Sunniten und Schiiten bilden die beiden großen Strömungen des Islam. Die Spaltung der muslimischen Gemeinschaft in diese beiden Richtungen ist in erster Linie die Folge des politischen Streits um die rechtmäßige Nachfolge des Propheten Mohammed nach dessen Tod im Jahr 632.
Die Mehrheit der Muslime ist sunnitisch
Die theologische und rechtliche Ausformung beider Strömungen vollzog sich dagegen erst später, im Laufe des 8.-9. Jahrhunderts. Die Bezeichnung „Sunnit“ ist von dem arabischen Wort „Sunna“ abgeleitet, den überlieferten Handlungsweisen des Propheten Mohammed. Die Sunniten bilden die Mehrheit der heute weltweit 1,5 Milliarden Muslime (ca. 85 %) und sind in vier sog. Rechtsschulen (madhāhib) unterteilt, die sich als Lehrinstanzen in rechtlichen und kultischen Angelegenheiten begreifen. Die in Saudi-Arabien vorherrschende ultrakonservative Strömung des Wahhabismus stellt eine Minderheit innerhalb des sunnitischen Islam dar und ist stark antischiitisch ausgerichtet.
Die Bezeichnung „Schiiten“ leitet sich dagegen von shīʻat ʻAlī ab, einem Ausdruck, der auf Arabisch „Partei/Gefolgschaft Alis“ bedeutet. Sie repräsentieren mit 10-15% die zweitgrößte muslimische Strömung. In Iran, Irak und Bahrain stellen Schiiten die Bevölkerungsmehrheit. Bedeutende schiitische Minderheiten existieren im Libanon und in Saudi-Arabien. Vertreten die Sunniten die Ansicht, dass die religiöse und politische Führung der muslimischen Gemeinschaft dem Fähigsten unter den Muslimen zusteht, lehnen die Schiiten eine solche Regelung ab. Sie glauben stattdessen, dass Mohammed zu seinen Lebzeiten seinen Cousin und Schwiegersohn Ali (gest. 661) zu seinem rechtmäßigen Nachfolger ernannt hat.
Streit um legitimen Nachfolger Mohammeds
Die schiitische Auffassung, dass allein die leiblichen Nachkommen Alis als die wahren Führer (arab. Sing. imām) der gesamten muslimischen Gemeinschaft gelten, ist für die Sunniten inakzeptabel. Demzufolge lehnen sie die Verehrung der Imame und den für das Schiitentum essenziellen Glauben an die Wiederkehr eines verborgenen Imams (al-Mahdī) als unislamisch ab. Das in der heutigen Islamischen Republik Iran vorherrschende Regierungskonzept der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (pers.: welāyat-e faqīh), ist im 20. Jahrhundert von dem iranischen Gelehrten Āyatollāh Khomeini entwickelt worden. Als Ausdruck einer vollkommen neuen Interpretation schiitisch-islamischer Herrschaft ist dieses Staatsmodell unter schiitischen Gelehrten bis auf den heutigen Tag umstritten und wird von Sunniten als Bedrohung empfunden.
Dr. phil. Stephan Kokew ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Orientalische Philologie und Islamwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.