Brexit ohne Wenn und Aber
Premierministerin Theresa May hat Klarheit geschaffen: Großbritannien will den vollständigen Ausstieg aus dem Gemeinsamen Markt und aus der Zollunion. Ein umfassender Freihandelsvertrag soll zu einer neuen gleichberechtigten Partnerschaft zwischen der EU und einem global orientierten Großbritannien führen.
Europa

Brexit ohne Wenn und Aber

Premierministerin Theresa May hat Klarheit geschaffen: Großbritannien will den vollständigen Ausstieg aus dem Gemeinsamen Markt und aus der Zollunion. Ein umfassender Freihandelsvertrag soll zu einer neuen gleichberechtigten Partnerschaft zwischen der EU und einem global orientierten Großbritannien führen.

„Brexit heißt Brexit.“ Das hat Großbritanniens Premierministerin Theresa May schon oft gesagt. In ihrer mit Spannung erwarteten Grundsatzrede vor EU-Botschaftern hat sie jetzt unmissverständlich klar gemacht, was das bedeutet: „Großbritannien verlässt die Europäische Union.“ Vollständig und ohne Wenn und Aber.

Ausstieg aus dem Gemeinsamen Markt

Großbritannien, so die Premierministerin wird den Gemeinsamen Markt endgültig und vollständig verlassen May: „Keine Teilmitgliedschaft der Europäischen Union, keine assoziierte Mitgliedschaft oder irgendetwas, das uns halb drinnen, halb draußen lässt. Wir gehen und wollen nicht an Stücken der Mitgliedschaft festhalten.“

London wird sich auch nicht auf andere schon bekannte Modelle der Teilhabe am Gemeinsamen Markt der EU einlassen – etwa dem der Schweiz oder Norwegens. Die europäische Großmacht am westlichen Rand der EU strebt ganz neue Beziehungen zur EU an, ihren eigenen EU-Status: „Wir wollen eine neue gleichberechtigte Partnerschaft – zwischen einem unabhängigen, sich selbst regierenden global ausgerichteten Großbritannien und unseren Freunden und Verbündeten in der EU.“

Großes Freihandelsabkommen mit der EU

Darum muss Großbritannien auch die Zollunion mit der EU verlassen, so May. Denn das „global ausgerichtete Großbritannien muss die Freiheit haben, auch mit Ländern außerhalb der EU Handelsabkommen abschließen zu können“. Beim zollfreien Handel mit der EU soll es dennoch bleiben. Ob Briten und EU dafür ein völlig neues Zollabkommen aushandeln, ob Großbritannien assoziierten Status erhält oder vertraglich Teile der EU-Zollunion übernimmt, lässt sie offen. Sicher ist nur: London will zwischen sich und der EU so wenig Handelshemmnisse wie möglich sehen, aber gleichzeitig frei sein, mit anderen Teilen der Welt eigene Tarife zur vereinbaren. May: „Wir verlassen nicht nur die EU, sondern wir umarmen die Welt.”

Keine Teilmitgliedschaft der Europäischen Union, keine assoziierte Mitgliedschaft oder irgendetwas, das uns halb drinnen, halb draußen lässt.

Theresa May

Denn freier Handel mit „europäischen Märkten“, so Mays bewusste Plural-Formulierung, hat für London weiterhin Priorität. Die Briten wollen darum „mit der Europäischen Union ein kühnes und ehrgeiziges Freihandelsabkommen“ abschließen, das London „auf reziproker Basis“ größtmöglichen Zugang zum EU-Binnenmarkt gewährt. Das neue Abkommen, so May,  „soll britischen Firmen maximale  Freiheit und Bewegungsmöglichkeit auf europäischen Märkten geben – und der europäischen Wirtschaft das Gleiche in Großbritannien.“ Und dann wird May noch einmal ganz deutlich: „Was ich hier vorschlage, kann nicht Mitgliedschaft im Gemeinsamen Markt bedeuten.“

