Ein nicht ganz unbedenklicher Pakt
Der Globale Pakt für Migration will Migration fördern und erleichtern. Er ist dabei nicht so unverbindlich, wie behauptet wird. Und die Regierungen der Aufnahmeländer sollen Druck auf die öffentliche Meinung ausüben. Eine Analyse.
Migration

Ein nicht ganz unbedenklicher Pakt

Der Globale Pakt für Migration will Migration fördern und erleichtern. Er ist dabei nicht so unverbindlich, wie behauptet wird. Und die Regierungen der Aufnahmeländer sollen Druck auf die öffentliche Meinung ausüben. Eine Analyse.

„Dieser Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar.“ So steht es in der Präambel des „Globalen Paktes für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“. Auf dem am 10. und 11. Dezember bevorstehenden UN-Gipfel in Marrakesch soll er unterzeichnet werden, auch von der Bundesregierung.

89 Selbstverpflichtungen

Doch gar so einfach ist es nicht mit der Unverbindlichkeit des großen UN-Migrationspaktes. 47 Mal heißt es in der deutschen Übersetzung des 32-seitigen Dokuments „Wir verpflichten uns“. 42 Mal steht darin das Nomen „Verpflichtung“. Ungezählte „wir werden“ und „wir müssen“ nicht gerechnet.

Darum ist eines zumindest nicht ganz abwegig: Wer diesen Globalen Pakt einmal unterschrieben hat, der wird sich auf Dauer den vielen nicht verpflichtenden Verpflichtungen vermutlich nur schwer entziehen können. Zumal er sich am Schluss noch mehrfach verpflichtet hat, den Globalen Pakt „zu erfüllen“ und „umzusetzen“ und seine Umsetzung „in konkrete Taten“ zu überprüfen.

Illegale Migration gibt es nicht

Ebenfalls in der Präambel anerkennen die Unterzeichner des Paktes, dass Migration pauschal „eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt“. Ist das wirklich immer der Fall, ganz ohne negative Seiten? Migranten seien „Trägerinnen und Träger des Wandels“, heißt es weiter. Ihre Menschenrechte und Bedürfnisse sollen „geachtet und gestärkt“ werden.

Dieser Globale Pakt soll förderliche Bedingungen schaffen, die es allen Migranten ermöglichen, unsere Gesellschaften durch ihre menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fähigkeiten zu bereichern …

UN-Migrationspakt (Präambel, Absatz 12)

In 23 Zielen geht es darum, eine „geordnete und reguläre Migration“ zu schaffen. Hier zeigt sich bereits eines der Probleme: Für diesen UN-Pakt gibt es keine „illegale“ Migration. Das Wort „illegal“ taucht in 54 Absätzen und hunderten Unterabsätzen über Migration nicht einmal auf. Es gibt nur „reguläre“ und gelegentlich „irreguläre“ Migration. Aber an keiner Stelle erläutert das UN-Dokument, was denn reguläre von irregulärer Migration unterscheidet. Nur an einer einzigen Stelle will es „irreguläre Migration“ verhindern. Aber eigentlich will es lediglich deren „negative Auswirkungen“ reduzieren.

Schon in der Präambel verschwimmen die Unterschiede zwischen regulärer und irregulärer Migration. Migranten, „die ihre Staatsangehörigkeit oder rechtliche Identität nicht nachweisen können“, sind nicht etwa irreguläre oder gar illegale Migranten, sondern nur „Migranten“ oder „Neuankömmlinge”. Einen weiteren Punkt kritisiert der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach: „Die fehlende Unterscheidung von Flucht- und Arbeitsmigration ist nicht akzeptabel.“

Förderliche Bedingen schaffen

In praktisch jedem der 23 Ziele des Paktes geht es darum, für Migration „förderliche Bedingungen“ zu schaffen oder ihre „Risiken zu mindern“. So sollen „entlang wichtiger Migrationsrouten“ etwa „offene und frei zugängliche Informationsstellen“ eingerichtet werden. Neuankömmlinge sollen „gezielte, geschlechtersensible, kindergerechte, barrierefreie und umfassende Informationen und rechtliche Beratung“ erhalten.

