10.000 Flüchtlingskinder gelten in Europa als vermisst, auch in Deutschland hat sich Spur von Tausenden verloren. (Bild: imago/Xinhua)
Kriminelle Infrastruktur

Tausende Flüchtlingskinder in Deutschland vermisst

Keine Spur gibt es von mindestens 10.000 Flüchtlingskindern in Europa. In Deutschland galten Anfang des Jahres knapp 5000 Minderjährige auf der Flucht als vermisst. Dies hat verschiedene Ursachen, aber der Europol-Stabschef Brian Donald fürchtet, dass viele ihnen in die Hände von kriminellen Banden geraten sein könnten.

Mindestens 10.000 unbegleitete Flüchtlinge unter 18 Jahren sind laut Europol in Europa verschwunden. Ihre Spur hat sich nach ihrer Registrierung in den europäischen Staaten komplett verloren. Allein 5000 von ihnen verschwanden in Italien, 1000 in Schweden. Die Bundesregierung hat keine Hinweise darauf, dass auch in Deutschland allein reisende Flüchtlingskinder verschwunden sein könnten.

Eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes teilte jedoch der Mitteldeutschen Zeitung mit, dass Anfang des Jahres 4.749 unbegleitete Flüchtlinge im Kindes- und Jugendlichen-Alter als vermisst galten. Der Großteil von ihnen, knapp 4.300, ist zwischen 14 und 17 Jahren alt. Die Zahl ist alarmierend: ein halbes Jahr zuvor lag die Zahl der vermissten unbegleiteten Flüchtlinge im Kindes- und Jugendlichen-Alter bei 1.637.

Spur der Kinder verliert sich

Polizisten der europäischen Behörden warnen, ein Teil von ihnen könnte Opfer von Menschenhändlern geworden sein. Schleuser nutzen Flüchtlinge zunehmend für Sexarbeit und Sklaverei aus. „Dies bedeutet nicht, dass allen etwas passiert ist. Ein Teil der Kinder könnte sich tatsächlich mittlerweile bei Verwandten aufhalten. Aber es bedeutet, dass diese Kinder zumindest potenziell gefährdet sind“, so ein Europol-Sprecher.

Er bestätigte Berichte, wonach es Beweise dafür gebe, dass einige allein reisende Kinder Opfer sexuellen Missbrauchs geworden seien. Sowohl in Deutschland als auch in Ungarn sei „eine größere Menge“ von Kriminellen verhaftet worden, die Flüchtlinge ausbeuteten. Es sei eine eigene kriminelle Infrastruktur entstanden, die es auf Flüchtlinge abgesehen habe. Im schwedischen Hafen Trelleborg beispielsweise seien zwar 1000 unbegleitete Kinder angekommen, doch seien sie dann verschwunden.

Die Behörden wüssten nicht, wo die Kinder abgeblieben seien. Europol lägen auch Informationen darüber vor, dass jene Kriminellen, die zunächst als Schlepper und Menschenhändler von den Flüchtlingen profitiert hätten, nun auch versuchten, die Flüchtlinge de facto zu versklaven oder sexuell auszubeuten. Die Öffentlichkeit müsse davon ausgehen, dass die verschwundenen Kinder nicht „irgendwo im Wald versteckt“ würden, sondern „unter unseren Augen“ lebten.

Immer mehr Frauen und Kinder flüchten

Erstmals seit Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 sind mehr Frauen und Kinder auf dem Weg nach Europa als Männer. Die Grenze von Griechenland nach Mazedonien überquerten aktuell zu fast 60 Prozent Frauen und Kinder laut Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef). Im Vergleich zur Situation vor einem halben Jahr habe sich der Anteil der Kinder verdreifacht. Mehr als eine Million Asylbewerber sind im vergangen Jahr nach Europa gekommen, 27 Prozent von ihnen sind Kinder schätzt Europol.

„Nicht alle von ihnen sind ohne Begleitung, doch haben wir Belege, dass ein großer Teil von ihnen unbegleitet sein könnte“, sagte Donald. Die Schätzungen von 10.000 vermissten Flüchtlingskinder bezeichnet er als vorsichtig, sie könnten auch weitaus höher sein. Auch die Organisation „Save the Children“ geht von ungefähr 26.000 unbegleiteten Minderjährigen aus, die im vergangenen Jahr in Europa angekommen sind. Viele wurden nicht registriert und nicht alle waren auch tatsächlich minderjährig oder unbegleitet. Viele kamen sicher mittlerweile bei Verwandten oder Bekannten unter. Andere hatten keine Aussicht auf Asyl und sind deshalb untergetaucht oder werden von Helfern versteckt.

Prostitution und Ausbeutung

Mariyana Berket von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa warnt gegenüber dem Observer: „Unbegleitete Minderjährige aus Konfliktregionen bilden die mit Abstand gefährdetste Gruppe unter den Flüchtlingen.“ So hat Europol Beweise, dass manche Kinder und Jugendliche auf der Flucht missbraucht worden sein. Kriminelle Banden, die bisher als Schleuser aufgetreten seien, wären dazu übergegangen, Flüchtlinge als Prostituierte oder Arbeitssklaven zu missbrauchen.

Wie viele von ihnen tatsächlich in die Hände krimineller Banden geraten sind ist unklar. „Nicht alle werden kriminell ausgenutzt, manche könnten inzwischen in der Obhut von Familienmitgliedern sein“, sagte Europol-Stabchef Brian Donald der britischen Wochenzeitung The Observer.

60.000 Flüchtlingskinder in Deutschland

In Deutschland leben derzeit nach Angaben von Hilfsorganisationen 60.000 unbegleitete Flüchtlinge unter 18 Jahren. Der Nachzug von Eltern werde „oft als Massenphänomen dargestellt“, laut Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Tatsächlich seien im vergangen Jahr nur 442 Eltern nachgekommen. Das sagte ein Vertreter des Verbandes der Süddeutschen Zeitung.

(dpa/AS)