Stillstand auf der Balkanroute
Domino-Effekt: Weil Ungarn seine Grenze geschlossen hat und Österreich weniger Migranten hereinlässt, muss auch Slowenien seine Grenze zu Kroatien schließen. Folge: Stau auf der Balkanroute. Zehntausende Migranten sitzen fest. Die Situation wird kritisch. Zumal gleichzeitig Ankara so viele Migranten wie noch nie auf die Reise über die Ägäis schickt. Die Türkei will die EU erpressen.
Migrantenkrise

Stillstand auf der Balkanroute

Domino-Effekt: Weil Ungarn seine Grenze geschlossen hat und Österreich weniger Migranten hereinlässt, muss auch Slowenien seine Grenze zu Kroatien schließen. Folge: Stau auf der Balkanroute. Zehntausende Migranten sitzen fest. Die Situation wird kritisch. Zumal gleichzeitig Ankara so viele Migranten wie noch nie auf die Reise über die Ägäis schickt. Die Türkei will die EU erpressen.

Slowenien zieht die Reißleine. Zum Schutz seiner und der Außengrenze der Schengen-Zone mobilisiert es jetzt die Armee. In Turbo-Geschwindigkeit hat die Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt und vom Parlament verabschieden lassen, der das möglich macht. Mit dem neuen Gesetz soll das slowenische Militär „zusätzliche Aufgaben“ erhalten und die Polizei „bei der Kontrolle und dem Schutz der nationalen Grenzen und der Aufrechterhaltung der Ordnung“ unterstützen.

Ankara öffnet alle Schleusen: 30.000 Migranten seit Freitag

Dramatische Zunahme – und Beschleunigung – des Migrantenstroms zwingen das kleinste Schengen-Land auf der sogenannten Balkanroute zu der Maßnahme. An seiner Grenze zu Kroatien droht Chaos. Die Migrantenzahlen explodieren regelrecht, nicht nur an der slowenisch-kroatischen Grenze, sondern ebenso an der kroatisch-serbischen Grenze und der zwischen Serbien und Mazedonien. Ursache: Die Türkei will die EU zu Zugeständnissen zwingen und öffnet alle Migranten-Schleusen: Seit dem Ende des Brüsseler EU-Gipfels in der Nacht zum vergangenem Freitag haben fast 30.000 Migranten vom türkischen Festland aus die griechischen Ägäis-Inseln erreicht. Und es geht weiter: Am Montag kamen wieder etwa 8000 Migranten über die Ägäis in das EU- und Schengenzonenland Griechenland. 500.000 waren es dieses Jahr schon, 27.500 befinden sich derzeit − noch − in griechischen Transiteinrichtungen. Auch sie werden sich bald auf den Weg nach Deutschland machen.

In Sonderzügen und Bussen dauert der Treck über die Balkanroute allenfalls noch sieben Tage.

Weil die in Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien inzwischen staatlich organisierten Schleusungsaktionen – nach Deutschland – so gut funktionieren, erreicht die Migrantenwelle immer schneller Slowenien und Österreich. In Sonderzügen und Bussen dauert der Treck über die Balkanroute allenfalls noch sieben Tage. Was man natürlich auch am nördlichen, deutschen Ende der Balkanroute zu spüren bekommt: Am vergangenen Wochenende zählte die Bundespolizei an der bayerisch-österreichischen Grenze 9788 neu eingereiste Migranten. „Der Trend ist unverändert“, so ein Sprecher der Bundespolizei in München.

Flaschenhals Slowenien

Zwei Faktoren bringen jetzt das kleine Slowenien in eine Zwangslage: Weil Ungarn nun auch seine Grenze zu Kroatien abgeriegelt hat, ist Slowenien für die Migranten der einzige Weg – und Flaschenhals – nach Österreich. Weil Österreich aber endlich seine Durchschleusungen nach Deutschland wenigstens zahlenmäßig ein wenig reduziert und offenbar täglich nur noch 1500 Migranten aus Slowenien einreisen lässt, staut sich der Migrantenstrom – in Slowenien (2 Millionen Einwohner). Zudem kann das kleine Land maximal 2500 Migranten am Tag registrieren und abfertigen.

Österreich lässt täglich nur noch 1500 Migranten aus Slowenien einreisen.