Vorgelegt wurde eine Liebeserklärung an die Migranten. Notwendig wäre eine Gebrauchsanweisung für den richtigen Umgang mit diesem Jahrhundertthema.

Gabor Steingart, im Focus

Die Pakt-Unterzeichner sollen für sichere Grenzübertritte sorgen. Sie sollen Möglichkeiten schaffen, die den Migranten „schnellere, sicherer und kostengünstigere Rücküberweisungen“ von Geldern in ihre Herkunftsländer erlauben. Und die Aufnahmeländer sollen das nicht durch exzessive „Maßnahmen zur Bekämpfung von illegalen Finanzströmen und Geldwäsche … behindern“. Was dann allerdings nicht nur den Migranten hilft, sondern auch den Regierungen in den Herkunftsländern – und den Schleppern und Schleusern.

Migranten und ihre Schleuser

Migranten, die die Dienste von Schleusern in Anspruch nehmen, sollen nicht kriminalisiert werden. „Opfer von Menschenhandel“ sollen Unterstützung erhalten, „an die nicht die Bedingung einer Kooperation mit den Behörden gegen mutmaßliche Menschenhändler geknüpft ist“. Was aber auch bedeutet: Illegale Migranten müssen den Behörden der Ankunftsländer keine Auskunft über die Schleuserwege geben.

Dass nur irreguläre – also illegale – Migranten Schlepper und Schleuser in Anspruch nehmen müssen, unterschlägt das UN-Dokument. Der Globale Pakt ignoriert außerdem, dass sogenannte Schlepper im Grunde nur Dienstleister sind, die entlang der Migrationsrouten ihre Dienstleistung anbieten – und dass jeder Kontakt zu ihnen in aller Regel von den Migranten oder deren Familien ausgeht.

Recht auf Grundleistung für alle

Auch diese Selbstverpflichtung wird Migranten zumindest dazu ermutigen, ihre Pässe zu entsorgen: Alle sollen in den Ankunftsländern grundsätzlich Zugang zu Grundsicherung haben, auch solche „Migranten, die ihre Staatsangehörigkeit oder rechtliche Identität nicht nachweisen können“. Da die Grundsicherung hierzulande und in anderen europäischen Staaten meist das Durchschnitts-Einkommen in den Herkunftsländern deutlich überschreitet, dürfte damit auch generell ein Anreiz zur Auswanderung geschaffen werden.

Wir verpflichten uns sicherzustellen, dass alle Migranten ungeachtet ihres Migrationsstatus ihre Menschenrechte durch einen sicheren Zugang zu Grundleistungen wahrnehmen können.

UN-Migrationspakt (Ziel 15, Absatz 31)

Und nicht für nur sie, sondern auch für ihre Familien – da nicht festgelegt wird, wer zur Familie gehören soll – was zu unbekannten Größenordnungen beim Nachzug führen kann. Der Pakt verpflichtet nämlich dazu, „für Migranten auf allen Qualifikationsniveaus“ die Familienzusammenführung zu erleichtern, um ihnen „die Verwirklichung eines Rechts auf ein Familienleben“ zu ermöglichen.

Auf eine Grundpflicht der Migranten, in den Zielländern für sich und ihre Familien selber aufkommen zu müssen, können die Unterzeichner danach ebenfalls kaum noch pochen. Und auch die Frage, wie mit minderjährigen Ehepartnern umgegangen werden soll, spart der Plan aus.

Problematische Ankerzentren

Heikel könnte Ziel 13 werden. Denn darin verpflichten sich die Unterzeichner, „die Freiheitsentziehung von Migranten nur als letztes Mittel“ und nur nach „Einzelprüfung“ einzusetzen. Die Unterzeichner sollen außerdem gewährleisten, dass „die Freiheitsentziehung von minimaler Dauer“ ist. Was zu Definitionsfragen führt, die theoretisch deutsche Ankerzentren in Frage stellen könnten – und sicher griechische Hotspot-Auffangzentren etwa auf der Ägäis-Insel Lesbos. Und damit alle bisherigen EU-Anstrengungen infrage stellt, hunderttausendfacher illegaler Migration Herr zu werden.

