Zusammenspiel mit den Schleppern
Schwerer Vorwurf an die NGO-Retter im Mittelmeer: Sie helfen den Schleppern, sagen Österreichs Außenminister Sebastian Kurz und die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die Zahl der schwarzafrikanischen Migranten über die zentrale Mittelmeerroute wächst wieder: 2017 kamen schon 51 Prozent mehr Migranten als im gleichen Vorjahreszeitraum.
Mittelmeer

Zusammenspiel mit den Schleppern

Schwerer Vorwurf an die NGO-Retter im Mittelmeer: Sie helfen den Schleppern, sagen Österreichs Außenminister Sebastian Kurz und die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die Zahl der schwarzafrikanischen Migranten über die zentrale Mittelmeerroute wächst wieder: 2017 kamen schon 51 Prozent mehr Migranten als im gleichen Vorjahreszeitraum.

„Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden“, forderte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) beim Besuch eines Schiffes der maltesischen Küstenwache im Hafen von Valetta. Die Rettungsaktionen von Hilfsorganisationen immer näher vor der libyschen Küste führten dazu, dass die Schlepper immer schlechtere Boote einsetzten und dass letztlich mehr Menschen sterben statt weniger, so der Außenminister. Kurz wirft manchen NGOs (Nichtregierungsorganisationen) regelrechtes Zusammenspiel mit den Menschenschmugglern vor: „Es gibt NGOs, die gute Arbeit leisten, aber auch viele, die Partner der Schlepper sind.“

Auffanglager in Nordafrika

Österreichs Außenminister plädiert dafür, die im Mittelmeer zwischen Libyen und Sizilien aufgenommenen Migranten nicht mehr nach Europa zu bringen. Kurz: „Wenn klar ist, dass man auf Inseln wie Lampedusa und Lesbos gestoppt wird, dann macht sich innerhalb weniger Wochen kaum mehr jemand auf den Weg.“ Mittelfristig sollten die Migranten in Auffanglager in Nordafrika gebracht werden, etwa in Tunesien oder Ägypten. Was politischen Willen und Geld kosten wird. Kurz: „Ich habe den Eindruck, dass, wenn es ein entsprechendes Angebot der EU gäbe, diese Staaten bereit wären, mit uns zu kooperieren.“

Es muss möglich sein, Boote zurückzudrängen.

Sebastian Kurz, Österreichs Außenminister

In Malta forderte Kurz außerdem ein robusteres Mandat für die EU-Grenzschutzagentur Frontex: „Es muss möglich sein, Boote zurückzudrängen, Boote müssen aktiv zerstört werden, und es muss proaktiver gegen Schlepper vorgegangen werden.“

Ein Problem sind aber auch libysche Küstenstädte, die mit dem Menschenschmuggel viel Geld verdienen. Das berichtete im vergangenen Dezember die Presseagentur AP unter Berufung auf den vertraulichen Bericht eines EU-Flottenkommandeurs. Darin warnte der italienische Konteradmiral Enrico Credendino, „dass der Menschenschmuggel für Libyer in den Küstenstädten eine Haupteinkommensquelle bleibt und dort Einkünfte von bis zu 325 Millionen Euro generiert“. Die Libyer werden so schnell nicht von ihrem einträglichen Geschäft absehen.

Auch Frontex greift NGOs an

Mit seiner Kritik an den NGOs vor Libyens Küste greift Kurz Vorwürfe auf, die auch die Grenzschutzagentur Frontex schon mehrfach erhoben hat. In einem vertraulichen Bericht „habe die EU-Grenzschutzagentur im Mittelmeer operierenden Hilfsorganisationen vorgeworfen, mit Menschenschmugglern zusammenzuspielen“, schrieb Mitte Dezember die Londoner Tageszeitung Financial Times. In dem Frontex-Bericht sei davon die Rede, dass „die Migranten vor der Abfahrt klare Hinweise“ erhalten, „über die Richtung, der sie folgen müssen, um NGO-Schiffe zu erreichen“.

Erster berichteter Fall, in dem die kriminellen Netzwerke Migranten direkt auf ein NGO-Schiff schmuggelten.

Frontex

In einem weiteren vertraulichen Bericht schrieb Frontex, so die Financial Times, vom „ersten berichteten Fall, in dem die kriminellen Netzwerke Migranten direkt auf ein NGO-Schiff schmuggelten“. Migranten, die von NGO-Schiffen gerettet werden, seien oft „überhaupt nicht bereit, auf Fragen von Frontex-Experten zu antworten“. Einige Migranten sagten, „dass die NGOs sie angewiesen hatten, weder mit italienischen Polizeikräften noch mit Frontex zusammen zu arbeiten“.

Weniger Notrufe, aber viel mehr NGO-Rettungseinsätze

Den EU-Grenzschützern ist außerdem aufgefallen, dass 2016 die Zahl der Rettungseinsätze, die durch einen Notruf ausgelöst wurden, von 66 auf nur 10 Prozent gefallen ist. Gleichzeitig sei aber die Zahl der Rettungseinsätze durch NGO-Schiffe von nur 5 auf 40 Prozent aller Einsätze gestiegen. Der Financial Times zufolge erklärt Frontex die Entwicklung damit, dass NGO-Boote näher an den libyschen Hoheitsgewässern operieren und Schweinwerfer verwenden, die „wie ein Leuchtfeuer für die Migranten“ wirken.