Gleichzeitig kommen aber aus Kroatien immer mehr Migranten in Slowenien an: Von Samstag auf Sonntag waren es 5000, am Montag 8000 und am Dienstagmorgen schon wieder 5000. Seit vergangenem Freitag sollen insgesamt fast 20.000 Migranten in Slowenien aufgelaufen sein. Weil slowenische Polizisten einen Grenzübergang sperrten, mussten die Kroaten am Montag einen Zug mit 2000 Migranten stoppen – auf der kroatischen Seite der Grenze. Hunderte Migranten versuchten trotzdem illegal über die grüne Grenze Slowenien zu erreichen. Auf der kroatischen Seite warteten schon am Sonntag 50 Busse mit Flüchtlingen auf das Zeichen zur Weiterfahrt.

Über 10.000 Migranten im Niemandsland zwischen Serbien und Kroatien

Der Effekt war vorhersagbar: Weil Slowenien seine Grenze schließen musste, musste auch Kroatien seine Grenze zu Serbien so dicht wie möglich gemacht. Allein am vergangenen Samstag waren über 6400 Migranten in Kroatien angekommen. Am Sonntag darauf war plötzlich von 40 wartenden Reisebussen an der serbisch-kroatischen Grenze die Rede. UN-Angaben zufolge sollen derzeit allein im Niemandsland zwischen Kroatien und Serbien schon über 10.000 Migranten festsitzen.

In Mazedonien trafen am Wochenende etwa 15.000 Migranten ein, vermutlich wie immer herangefahren mit Bussen aus Griechenland.

Es werden wohl schnell mehr werden. Denn der Migrantenstrom über die Ägäis hält an: Nur am Montag überquerten 10.000 Migranten die mazedonisch-serbische Grenze und begaben sich auf den Weg nach Kroatien. In Mazedonien wiederum trafen am Wochenende etwa 15.000 Migranten ein, vermutlich wie immer herangefahren mit Bussen aus Griechenland.

In vier Wochen fast 200.000 Migranten über Kroatien

Es lohnt, die Zahlen festzuhalten, die jetzt vor allem Kroatien für die vergangenen Wochen nennt: In nur vier Wochen hat Zagreb 193.668 Migranten gezählt. Davon hat es etwa 140.000 an die ungarische Grenze chauffiert. In der ersten Oktoberhälfte haben die Kroaten täglich etwa 5100 Migranten nach Slowenien und Ungarn geschleust.

Bis Mitte Oktober 137.000 Migranten aus Afrika über Libyen, Lampedusa und Sizilien.

Nicht aus den Augen verlieren sollte man über dem Drama auf der Balkanroute die Entwicklung auf der anderen großen Migranten-Route: Libyen, Lampedusa, Sizilien. Denn auch der Strom der Afrika-Migranten hält an. Bis Mitte Oktober haben 137.000 Migranten aus Afrika über das Mittelmeer Italien erreicht. Allein am vergangenen Wochenende hat die italienische Marine 1300 Personen aus selbst herbeigeführter Seenot „gerettet“.

Natürlich kann man Grenzen schließen

Wenig überraschende Lektion der jüngsten Ereignisse auf der Balkanroute: Natürlich kann man Grenzen schließen und damit Wirkung erzielen. Das zeigt das Beispiel Ungarn, das jetzt auch seine Grenze zu Kroatien abgedichtet hat: Aus Serbien kamen am Sonntag nur noch 41 Migranten über die ungarische Grenze, aus Kroatien keiner. Grenzsicherung funktioniert.

Slowenien und Kroatien können ihre Grenzen nur so lange offen halten, wie Österreich und Deutschland ihre Grenzen offen halten und Migranten aufnehmen − und sagen das sogar ganz offen.

Slowenien und Kroatien können ihre Grenzen nur so lange offen halten, wie Österreich und Deutschland ihre Grenzen offen halten und Migranten aufnehmen. In beiden Ländern sagt man das sogar ganz offen, und dass man sonst eben die eigenen Grenzen schließen müsse. Es braucht keinen Propheten, um zu verstehen, dass Serbien und weiter südlich Mazedonien dem slowenischen und kroatischen Beispiel werden folgen müssen.

Türkische Aggression gegen die EU

Dann wird ganz alleine die türkisch-griechische Ägäis-Grenze und das üble Spiel von Präsident Recep Erdogan in den Blick kommen. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge befürchten griechische Behörden, dass sich in den nächsten Monaten aus der Türkei noch bis zu 3,7 Millionen Migranten auf den Weg nach Europa machen könnten. Was Ankara da treibt, ist pure Aggression gegenüber der EU.