Die Hand entgegen gestreckt: Papst Franziskus und der Oberrabbiner von Rom, Riccardo Di Segni, Ende August im Vatikan. (Bild: Imago/Servizio Fotografico OR/CPP/IP/Catholic Press Photo)
Religionen

Aufruf zur Versöhnung

Gastbeitrag Christen und Juden wollen gemeinsam der Bedrohung durch den radikalen Islam entgegen treten. Bei einem Treffen mit Papst Franziskus haben Rabbiner jetzt die moderaten Muslime aufgefordert, sich diesem Kampf anzuschließen.

Integration könnte das Wort des Jahres werden. Denn der Islam soll in Deutschland integriert werden, wenn es nach dem Willen der Bundeskanzlerin und anderer Politiker ginge. Christentum und Juden haben die Integration längst geschafft, beide Seiten wollten es. Vor wenigen Tagen empfing Papst Franziskus im Vatikan eine Delegation von Rabbinern aus den USA, Italien und Israel, denn es gab etwas zu feiern.

Wendepunkt vor 50 Jahren

Vor 50 Jahren streckte der damalige Papst Johannes XXIII. seine Hand den Juden entgegen und schuf einen Wendepunkt im christlich-jüdischen Verhältnis. 20 Jahre später sprach Papst Paul II. – vielen besser bekannt als der polnische Geistliche Karol Wojtyla – die Worte, auf die Juden und aufgeklärte Christen lange warten mussten: Die Juden sind unsere älteren Brüder, unsere bevorzugten Brüder und niemand, weder damals noch heute, darf den Tod von Jesus den Juden anlasten. Mit dieser Aussage, die seither in einem Konzil – Nostra Aetate – festgehalten ist, war das Eis gebrochen, das Jahrhunderte lang Christen und Juden trennte.

Abgrundtiefe Feindschaft

Der Antisemitismus ist ohne die abgrundtiefe Feindschaft aus der christlichen Kirche gegenüber Juden nicht erklärbar und fußt auf der grundsätzlichen Ablehnung des Judentums gegenüber Jesus als Messias. Diese Nichtanerkennung von Jesus als Gottes Sohn hat Hunderttausenden von Juden das Leben gekostet, war die Ursache für jahrhundertlange Verfolgung, Vertreibung, Erniedrigung und Ermordung.

Seit April 1986 ist diesem blutigen Treiben intellektuell und glaubensmäßig der Boden endgültig entzogen. Genau am 13. April jenes Jahres betrat der polnisch-stämmige Papst die große Synagoge von Rom auf Einladung des Oberrabbiners Elia Toaff. Es war der erste offizielle Besuch eines Papstes in einem „Beith Haknesseth“, wie jüdische Gebetshäuser im Hebräischen genannt werden.

Mit überragender Bedeutung

Der Besuch des Papstes hatte mehrfach eine überragende Bedeutung. Er fand zu einer Zeit statt, in der Juden auf der ganzen Welt alljährlich das Pessach-Fest feiern, zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, der nach jüdischem Verständnis eine der größten Befreiungsbewegungen der Menschheitsgeschichte ist. Denn der Thora zufolge, besser bekannt als Altes Testament, sind damals mindestens zwei Millionen Menschen auf Befehl Gottes aufgebrochen, um unter der Führung von Moses das Gelobte Land Israel zu erreichen.

Wir Juden sehen die Katholiken als unsere Partner, Verbündete, Freunde und Brüder.

aus der Erklärung „Gedanken zu 50 Jahre Nostra Aetate“

In seiner Ansprache in der Großen Synagoge von Rom sagte der Papst, der gern erzählte, dass er in seiner Jugend in Krakau mit jüdischen Klassenkameraden Fußball gespielt hat, dass die jüdische Religion für uns nicht etwas Äußerliches sei, sie gehöre in gewisser Weise zum Innern unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion, sprach Papst Paul II und fuhr in hebräischer Sprache fort: „Hoidu leAdonai ki tov ki leolam chasdo“. Mit diesen Worten beginnt ein häufig zitiertes jüdisches Gebet, das über 2000 Jahre alt ist und Worte des Dankes an den Herrn sind, „denn er ist gütig, seine Huld wäret ewig“.

