Kriegsrede in Versailles
Paris will eine große, einheitliche Allianz schmieden für Krieg gegen den Islamischen Staat. Frankreich aktiviert dazu einen Beistandsartikel im EU-Vertrag und fordert von den europäischen Partnern militärische Unterstützung in Syrien oder Entlastung etwa in Mali. Das Schicksal Assads rückt für Frankreich in den Hintergrund: „Unser Feind in Syrien ist der Islamische Staat.“
Frankreich

Kriegsrede in Versailles

Paris will eine große, einheitliche Allianz schmieden für Krieg gegen den Islamischen Staat. Frankreich aktiviert dazu einen Beistandsartikel im EU-Vertrag und fordert von den europäischen Partnern militärische Unterstützung in Syrien oder Entlastung etwa in Mali. Das Schicksal Assads rückt für Frankreich in den Hintergrund: „Unser Feind in Syrien ist der Islamische Staat.“

Das war eine Kriegsrede, noch dazu am besonderen historischen Ort. Im Schloss von Versailles, im Salle de Congrès, hatte Präsident Franςois Hollande beide Kammern des Parlaments versammelt, „um die Einheit der Nation zu demonstrieren“. „Frankreich befindet sich im Krieg“, erklärte er den Abgeordneten und Senatoren schon im allerersten Satz. Neun Mal fiel das Wort vom Krieg in einer Rede voll bitterster Entschlossenheit: „Es geht nicht darum, diese Organisation [den Islamischen Staat] einzudämmen, sondern sie zu zerstören.“

Große und einzige Koalition gegen den Islamischen Staat

Hollande bereitet sein Land auf Krieg vor, auf richtigen Krieg, in Syrien. Aber nicht alleine. Denn „die Notwendigkeit, Daech [den Islamischen Staat] zu zerstören“, ginge die ganze Welt an. Hollande: „Syrien ist zur größten Terroristen-Fabrik geworden, die die Welt je gekannt hat.“ Und dennoch sei die Weltgemeinschaft gespalten, so der Präsident.

Syrien ist zur größten Terroristen-Fabrik geworden, die die Welt je gekannt hat.

Präsident Franςois Hollande

Um gegen den Islamischen Staat vorgehen und in Syrien handeln zu können, will Hollande nun all jene zusammenbringen, „die im Rahmen einer großen und einzigen Koalition wirklich gegen diese Terror-Armee kämpfen können“. Dazu wird er sich in den nächsten Tagen mit den Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin zusammensetzen und mit dem Iran, der Türkei und den Golf-Staaten sprechen. Hollande: „Jeder steht jetzt in der Verantwortung, Syriens Nachbarländer, die großen Mächte – aber auch Europa.“

Paris fordert militärischen Beistand der europäischen Partner

Das war spürbar und hörbar im Saal: Paris erwartet von den europäischen Partnern nicht nur Solidaritätsadressen, sondern massives Engagement: „Europa kann nicht weiter in der Vorstellung leben, dass die Krisen, die es umgeben, keine Bedeutung für es haben.“ Hollande legte gleich Forderungen auf den Tisch. Sehr nachdrücklich verlangte er etwa den „effektiven Schutz unserer Außengrenze“ und schickt eine Warnung hinterher: „Und wenn Europa nicht seine Außengrenzen unter Kontrolle bekommt, dann – und das sehen wir heute vor unseren Augen – kommt die Rückkehr zu nationalen Grenzen, zwar nicht mit Mauern, aber mit Stacheldrahtzäunen.“ Ab sofort fordert Paris „koordinierte und systematische Kontrollen“ an den Binnengrenzen, um den Waffenschmuggel einzudämmen. Außerdem soll die Europäische Union schnellstens die präventive Kontrolle von Flugpassagierdaten zulassen, so dass man Syrien-Rückkehrer aufspüren und festnehmen könne.

Europa kann nicht weiter in der Vorstellung leben, dass die Krisen, die es umgeben, keine Bedeutung für es haben.

Franςois Hollande

Aber es geht um mehr, um Krieg. Hollande erwartet von den europäischen Partnern aktive Teilnahme an dem, was kommen wird. Aus dem Grund habe er seinen Verteidigungsminister angewiesen, die EU-Partner um militärischen Beistand zu bitten gemäß Artikel 42-7 des EU-Vertrages. „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen“, heißt es in besagtem Artikel des Lissabon-Vertrages. Nach Pariser Sicht macht er die EU sozusagen auch zum Militärbündnis. Jetzt wird klar: Auch um genau diesen Artikel in Anspruch nehmen zu können, fällt in Hollandes Reden und Ansprachen derzeit so häufig das Wort vom Krieg. In Versailles legt er nach: „Der Feind ist nicht ein Feind Frankreichs, er ist ein Feind Europas.“ In Ihrer Beileidsadresse hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochen, „den Kampf gegen diese Terroristen gemeinsam zu führen“. Hollande will sie – und Deutschland – jetzt offenbar beim Wort nehmen.

Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.

