesregierung auch zu ihrer Pflicht des Schutzes der deutschen Identität bekennen. Ein Beitrag aus dem aktuellen Bayernkurier-Magazin von Prof. Dr. Rupert Scholz.

Tag für Tag strömen weiter Tausende von Flüchtlingen nach Deutschland – vor allem über die bayerisch-österreichische Grenze. Nach wie vor fehlt es jedoch an einem klaren politischen Konzept, wie dieser Tatbestand einer massiven faktischen Einwanderung begrenzt oder kontrolliert werden kann. Die Bundesregierung beschränkt sich einerseits darauf, nach wie vor die Möglichkeit einer Obergrenze zu bestreiten, und fordert im Übrigen, dass die anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union entsprechende Kontingente an Flüchtlingen aufnehmen.

Inzwischen ist jedoch eindeutig erkennbar, dass keiner dieser EU-Staaten hierzu bereit ist. Im Gegenteil, die Zahl der EU-Staaten, die ihre Grenzen für weitere Flüchtlinge schließen, wächst und Staaten wie Frankreich fordern für ganz Europa ausdrücklich, dass keine weiteren Flüchtlinge aus dem Nahen Osten in der EU aufgenommen werden.

Verstoß gegen Dublin

Zugleich wird – offen oder hinter vorgehaltener Hand – davon gesprochen, dass die Deutschen die gegebene Flüchtlingskrise selbst verschuldet und damit auch selbst zu verantworten hätten. Richtig ist hieran, dass seit der Entscheidung im September, Flüchtlinge aus Ungarn unmittelbar nach Deutschland zu holen, die Bundesregierung die einschlägige Verordnung der EU, die Dublin-VO, und auch den Asylparagraphen des Grundgesetzes, Art. 16a, eindeutig missachtet hat. Beide Regelungen bestimmen, dass für die Gewährung von Asyl derjenige Staat verantwortlich und zuständig ist, in dem ein Flüchtling erstmals ankommt beziehungsweise den Boden der EU betritt.  Hieran haben sich Staaten wie Griechenland und Italien von Anfang an nicht gehalten, es galt das schlichte „Durchwinken“ Richtung Deutschland.

Das Grundrecht aus Art. 16a GG ist kein Super- oder Obergrundrecht, das keine Einschränkungen wie die einer Obergrenze erlaubte.

Rupert Scholz

Aber auch Deutschland hat diese Regelungen verletzt, indem es – unter dem Stichwort der sogenannten Willkommenskultur – unbeschränkt Flüchtlinge aufgenommen hat und weiter aufnimmt, ohne danach zu fragen, ob diese Flüchtlinge nicht in einem anderen Land ihr Recht auf Aufnahme beziehungsweise Asylgewährung hätten wahrnehmen müssen.

Zugleich lehnt die Bundesregierung nach wie vor wirksame Grenzkontrollen gegen entsprechend illegale Einwanderungen ab – zumeist mit der schlichten Behauptung, dass man 3.000 Kilometer Grenze gar nicht kontrollieren oder überwachen könne. Letzteres ist jedoch ebenso falsch, wie die Behauptung der Bundeskanzlerin, dass „simple Abschottung“ nicht weiterhelfe.

Streitthema Familiennachzug

So hat sich die Flüchtlingskrise zur elementaren Politikkrise ausgewachsen – einer Politikkrise, der endlich und rasch begegnet werden muss. Im Jahr 2015 werden es rund eine Million Flüchtlinge sein, die nach Deutschland kommen, und wenn nicht endlich Gegenmittel entwickelt werden, wird sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren – wiederum millionenfach – fortsetzen. Hinzu kommt der sogenannte Familiennachzug. Dieser ist nicht von Verfassungswegen gewährleistet, sondern lediglich Kraft einfachen Gesetzesrechts (Asylverfahrensgesetz). Der Familiennachzug, der unter Umständen weiteren Millionen den Weg nach Deutschland eröffnen würde, ohne dass es des Nachweises politischer Verfolgung bedürfte, lässt weitere Millionen von Zuwanderern befürchten.