Moral und religiöse Erziehung nutzen

“Zwischen Jerusalem und Rom: Gedanken zu 50 Jahre Nostra Aetate” lautet die Überschrift einer neunseitigen Erklärung, die der Vatikan nach dem Treffen mit der jüdischen Delegation vor wenigen Tagen veröffentlichte und vom Oberrabbinat Israels, der Konferenz der Europäischen Rabbiner und dem Rat der Rabbiner der USA unterzeichnet ist. Danach vertritt Papst Franziskus die Meinung, dass die Religionen Moral und religiöse Erziehung nutzen müssen, um Einfluss zu nehmen und zu inspirieren. Krieg, Gewalt oder sozialer Druck seien ungeeignete Mittel. Am wichtigsten sei dabei, dass der Ewige unsere Zusammenarbeit segnen und erleuchten möge, damit wir seinen Plan durchführen können. Der Papst schloss seine Ausführungen mit einem “Shanah Tova”-Gruß an Juden in aller Welt, die in wenigen Tagen ihr Neujahrsfest feiern.

Gemeinsam gegen das neue Barbarentum

Die Rabbiner haben die Kirche aufgefordert, gemeinsam gegen das neue Barbarentum in unserer Generation zu kämpfen, das namentlich vom radikalen Islam ausgehe. Selbst moderate Muslime seien Opfer dieses Barbarentums. Radikaler Islamismus gefährde den Weltfrieden im Allgemeinen, christliche und jüdische Gemeinden insbesondere. „Wir Juden sehen die Katholiken als unsere Partner, Verbündete, Freunde und Brüder im gemeinsamen Streben nach einer besseren Welt in Frieden, sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit“, heißt es in der Erklärung mit dem Vatikan. Die Rabbiner heben hervor, dass sie mit dem Katholizismus eine Partnerschaft sehen, die Freiheit der Religionsausübung zu festigen und die moralischen Prinzipien unserer unterschiedlichen Glaubensbekenntnisse insbesondere die Menschenwürde und die Bedeutung der traditionellen Familie zu stärken. Nostra Aetate hat nicht nur die Beziehungen zwischen Katholiken und Juden neu definiert, gegenseitiges Verständnis und Respekt wachsen lassen, sondern auch die Grundlage für diplomatische Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel 1993 ermöglicht.

Historisches Treffen

Wer eine Berichterstattung in deutschen Medien über das historische Treffen zwischen dem amtierenden Papst und Rabbinern aus den wichtigsten jüdischen Zentren der Welt sucht, wird sich schwer tun. Bei einer ausführlichen google-Suche nach Meldungen über das Treffen stößt man nur auf zwei Treffer: Radio Vatikan und die israelische Tageszeitung Haaretz. Dabei bietet sich das 50-jährige Jubiläum von Nostra Aetate geradezu an, es auf die Integrationsversuche zwischen Christen und Muslimen anzuwenden.

Nostra Aetate könnte ein Beispiel sein, Muslime aufzufordern, die Beziehungen zu den beiden anderen monotheistischen Religionen zu verbessern und dem radikalen Islam gemeinsam die Stirn zu zeigen. Die Welt wartet auf eine Einladung eines führenden Imams an Papst Franziskus, damit er in einer Moschee irgendwann jene Worte sprechen kann, die er im Januar 2016 in der Synagoge zu Rom formulierte: “Liebe (ältere) Brüder, wir müssen wirklich dankbar für alles sein, was in den vergangenen 50 Jahren verwirklicht werden konnte, weil zwischen uns das gegenseitige Verständnis gewachsen ist und das wechselseitige Vertrauen und Freundschaft vertieft wurde.”

Godel Rosenberg

geboren 1946 in Lódz (Polen), ist jüdischen Glaubens und besitzt die deutsche und israelische Staatsbürgerschaft. Nach dem Abschluss an der Deutschen Journalistenschule 1971 in München arbeitete er zunächst für diverse Tages- und Wochenzeitungen. 1978 wurde Rosenberg Pressesprecher der CSU und damit von Franz Josef Strauß. Nach dessen Tod 1988 arbeitete Rosenberg als Fernsehmoderator für den BR, bevor er 1998 mit seiner Familie nach Israel zog und die Leitung der DaimlerChrysler-Konzernrepräsentanz übernahm. Seit 2009 kümmert sich Rosenberg um die bayerisch-israelischen Beziehungen in der Auslandsrepräsentanz Bayerns in Tel Aviv.