Beim EU-Gipfel sorgt ausgerechnet Ratspräsident Tusk (l.) für Streit. Kanzlerin Merkel (r.) will eine europäische Flüchtlingsverteilung, Tusk sieht die Nationalstaaten in der Pflicht. (Foto: Imago/Xinhua)
Europa

Streit über Flüchtlingspolitik

Beim EU-Gipfel wollen die Mitgliedstaaten eine Lösung für die Flüchtlingsaufnahme finden. Doch nach wie vor verweigern sich einige Länder einer einvernehmlichen Regelung. CSU-Vize Manfred Weber pocht auf innereuropäische Solidarität.

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel suchen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen einen Ausweg aus dem Dauerstreit über die europäische Flüchtlingspolitik. Kurz vor dem zweitägigen Treffen hatte Gipfelchef und EU-Ratspräsident Donald Tusk für Irritationen und Streit gesorgt: Er hatte das EU-Quotensystem zur Flüchtlingsverteilung in Frage gestellt und damit heftige Kritik geerntet. Außerdem wird es in Brüssel um die Austritts-Verhandlungen mit Großbritannien gehen sowie um die europäische Reaktion auf die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt durch US-Präsident Trump.

Entweder wir finden eine europäische Lösung für die Herausforderungen durch Migration, oder es wird keine Lösung geben.

Frans Timmermans, EU-Kommissions-Vizepräsident

In einem vorab an die Teilnehmer versandten Papier für den Gipfel hatte der frühere polnische Premier den EU-Beschluss vom September 2015 kritisiert, Flüchtlinge anhand verpflichtender Quoten auf die EU-Staaten zu verteilen. Das habe sich nicht nur „als höchst spaltend“, sondern obendrein auch als „unwirksam“ erwiesen, schrieb Tusk. Und ohnehin könnten nur einzelne Mitgliedstaaten die illegale Migration effektiv angehen – das habe etwa Italiens Vorgehen gegenüber Libyen gezeigt. Die EU könne die Einzelstaaten bestenfalls dabei unterstützen. Diese Aussagen sorgten vor allem deshalb für Verwirrung, weil es eigentlich Tusks Aufgabe wäre, auf dem Gipfel zu vermitteln und eine Kompromisslinie zu erarbeiten. Nun aber scheint Tusk eher auf die Linie Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik eingeschwenkt zu sein, die sich weigern, mittels einer EU-weiten Regelung Flüchtlinge aufzunehmen.

Flüchtlingsverteilung ist gesamteuropäische Aufgabe

Die EU-Kommission sowie mehrere Mitgliedsstaaten betonten im Gegensatz zu Tusk, die Umverteilung sei unverzichtbar. Ein Kommissionssprecher kritisierte eine „isolierte, unkoordinierte Herangehensweise in der Flüchtlingspolitik“. Diese drohe „Jahre gemeinsamer Arbeit an einer europäischen Antwort auf die Herausforderungen durch die Migration zur Disposition zu stellen“. EU-Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans sagte im EU-Parlament: „Entweder wir finden eine europäische Lösung für die Herausforderungen durch Migration, oder es wird keine Lösung geben.“

Wir brauchen auch Solidarität nach innen.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos nannte das Schreiben Tusks „inakzeptabel“ und „antieuropäisch“. „Es missachtet alle Arbeit, die wir in den vergangenen Jahren zusammen geleistet haben“, sagte Avramopoulos. Die Aufgabe des EU-Ratspräsidenten sei es, die europäische Einigkeit und ihre Prinzipien zu verteidigen. Tusks Brief aber „untergräbt einen der Hauptpfeiler des europäischen Projekts: das Prinzip der Solidarität“, so Avramopoulos. „Ohne Solidarität kann die EU nicht existieren.“

Schnelle Einigung vordringlich

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) meinte, es sei richtig, sich um die Steuerung und Ordnung der Migration außerhalb der EU zu kümmern. „Aber wir brauchen auch Solidarität nach innen“, sagte sie mit Blick auf den Widerstand einiger osteuropäischer EU-Staaten, Flüchtlinge nach dem vereinbarten EU-Quotensystem aufzunehmen. „Denn eine solch selektive Solidarität kann es nach meiner Auffassung unter europäischen Mitgliedstaaten nicht geben.“ EU-Staaten mit Außengrenzen seien sehr gefordert, sagte Merkel. Das jetzige Dublin-System funktioniere überhaupt nicht, kritisierte Merkel. „Deshalb brauchen wir auch nach innen solidarische Lösungen.“

Wir müssen zu einem Ende dieser Diskussion kommen. Wir brauchen einen Mechanismus der Solidarität innerhalb der EU.

Manfred Weber (CSU), EVP-Fraktionschef

Der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), forderte den Gipfel zu einer schnellen Einigung in der Migrationspolitik auf. „Wir müssen zu einem Ende dieser Diskussion kommen“, betonte Weber in Brüssel. Europa diskutiere das Thema Migration seit Jahrzehnten, „vor allem im Süden“. Die Position des Europäischen Parlaments sei klar: „Wir brauchen einen Mechanismus der Solidarität innerhalb der EU“, sagte Weber. Europa müsse zusammenstehen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Grenzen gut gesichert seien. Falls im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs kein Konsens möglich sei, müsse man mit einer qualifizierten Mehrheit entscheiden.

EU-Verteilungspflicht gegen nationale Souveränität?

Die EU-Kommission und die meisten Länder, darunter Deutschland, sind dafür, ein Konzept zu beschließen, das zumindest bei einem sehr starken Zustrom eine Umverteilung inklusive Aufnahmepflicht vorsieht. Polen, Ungarn und die Tschechische Republik lehnen hingegen jegliche Art von Zwang bei der Aufnahme von Flüchtlingen ab. Die EU-Kommission hatte diese drei Staaten deshalb vergangene Woche wegen ihrer Weigerung vor dem EuGH verklagt.