Immerhin ist am Schluss des Dokuments die Rede von „der Verpflichtung der Staaten, ihre eigenen Staatsangehörigen wiederaufzunehmen“. Was aber wenig wert ist, wenn es um Migranten geht, „die ihre Staatsangehörigkeit oder rechtliche Identität nicht nachweisen können“ – oder es eben nicht wollen.

Aufnahmegesellschaften sollen sich anpassen

Die Autoren des UN-Paktes wissen natürlich, dass millionenfache Migration in den Zielländern zu kulturellen Unverträglichkeiten führen kann. Die Unterzeichner verpflichten sich darum, „inklusive, von sozialem Zusammenhalt geprägte Gesellschaften zu fördern, indem wir Migranten befähigen, zu aktiven Mitgliedern der Gesellschaft zu werden.“

Es folgt die Verpflichtung, „den gegenseitigen Respekt für die Kultur, die Traditionen und die Gebräuche der Zielgesellschaft und der Migranten zu fördern“ ebenso wie die „Akzeptanz von Vielfalt“. Auch wird gefordert, dass „die Leistungserbringer im Gesundheitswesen in kultureller Sensibilität geschult werden“. Was bedeutet: Auch die Aufnahmegesellschaften sollen sich anpassen.

Öffentliche Debatte steuern

Dazu passt Ziel 17 über die „Beseitigung aller Formen der Diskriminierung“. Das Recht der freien Meinungsäußerung soll zwar ebenso wie die Pressefreiheit geschützt bleiben. Aber kräftig steuern sollen die Unterzeichner die öffentliche Meinung schon. Denn sie verpflichten sich, „einen offenen und auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurs zu fördern, der zu einer realistischeren, humaneren und konstruktiveren Wahrnehmung von Migration und Migranten führt.“ Realismus und Humanismus aber, dies war in den letzten Jahren vielfach zu beobachten, sind nicht leicht unter einen Hut zu bringen.

Medien, die den „öffentlichen Diskurs“ anders führen und vielleicht das Thema Migration anders beurteilen als die Pakt-Unterzeichner, droht die „Einstellung der öffentlichen Finanzierung oder materiellen Unterstützung“. Zwar gilt das nur, wenn jene aus öffentlichen Geldern finanzierten Medien „systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern“. Da es weder derart finanzierte Medien in Deutschland gibt (GEZ fällt nicht darunter), noch jemals eine solche systematische Diskriminierung vorliegen dürfte, ist eine Streichung unwahrscheinlich.

Angriff auf die Pressefreiheit?

Dennoch schreibt die Bild-Zeitung nicht ganz zu Unrecht: „Manche Formulierungen des Paktes klingen nämlich so, als dürfe man die Schattenseiten von Migration nicht beleuchten, sondern müsse alles ganz wunderbar finden. Immer und überall. (…) Sollen künftig die Regierungen darüber entscheiden, was guter und was schlechter Journalismus ist? Das klingt allen Beteuerungen zum Trotz nicht nach Pressefreiheit.“

Manche Formulierungen des Paktes klingen nämlich so, als dürfe man die Schattenseiten von Migration nicht beleuchten, sondern müsse alles ganz wunderbar finden.

Bild

Der Realitäts-Check

Der UN-Migrationspakt verpflichtet alle Unterzeichner, „eine sichere, geordnete und reguläre Migration zum Wohle aller zu erleichtern und zu gewährleisten“. In Ziel 2 über die Bekämpfung von Fluchtursachen wird in 13 Absätzen die wichtigste Fluchtursache aber gar nicht genannt: Afrikas dramatische Bevölkerungsexplosion.

Zahlen und Fakten, was das etwa für Europa in der Realität bedeutet, finden sich im jüngsten Bericht des Weltwirtschaftsforums über Afrikas Wettbewerbsfähigkeit. „Zwischen 2015 und 2035”, heißt es darin, „wird Afrikas Bevölkerung um schätzungsweise 450 Millionen Personen im arbeitsfähigen Alter wachsen. Bei gegenwärtigen Trends werden aber nur etwa 100 Millionen von ihnen in stabile Arbeitsverhältnisse kommen.” Bleiben 350 Millionen junge Afrikaner ohne Arbeitsplatz. Viele von ihnen werden nach Norden ziehen und sich auf den Pakt berufen.