Schmerzhafter Händedruck mit einem Möchtegern-Diktator: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor dem G20-Gipfel in Antalya. Bild: Imago/Xinhua/Pan Chaoyue
Ende der Pressefreiheit

Die türkische Diktatur wird ausgebaut

Mal wieder werden in der Türkei regierungskritische Journalisten verhaftet. Die Pressefreiheit besteht längst nur noch auf dem Papier, so sieht es auch der jüngste EU-Fortschrittsbericht. Dahinter steht die islamistisch-nationalistische Partei AKP und der türkische Möchtegern-Diktator Recep Erdogan.

Journalisten und Schriftsteller sind in der Türkei seit Jahren schon fast Staatsfeinde. Sie werden von der islamistischen Partei AKP offen oder verdeckt diskriminiert, übel diffamiert, eingesperrt, verprügelt und sogar ermordet. Kurz vor dem EU-Sondergipfel mit der Türkei zur Flüchtlingskrise muss nun auch der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ ins Gefängnis. Gegen „Cumhuriyet„-Chef Can Dündar und den Hauptstadtkorrespondenten der Zeitung, Erdem Gül, sei Haftbefehl erlassen worden, berichtete die Nachrichtenagentur DHA. Ihnen werde Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die Verbreitung von Staatsgeheimnissen und Spionage vorgeworfen. Hintergrund ist ein von Dündar und Gül verfasster Bericht über angebliche Waffenlieferungen von der Türkei an Extremisten in Syrien. Auch aus kurdischen Kreisen ist schon lange zu vernehmen, dass die AKP den Islamischen Staat nicht nur geduldet, sondern auch aktiv aufgerüstet, wenn nicht sogar mitgegründet hat.

Der Westen hat doch keine Ahnung von der Türkei! Die Leute dort wurden in den letzten Jahren gefüttert mit Geschichten über eine perfekte Ehe von Islam und Demokratie.

Ece Temelkuran 

Berichte darüber sind natürlich unerwünscht und vor allem gefährlich, wie am Donnerstag auch die türkische Journalistin Ece Temelkuran in einem BR-Bericht sagte. Sogar sie, die die AKP in ihrem neuesten Buch „Euphorie und Wehmut“ stark kritisiert, wollte eine Frage zu diesem Thema nicht beantworten: „Ganz ehrlich. Darüber will ich nicht sprechen!“ Das legt den Verdacht nahe, dass durch eine Antwort nicht nur ihre Freiheit, sondern sogar ihr Leben oder das ihrer Familie in Gefahr ist. „Der Westen hat doch keine Ahnung von der Türkei! Die Leute dort wurden in den letzten Jahren gefüttert mit Geschichten über eine perfekte Ehe von Islam und Demokratie“, ätzte sie auch gegen deutsche leichtgläubige Medien. Diese Geschichten stimmten überhaupt nicht. Alle wichtigen Medien seien von der Regierungspartei besetzt worden, dort gebe es keine kritischen Stimmen mehr.

Noch kurz vor den Wahlen wurden andere regierungskritische Medien gestürmt und abgeschaltet (der Bayernkurier berichtete). Und zwei Redakteure des liberalen Nachrichtenmagazins „Nokta“ wurden wegen angeblicher Putschpläne angeklagt. Sie hatten den AKP-Wahlsieg auf der Titelseite ihres Magazins als „Anfang des Bürgerkriegs in der Türkei“ bezeichnet. Dies wurde als Aufruf zu einem bewaffneten Aufstand gewertet – eine Farce. Auch Berichte über die immer mehr ausufernde Korruption in AKP-Kreisen werden umgehend und hart bestraft.

Wer türkische Hilfe für den IS-Terror aufdeckt, wird bestraft

Cumhuriyet“ hatte im Sommer Fotos veröffentlicht, die eine Waffenlieferung für Extremisten in Syrien aus der Türkei Anfang 2014 belegen sollen. Die Fotos zeigten angeblich die Durchsuchung eines für die Barbarenmiliz Islamischer Staat in Syrien bestimmten Waffenkonvois des türkischen Geheimdienstes MIT durch offenbar nicht vorab informierte örtliche Behörden. Die Behörden hatten eine Nachrichtensperre über den Fall verhängt – kaum verwunderlich, da höchst peinlich für Erdogan. Erdogan wies den Bericht des Blattes entschieden zurück und kündigte an, Dündar werde „einen hohen Preis zahlen“. Es gab danach Medienberichte, wonach die Waffen nicht für den IS, sondern für Assad-kritische Turkmenen in Syrien bestimmt gewesen seien.