Kontrolle über die Zuwanderung

Großbritannien wird seine Gesetzgebung wieder vollständig in eigene Hände nehmen und die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs für britisches Territorium beenden. Teile der EU-Gesetzgebung – des sogenannten acquis communitaire – will es der Einfachheit halber und um der Kontinuität im eigenen Lande willen übernehmen. Anderer ganz entscheidender Punkt: Kontrolle über die Einwanderung. Großbritannien wolle weiterhin offen sein für Talente aus aller Welt, und die Wirtschaft brauche Zuwanderung aus der EU, betont May: „Aber die Botschaft der Wähler vor und nach der Referendumskampagne war klar: Brexit muss heißen, dass wir die Zahl der Menschen bestimmen, die aus Europa nach Britannien kommen.“ Auch weil sonst die Einwanderung aus anderen Teilen der Welt kaum einzudämmen sei.

Brexit muss heißen, dass wir die Zahl der Menschen bestimmen, die aus Europa nach Britannien kommen.

Theresa May

„Brexit Max“ – maximaler Brexit – nennt die Londoner Wochenzeitung The Economist den klaren Schnitt, den die britische Regierung jetzt anstrebt. Ende März will May über Artikel 50 des Europäischen Vertrages die zweijährige Frist für die Austrittsverhandlungen auslösen. Vor dem Austrittstermin im Frühjahr 2017 soll das neue umfassende Vertragswerk beiden Kammern des Parlaments in Westminster vorgelegt werden. Die Parlamentarier können ihn annehmen oder sich für einen EU-Austritt völlig ohne Vertrag entscheiden.

EU-Strafpolitik wird London nicht hinnehmen

Kurz und hoffentlich schmerzlos: Auch eine längere Übergangsfrist, die May ein „permanentes politisches Fegefeuer“ nennt, wird es nicht geben. Stattdessen sollen nach Ablauf der Verhandlungsfrist alle Bestandteile des „umfassenden Abkommens“ mit der EU nach einander und gut vorbereitet phasenweise umgesetzt werden.

Gar kein Abkommen ist für Großbritannien besser als ein schlechtes Abkommen.

Theresa May

Kann das funktionieren? Die Premierministerin ist optimistisch: Das angestrebte neue Abkommen entspreche dem Interesse der Briten, der Europäer und der weiteren Welt. May: „Britannien will für Europa ein guter Freund und Nachbar bleiben.“ Aber nicht um jeden Preis: „Gar kein Abkommen ist für Großbritannien besser als ein schlechtes Abkommen.“ Einige europäischen Stimmen, erinnert die Premierministerin, hätten gefordert, die Briten für den Brexit zu bestrafen, um potentielle Nachahmer davon abzuschrecken, den gleichen Weg zu gehen. May: „Für die Länder Europas wäre das ein Akt verhängnisvoller Selbstschädigung. Und es wäre nicht die Handlungsweise eines Freundes.“

Wir sind ein entscheidender und profitabler Exportmarkt für die europäische Industrie.

Theresa May

Die Premierministerin nimmt die Drohung ernst. 32 lange Redezeilen spricht sie darüber. Großbritannien würde EU-Strafpolitik nicht hinnehmen und sich wehren: mit einer Steuerpolitik, „die die weltbesten Unternehmen und die größten Investoren“ ins Land zöge. Die EU würde sich mit Handelsbarrieren zu einer der größten Wirtschaften der Welt selber schaden. Europäische Investitionen in Großbritannien für über eine halbe Billion Pfund Sterling und EU-Export über den Kanal für jährlich 290 Milliarden Pfund würden gefährdet.  May: „Wir sind ein entscheidender und profitabler Exportmarkt für die europäische Automobilindustrie ebenso wie für andere Bereiche einschließlich Energie, Lebensmittel, Chemie, Pharmazeutik, und Landwirtschaft.“ May ist zuversichtlich, dass ein „positives Abkommen“ erreicht werden kann, will aber auf „alle Eventualitäten“ vorbereitet sein.

Großbritannien verlässt die EU. Das steht jetzt fest. Brexit ist Brexit. Europas politische Geographie erhält ein neues Gesicht. Für Europa beginnt eine neue Ära.