Regierungskrise in Rom
Nach der gewaltigen 40:60 Niederlage beim Verfassungsreferendum blieb Premierminister Matteo Renzi nur eine Wahl: Rücktritt. Eine Übergangsregierung muss nun vor allem ein neues Wahlgesetz verabschieden. Gefahr droht von Italiens maroden Banken und von Roms riesiger Staatsverschuldung.
Italien

Regierungskrise in Rom

Nach der gewaltigen 40:60 Niederlage beim Verfassungsreferendum blieb Premierminister Matteo Renzi nur eine Wahl: Rücktritt. Eine Übergangsregierung muss nun vor allem ein neues Wahlgesetz verabschieden. Gefahr droht von Italiens maroden Banken und von Roms riesiger Staatsverschuldung.

Die Wähler hätten ein „ungewöhnlich klares“ Votum abgegeben, gestand ein müder Matteo Renzi noch in der Referendumsnacht ein und erklärte seinen Rücktritt. In der Tat: Mit dem „Nein“ war allgemein gerechnet worden. Aber nicht mit einer derart bitteren Niederlage für den Premier. Nur etwa 40 Prozent der Wähler sprachen sich für die Entmachtung des Senats, der zweiten Parlamentskammer, aus, fast 60 Prozent dagegen. Noch dazu bei einer überdurchschnittlich hohen Abstimmungsbeteiligung etwa 48 Prozent.

Krachendes Anti-Renzi-Votum

Renzis Rücktritt ist fast zwingend. Denn das brutal klare Votum ist vor allem eines: ein Anti-Renzi-Votum. Und schuld daran ist niemand anderes als der Premierminister selber. Ohne jede Not hatte Renzi von Anfang an seine politische Zukunft mit dem Ausgang der Abstimmung verknüpft, für den Fall einer Ablehnung seinen Rücktritt angekündigt – und damit die Abstimmung über die Verfassungsänderung zum Referendum über sich selbst und seine Regierung gemacht.

Renzi hätte auch ganz verzichten können auf die Verfassungsänderung und die Abstimmung darüber. Aber er wollte sie, er glaubte wohl, sie zu brauchen –  weil ihm Wahlsieg und Wählermandat noch fehlten. Zum Amt des Premierministers kam Renzi nicht durch die Parlamentswahl 2013, sondern weil er ein knappes Jahr später seinen Vorgänger Enrico Letta aus dem Vorsitz seiner Demokratischen Partei (PD) kippte. Das Verfassungsreferendum hätte ihm nun das Mandat für seine Reformpolitik bescheren sollen.

Stattdessen nun das Gegenteil: Ein gnadenloses Votum gegen Renzi, der vollständige Reform versprochen, aber wenig geliefert hat. Aufschlussreich: Vor allem im Süden des Landes haben sich die Wähler von ihm abgewandt. Auf Sizilien stimmten weniger als 30 Prozent der Wähler für das „Si“. Bei anhaltender Wachstumsflaute und 11,7 Prozent Arbeitslosigkeit haben die Wähler die Hoffnung in Renzi verloren.

 Beppe Grillo fordert Neuwahlen sofort

In kaum 1000 Tagen hat er es vollbracht, praktisch alle gegen sich aufzubringen – die Wähler und fast die gesamte römische Politik, bis hinein in seine eigene PD, wo seit seinem Coup von Anfang  2014 eben noch alte politische Rechnungen offen sind. Als großer Sieger trumpfen nun der Populist Beppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) auf. Sie fordern Wahlen so schnell wie möglich. Grillos Bewegung will sich weder rechts noch links einordnen, bezeichnet sich lieber als unabhängig und anti-elitär. Was ganz falsch nicht ist: Der ehemalige Komiker Grillo sammelt Anti-Establishment-Stimmen von allen Seiten, rechts wie links oder aus der Mitte. Bei der Parlamentswahl 2013 holte die erst 2009 gegründete Bewegung aus dem Stand 25,5 Prozent der Stimmen und stellt damit im Parlament die stärkste Oppositionspartei. In aktuellen Umfragen liegt Grillos M5S knapp vor Renzis PD und könnte die nächste Wahl glatt gewinnen.

Neuwahlen sofort fordert auch die eindeutig rechtspopulistische Lega Nord. Die anhaltende Flüchtlingskrise, die dieses Jahr schon mehr als 170.000 afrikanische Migranten nach Italien brachte, treibt ihr die Stimmen zu: 2013 kam sie nur auf etwas über vier Prozent. Derzeit liegt sie bei über 12 Prozent. Auch die Forza Italia und ihr Präsident Silvio Berlusconi rühren sich wieder. Der 80-jährige Ex-Premier sieht sich als den einzigen Oppositionsführer – Berlusconi gehört derzeit weder Parlament noch Senat an – der mit der PD verhandeln könnte. Seine Forza Italia verfügt über 50 Parlamentsmandate.