Was, wenn nicht Nachrichten, sollen Zeitungen veröffentlichen? Pressemitteilungen der Regierung?

Güray Öz, Cumhuriyet-Autor

Die türkische Staatsanwaltschaft leitete daraufhin Ermittlungen ein. Anzeigensteller war: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich. Und laut der Zeitung „Die Welt“ hat er dabei den Strafantrag gleich mitgeliefert: einmal lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld, ein weiteres Mal lebenslänglich sowie 42 Jahre Haft. Nochmal: Für einen Journalisten. Der Haftbefehl kam nur wenige Tage vor dem EU-Gipfel mit der Türkei in Brüssel. Und noch ein Nachtrag: Derjenige, der die Strafanzeige in Kopie veröffentlichte, der „Cumhuriyet„-Redakteur Alican Uludag, wurde jetzt unter dem Verdacht vorgeladen, Ermittlungsgeheimnisse veröffentlicht zu haben. Dabei wusste zu diesem Zeitpunkt bereits das ganze Land, wer diese Anzeige gestellt hatte. „Was, wenn nicht Nachrichten, sollen Zeitungen veröffentlichen? Pressemitteilungen der Regierung?“, fragte jetzt ein weiterer Mitarbeiter dieser Zeitung, Güray Öz, in der „Welt“. Kurz vor der Wahl Anfang November und nach der Stürmung der Mediengebäude drohten hohe AKP-Mitglieder und Erdogan-Berater unverhohlen den noch nicht gleichgeschalteten Zeitungen „Hürriyet„, „Sözcü„, dem Gülen-Blatt „Zaman“ – und der „Cumhuriyet„, dass sie als nächste an der Reihe sind. Soll also niemand behaupten, die AKP halte ihre Wahlversprechen nicht ein.

Die zahnlose EU wird erpresst

Doch es hat seinen Grund, dass Erdogan immer ungenierter seine islamistische Diktatur ausbauen kann und dies auch tut. Da ist zum einen der nur zum Teil überraschende Sieg bei den jüngsten Wahlen, nachdem ihm das für seine Partei AKP schlechte Ergebnis der Wahl wenige Monate davor nicht gepasst hatte. Angesichts fehlender Meinungsvielfalt ist das Ergebnis aber dann doch nicht überraschend. Und da ist zum anderen die Flüchtlingswelle, die ganz zentral durch die Türkei läuft. Erdogan weiß, dass die EU ihn zur Lösung dieses Problems braucht. Dazu trägt auch das Mantra „Wir schaffen das“ der deutschen Kanzlerin Angela Merkel bei, die die Türkei für ihre beinahe utopischen Pläne eines gemeinsamen europäischen Handelns gegen den Flüchtlingszuzug zwingend benötigt. Die EU-Staaten wollen am Sonntag mit Ankara einen Aktionsplan zur verstärkten Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise beschließen. Im Gegenzug hatte die zahnlose EU der Türkei unter anderem eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses in Aussicht gestellt, obwohl ihr letzter Fortschrittsbericht über das Land verheerend ausfiel (der Bayernkurier berichtete). Doppelmoral ist gar kein Ausdruck für solch ein Verhalten. Der türkische Europa-Minister Volkan Bozkir sagte am Donnerstag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu, Mitte Dezember solle mit Verhandlungen über den Bereich Wirtschaft und Finanzen begonnen werden.

Die Pressefreiheit in der Türkei ist tot

Die Journalisten Dündar und Gül mussten am Donnerstagabend vor Gericht aussagen, woraufhin Haftbefehl erlassen wurde. Der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu schrieb in einer ersten Reaktion auf Twitter:

Wenn nicht diejenigen, die eine Straftat begangen haben, sondern diejenigen, die über die Tat berichten, verhaftet werden, soll niemand sagen: ‚In der Türkei ist die Presse frei und die Justiz unabhängig und unparteiisch!

Der verhaftete Chefredakteur Can Dündar sagte nun vor Beginn der Gerichtsverhandlung in Istanbul, das Vorgehen der Justiz sei für ihn und seinen Kollegen eine „Ehrenmedaille“. Und die Autorin Temelkuran forderte Europa auf, endlich die Opposition in der Türkei mehr zu unterstützen. Nur so sei das Land noch zu retten.

Derzeit laufen rund 30 Strafverfahren allein gegen „Cumhuriyet„-Journalisten, darunter zwei wegen Beleidigung des Staatspräsidenten. Während Journalisten der wenigen noch freien Medien, Leser und Oppositionspolitiker vor dem Zeitungsgebäude ihre Solidarität zeigten, raffte sich die EU dazu auf, die Verhaftungen als „besorgniserregend“ zu bezeichnen.