Die CSU hat auf ihrem Parteitag zum einen eine Obergrenze für die laufenden Flüchtlingsströme und zum anderen auch die Aussetzung des Familiennachzuges gefordert. Beide Forderungen stoßen bei der Bundesregierung jedoch auf Ablehnung. Hinsichtlich der Obergrenze wird weiter behauptet, dass das Asylgrundrecht des Art. 16a GG angeblich keine Obergrenze kenne und hinsichtlich des Familiennachzuges wird von angeblicher sozialer Ungerechtigkeit gesprochen; nur hinsichtlich des sogenannten sekundären Aufenthaltsrechts ist man bereit, den Familiennachzug vorübergehend auszusetzen.

Beide rechtlichen Argumentationen gehen jedoch fehl. Das Grundrecht aus Art. 16a GG ist kein Super- oder Obergrundrecht, das keine Einschränkungen wie die einer Obergrenze erlaubte. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat vor längerer Zeit bereits darauf hingewiesen, dass das Asylgrundrecht sogar ganz abgeschafft werden könnte, da es nicht unter der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG steht. Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass das Asylgrundrecht kein Einwanderungsgrundrecht ist. Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass das Asylgrundrecht auch verfassungsimmanent wesentlichen Schranken unterliegt, die im Einzelnen vom Gesetzgeber zu aktualisieren und zu konkretisieren sind. Dies gilt vor allem für die im Rechtsstaatsprinzip verankerte Garantie der Rechtssicherheit.

Statt Integration droht die Entstehung von Parallelgesellschaften mit massivem sozialen Konfliktpotenzial – eine Entwicklung ähnlich der in Frankreich.

Rupert Scholz

Wenn Flüchtlinge kriminell oder sogar Terroristen sind, muss der Gesetzgeber eingreifen. Das gleiche gilt aus der Sicht des Sozialstaatsprinzips. Wenn die sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen nicht mehr geeignet, das heißt überfordert sind, ist der Gesetzgeber berechtigt und gegebenenfalls sogar verpflichtet, mit der Einführung von Zugangs- oder Aufnahmegrenzen zu reagieren. In diesem Sinne bewegt sich der Beschluss des CSU-Parteitages vom 20.11.2015 absolut innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu Art. 16a GG.

Es führt kein Weg an der Obergrenze vorbei

Die CDU hat auf ihrem Bundesparteitag am 14.12.2015 eine „spürbare Verringerung“ von Flüchtlingen gefordert. Was dies aber im Einzelnen bedeuten soll, bleibt im Dunkeln. Immerhin ein erster Schritt zur notwendigen Einsicht.

Die Festlegung einer Obergrenze verspricht demgegenüber sehr viel mehr Rechtssicherheit. Wichtig ist darüber hinaus, dass das Asylgrundrecht des Art. 16a GG kein Kollektivgrundrecht darstellt, das ganzen Gruppen oder Bevölkerungsschichten pauschal zuzuerkennen wäre. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht in aller Deutlichkeit klargestellt. Das Asylgrundrecht ist ein Individualgrundrecht, das von jedem Flüchtling, der Asyl begehrt, den Nachweis persönlicher politischer Verfolgung verlangt.

Auch hiergegen wurde verstoßen, namentlich mit dem Satz „Alle Syrer erhalten Asyl“. Glücklicherweise hat der Bundesinnenminister diese fehlerhafte Auslegung inzwischen korrigiert und die Rückkehr zur (allein verfassungskonformen) Individualprüfung eingeleitet. Nachdem die anderen EU-Staaten sich weigern, Deutschland bei der Bewältigung der Flüchtlingslasten durch die Aufnahme bestimmter Kontingente zu helfen, muss das Problem national, d.h. über die Einführung einer Obergrenze gelöst werden.

Die Bundesregierung verfügt über keinerlei Mittel, die anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur kontingentmäßigen Übernahme von Flüchtlingen zu verpflichten. Das europäische Asyl- und Flüchtlingsrecht spricht zwar sehr allgemein auch von der „Solidarität“ der Mitgliedsstaaten. Hieraus folgt aber kein Rechtstitel, der die einzelnen Mitgliedsstaaten zur Aufnahme von Flüchtlingen allgemein oder in bestimmter Kontingentzahl verpflichten würde.

Der Schutz der nationalen Identität gehört zu den zentralen verfassungsrechtlichen Garantien deutscher Staatlichkeit schlechthin.