EU-Vertrag Artikel 42, Paragraph 7

Die EU hat schon einstimmig ihre Bereitschaft erklärt, dem französischen Partner Beistand zu leisten. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Selbstverständlich ist, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um Hilfe und Unterstützung zu leisten.“ Was das heißt, bleibt vorläufig offen. Es gehe entweder um eine direkte Unterstützung in Syrien und im Irak oder um eine Entlastung französischer Streitkräfte in anderen Krisenregionen, etwa in Afrika, erklärt Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian: „Frankreich kann nicht alles machen.“

Einsatz in Syrien oder Mali

Schon lange fordert Paris von Brüssel und von den europäischen Partnern mehr Unterstützung – auch finanziell – bei seinem Engagement etwa in Mali. Nicht zufällig genau jetzt weist die Pariser Tageszeitung Le Monde darauf hin, dass sich Frankreich dort „zum Nutzen und für die Sicherheit Europas engagiert“. Aber eben ziemlich allein, so das Blatt: Zwar hätten sich einige Partner – Spanier, Belgier, Deutsche – den Operationen angeschlossen, „aber im Gefecht sind die französischen Truppen allein“. Paris will das jetzt ändern. Wenn die europäischen Partner nicht in Syrien kämpfen wollen, wird man sie um Waffeneinsatz etwa in Mali bitten. Die Bundeswehr, die bisher im Süden des westafrikanischen Sahelzonen-Landes als Ausbilder auftritt, wird sich dann umstellen müssen − auf Kampf gegen Islamisten im Norden.

Womöglich liegen mehrere westliche Einsätze im Mittleren Osten vor uns.

The Wall Street Journal

Wohin geht jetzt die Reise in Syrien, im Irak und anderswo? „Womöglich liegen mehrere westliche Einsätze im Mittleren Osten vor uns“, ahnt die in New York erscheinende Tageszeitung The Wall Street Journal. Das Blatt hält für möglich, dass Frankreich in Syrien seine Fremdenlegion einsetzt. Dann wäre möglich, dass auch die Amerikaner erwögen, Bodentruppen einzusetzen, um in gefährlicher, mühsamer und langfristiger Mission Syrien zu stabilisieren.

Französisch-russisches Bündnis?

Aber soweit ist Washington noch lange nicht. Beim G 20-Gipfel in der Türkei hat US-Präsident Obama jetzt den Einsatz von Bodentruppen in Syrien oder Irak nachdrücklich abgelehnt. Ein weiteres Problem: Die gemeinsame Allianz gegen den Islamischen Staat, die Hollande nun zusammenführen will, steht eben noch nicht. „Wir koordinieren unsere Operationen nicht mit den Russen, und wir kooperieren  nicht mit ihnen“, betonte im TV-Sender CNN ein Pentagon-Sprecher. Spannende Wende: Seither hat Russlands Präsident Wladimir Putin, seinem Militär in Mittelost befohlen, französische Streitkräfte „wie Verbündete” zu behandeln. Zuvor hatte Russlands Geheimdienst FSB verkündet, dass jener kürzlich über der Halbinsel Sinai abgestürzte russische Urlaubs-Jet Opfer eines Terroranschlags geworden war. Terroristen des Islamischen Staates hatten sich zu der Tat bekannt. Und westliche Geheimdienste hatten schon länger gesagt, es handele sich um ein IS-Attentat, aber im Zuge der Pariser Anschläge war es für den russischen Autokraten Putin wohl einfacher, diese Tatsache der eigenen Bevölkerung zu verkaufen. Denn erst durch den russischen Einsatz für Assad wurde das Land zu einem Ziel des IS. Das russische Volk hätte also Putin dafür verantwortlich machen können. Der drohte nun sogleich Vergeltung in Richtung IS an: „Wir werden sie überall auf dem Planeten finden, und wir werden sie bestrafen.”

Hollandes strategische Wende in Syrien

Paris schlug dagegen in Syrien schon eine strategische Wende vor, die die Zusammenarbeit mit Russland leichter machen kann. Hollande in Versailles: „In Syrien suchen wir entschlossen und unermüdlich eine Lösung, die nicht auf Bachar Al Assad hinausläuft.“ Aber eben nicht mehr um jeden Preis. Denn: „Unser Feind, unser Feind in Syrien, das ist Daech (Islamischer Staat).“

Unser Feind, unser Feind in Syrien, das ist der Islamische Staat.

Franςois Hollande

Nach den Terroranschlägen in Paris ist Assad für Hollande zum zweitrangigen Problem geworden. Frankreich sieht sich vor allem – oder nur? – im Kriege gegen den Islamischen Staat. Dass das Unternehmen dadurch einfacher wird, ist wenig wahrscheinlich. Denn andere potentielle Koalitionspartner – die Türkei, Saudi-Arabien oder die Golf-Staaten – betrachten eben noch immer nicht die sunnitische Terrorarmee des Islamischen Staats als ihren Hauptgegner, sondern die Kurden oder den schiitischen Iran und eben dessen wichtigsten Verbündeten: Assad in Damaskus. Und jetzt tritt Frankreich sozusagen als Alliierter Moskaus auf, Assads entscheidender Stütze. Hollande wird viel diplomatisches Geschick brauchen, um zu verhindern, dass die sunnitischen Mächte der Region nun Frankreich nicht einfach zu Putins Schiiten-Bündnis hinzuzählen. Syrien bleibt ein trügerischer Ort für europäische oder westliche Intervention. Der Krieg, den Präsident Hollande zu führen entschlossen scheint, wird nicht einfach, weder für Frankreich, noch für die Europäer.