Regierungskrise

Wie geht es weiter in Rom? Renzis Rücktrittsankündigung führt das Land in die Regierungskrise. Das bringt Staatspräsident Sergio Mattarella ins Spiel, der nun einen neuen Premierminister ernennen muss. Angeblich soll Mattarella gehofft haben, Renzi zum Ausharren bewegen zu können, mit einer neuen Regierung. Vergeblich. Nach dem knallenden Referendumsdebakel wollte Renzi davon nichts wissen und teilte dem Präsidenten das am Telefon mit.

Der Präsident wird also einen Übergangspremier ernennen müssen – den sehr angesehenen einstigen Anti-Mafia-Staatsanwalt und jetzigen Senatspräsident Piero Grasso (PD) oder den ebenso angesehenen – parteiunabhängigen – Finanzminister Pier Carlo Padoan. In Rom gehandelt wird auch der Name des aktuellen Ministers für Kulturgüter Dario Francschini (PD).

Hauptaufgabe des neuen Premiers und seiner Regierung wird es sein, bis zur nächsten Wahl, spätestens im Frühjahr 2018, ein neues Wahlgesetz verabschieden zu lassen. Zur Zeit hat das Land kein gültiges Wahlgesetz: Im aktuellen Gesetz aus der Feder der Regierung Renzi kommt der Senat schon nicht mehr vor. Das war voreilig: Nach dem „Nein“ zum Verfassungsreferendum wird es auf absehbare Zeit bei der Direktwahl der 315 Senatoren bleiben. Und solange es kein neues Wahlgesetz gibt, kann eine Wahl kaum stattfinden – was im Moment vielleicht gar nicht so schlecht ist.

Größter Risikofaktor: Italiens wacklige Banken

Müssen sich nach dem Referendumssieg der Populisten nun die Europäer nun auf den Aufstieg der Grillo-Bewegung zur Regierungspartei einstellen? Immerhin hat Grillo seinen Wählern ein Referendum über den Ausstieg aus dem Euro versprochen. Nicht unbedingt. Denn von einer absoluten Mehrheit ist Grillos M5S-Bewegung trotz allem weit entfernt. Beim Referendum haben die Wähler zwar gegen Renzi gestimmt – aber eben nicht für Grillo und seine M5S. Politisch wird Italien auch ohne Renzi das tun, was es seit 70 Jahren mit Erfolg tut – sich weiter durchwursteln.

Das große Risiko für Italien – und Europa – lauert auf dem Gebiet der Wirtschaft und hier im Bankensektor. Italiens Banken sitzen auf notleidenden Krediten über etwa 360 Milliarden Euro, was ungefähr ein Fünftel der Wirtschaftsleistung des Landes ausmacht. Dem Bankrott gefährlich nahe ist Italiens drittgrößtes Bankhaus Monte dei Paschi di Siena (MPS). Die Regierung hat Investoren geworben, die die Bank – die älteste der Welt – mit Krediten stützen sollen. Viele von ihnen haben ihre Zusage vom positiven Ausgang des Reform-Referendums abhängig gemacht und könnten nun ihre Zusage zurückziehen, warnt die Londoner Wochenzeitung The Economist.

Ein überschuldetes Italien mit Regierungskrise lässt erneut die Einheitswährung beben.

Neue Zürcher Zeitung

Im schlimmsten Fall könnte sich Rom gezwungen sehen, die taumelnde MPS-Bank doch mit Staatsgeld zu retten, obwohl neue EU-Regeln das eigentlich ausschließen. Was nicht nur der Glaubwürdigkeit der gemeinsamen Euro-Währung einen Stoß versetzen würde, sondern womöglich auch den Finanzen der drittgrößten Wirtschaft des Euro-Raums: Italiens Staatsverschuldung beläuft sich auf 135 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – nach Japan und Griechenland der drittgrößte Schuldenberg der Welt. Milliarden für MPS würden ihn weiter wachsen lassen – und die Rendite für italienische Staatsanleihen, fürchtet die britische Tagezeitung The Financial Times. Dann könnten Italien womöglich Insolvenz drohen und griechische Verhältnisse. „Ein überschuldetes Italien mit Regierungskrise lässt erneut die Einheitswährung beben“, beobachtet die Neue Zürcher Zeitung: „Die Gegenwärtige Alarmstimmung besagt dabei mehr über die Stabilität des Euro als über diejenige Italiens.“ (dpa/BK/H.M.)