Rupert Scholz

So bleibt es beim schlichten Appell – ein Appell, der aber inzwischen vollkommen ins Leere gegangen ist. Vor allem dort, wo die innere Sicherheit gefährdet ist, wo eine Überforderung der sozialen oder finanziellen Ressourcen droht, muss das Asylrecht deshalb über die Einführung einer Obergrenze zurücktreten. Nur zur Klarstellung: Es gibt überhaupt kein Recht, das von vornherein grenzenlos ist. Jedes Recht findet seine Grenze an kollidierenden Rechten – hier namentlich am Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip. Gegenüber alledem wird von den Verteidigern der derzeitigen Flüchtlingspolitik immer wieder geltend gemacht, dass man sich um eine wirksame Integration der Flüchtlinge bemühen müsse bzw. wolle.

Keine Chance der Parallelgesellschaft

Dies ist im Prinzip sicherlich richtig, aber auch hier muss man bei realistischer Sicht erkennen, dass eine Integration von Millionen Menschen islamischen Glaubens, von denen maximal 10 Prozent in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können, nahezu unmöglich ist. Statt Integration droht die Entstehung von Parallelgesellschaften mit massivem sozialen Konfliktpotenzial – eine Entwicklung ähnlich der in Frankreich.

In Frankreich ist, wie längst auch offiziell – nicht erst nach den Pariser Anschlägen – zugegeben wird, die Integration der zahllosen Einwanderer aus den früheren Kolonien Algerien, Marokko und Tunesien eindeutig gescheitert. Und dies, obwohl die dortigen Einwanderer in aller Regel die französische Sprache beherrschen, die französische Staatsbürgerschaft erhalten haben und die französische Kultur kennengelernt haben.

Im Falle der heute nach Deutschland strömenden Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind selbst solche Voraussetzungen nicht gegeben. Im Ergebnis droht eine Islamisierung, die die Identität und Integrität der deutschen Nation und ihrer in den Prinzipien der Kulturnation wurzelnden Werte massiv bedrohen kann. Geht es aber sogar um die Identität deutscher Verfassungsstaatlichkeit, so ist der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet zu handeln.

Wenn weiter Millionen von Muslimen nach Deutschland strömen, geht es also auch um den Schutz der Identität und Integrität der deutschen Kulturnation.

Rupert Scholz

Der Schutz der nationalen Identität gehört zu den zentralen verfassungsrechtlichen Garantien deutscher Staatlichkeit schlechthin, wie das Bundesverfassungsgericht sogar gegenüber bestimmten Integrationsmaßnahmen innerhalb bzw. zugunsten der Europäischen Union betont hat. Wenn weiter Millionen von Muslimen nach Deutschland strömen, geht es also auch um den Schutz der Identität und Integrität der deutschen Kulturnation.

Alles dies fordert ein rasches gesetzgeberisches Handeln. Ein Handeln, für das das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen breiten Gestaltungs- und auch Einschätzungsspielraum eingeräumt hat. Demgegenüber wird zwar immer wieder eingewandt, dass man doch gar keine bestimmte Zahl an verkraftbaren Flüchtlingen definieren könne. Aber auch dieses Argument läuft ins Leere.

Außerordentlich hilfreich und weiterführend ist beispielsweise der Vorschlag des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Haseloff, der vorgeschlagen hat, dass jedes Bundesland die Zahl an Flüchtlingen benennt, die es aufnahmemäßig verkraften kann – ein Verfahren, dass für jedes Jahr gesondert durchzuführen ist und eine Garantie dafür bilden würde, dass die tatsächliche Aufnahmefähigkeit Deutschlands auch bundesstaatlich, vor allem zugunsten der zahllosen überforderten Kommunen, klar abgegrenzt und definiert werden würde.

Auf der Grundlage solcher Erhebungen könnte sehr rasch eine ebenso plausible wie verfassungsmäßige Obergrenze für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt ermittelt und festgelegt werden.

Prof. Dr. Rupert Scholz

ist Experte für Verfassungs- und Europarecht. Von 1990 bis 2002 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und davon vier Jahre Vorsitzender des Rechtsausschusses. Er war von 1988 bis 1989 Bundesminister der Verteidigung. Zuvor war er mehrere Jahre Justizsenator und Senator für Bundesangelegenheiten in Berlin. An der Freien Universität Berlin und der LMU München lehrte Prof. Scholz Öffentliches Recht.

 

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Autorenfoto: imago/Gerhard Leber