Die meisten Hilfsorganisationen haben vor Ort in Nordafrika lokale Kontaktleute.

NGO-Retter, zur US-Internetzeitung The Daily Beast

Vom Zusammenspiel zwischen NGOs und fragwürdigen Figuren in Nordafrika berichtet auch die US-Internetzeitung The Daily Beast und gibt dazu die Aussage eines Retters auf einem NGO-Schiff wieder: „Er sagte, dass die meisten Hilfsorganisationen in der Tat vor Ort in Nordafrika lokale Kontaktleute haben, die sie informieren, wenn große Boote [mit Migranten] auf See geschickt werden.“

Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden.

Sebastian Kurz

Die NGOs haben mit Empörung auf die Frontex-Berichte reagiert. „Wir suchen aktiv nach Booten in Not. Wir entdecken sie eher. Das ist eine Reaktion auf die Notlagen, die wir auf See erkennen“, zitierte im Dezember die Financial Times einen Sprecher der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die damals zwei Rettungsschiffe vor der libyschen Küste einsetzte. Wie ein echtes Dementi klang die Formulierung von der „aktiven Suche“ allerdings nicht.

Rettungsmissionen als Anreiz für die Schlepper

In ihrer „Risiko-Analyse für 2017“ hat Frontex die Vorwürfe wiederholt: „Seit Juni 2016 ist eine signifikante Zahl von [Migranten-]Booten von NGO-Schiffen abgefangen worden, ohne dass es vorher einen Notruf gegeben hat und ohne offizielle Information über den Ort der Rettung.“ Frontex weiter: „Die Präsenz von NGO-Kräften und deren Aktivitäten nahe an und gelegentlich innerhalb der libyschen 12-Meilen-Zone hat sich gegenüber dem vergangenen Jahr fast verdoppelt.“ Parallel dazu habe sich auch die Zahl der [Rettungs-]Zwischenfälle „dramatisch erhöht“.

Offenkundig helfen die Retter unabsichtlich den Kriminellen.

Frontex

Die Frontex-Risiko-Analyse schlussfolgert: „Offenkundig helfen Parteien, die sich an Rettungseinsätzen im zentralen Mittelmeer beteiligen, unabsichtlich den Kriminellen, ihre Ziele mit minimalen Kosten zu erreichen, und stärken deren Geschäftsmodell, indem sie die Erfolgschance erhöhen.“ Die Rettungsmissionen nahe oder innerhalb der libyschen 12-Meilen-Zone beeinflussten die Planungen der Schmuggler und wirkten als Anreiz. „Gefährliche Überfahrten mit nicht seetüchtigen und überladenen Booten werden organisiert mit dem hauptsächlichen Zweck, von EU-, Frontex- oder NGO-Schiffen entdeckt zu werden.“

51 Prozent mehr afrikanische Migranten

Tatsächlich steigen die Migrantenzahlen über die zentrale Mittelmeeroute von Libyen nach Italien wieder deutlich an. Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge haben bis zum 26. März im neuen Jahr auf dieser Route schon 21.939 in aller Regel schwarzafrikanische Migranten Italien erreicht, gegenüber 14.505 im Vorjahr – ein Plus von 51 Prozent. Allein am 23. und 24. März wurden 2320 Migranten aus dem Meer vor Libyen aufgenommen. Die meisten von ihnen kamen aus Nigeria, Gambia, Elfenbeinküste, Ghana, Mali, Senegal und den beiden Guineas, so IOM.

Im ganzen Jahr 2016 kamen auf dieser Route über 181.000 Migranten nach Italien, davon 170.000 aus Afrika. Aufschlussreich: Zwischen 2009 und 2013 waren es auf der zentralen und der westlichen Mittelmeerroute (über Marokko nach Spanien) im Schnitt jährlich 40.000. Diese Zahlen belegen den wachsenden Migrationsdruck vom afrikanischen Kontinent und dort vor allem aus Westafrika, warnt Frontex. Besonders auffällig war 2016 die Steigerung bei Nigerianern: plus 71 Prozent. Insgesamt waren 2016 etwa 100.000 der geretteten Migranten Westafrikaner.

Italien vor neuem Migrantenrekord

Wenn der Trend der ersten drei Monate des Jahres anhielte, dann müsste Italien 2017 mit etwa 300.000 Migranten rechnen. Was dann ein neuer Rekord wäre. Es können aber auch sehr viel mehr werden: Wiederum nach Angaben der IOM halten sich derzeit zwischen 700.000 und einer Million schwarzafrikanische Migranten in Libyen auf (Oberösterreichische Nachrichten).

Italien ist aber jetzt schon überfordert. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt von einer „chaotischen Situation“ in den italienischen Aufnahmezentren: „Das Potential an frustrierten Menschen, die nach Norden weiterziehen wollen, ist beträchtlich.“ Worauf sich Österreich jetzt auch vorbereitet. In Valetta schloss Außenminister Kurz auch die Schließung der Brenner-Grenze nicht aus. Kurz: „Wenn das Weiterwinken nach Mitteleuropa stattfindet, wird immer die Frage des nationalen Grenzschutzes aktuell.“