Schwere Zeiten für Russland
In Wladimir Putins jährlicher Rede zur Lage der Nation war dieses Mal von Außenpolitik wenig die Rede − trotz halbem Krieg in der Ostukraine und brutalem Krieg in Syrien. Moskaus Sorgen konzentrieren sich auf Russland in der Wirtschaftskrise: Seit 2014 hat sich die Wirtschaftskraft des Landes halbiert. Das war Putin besonders wichtig: Zensur gebe es in seinem Russland nicht.
Russland

Schwere Zeiten für Russland

In Wladimir Putins jährlicher Rede zur Lage der Nation war dieses Mal von Außenpolitik wenig die Rede − trotz halbem Krieg in der Ostukraine und brutalem Krieg in Syrien. Moskaus Sorgen konzentrieren sich auf Russland in der Wirtschaftskrise: Seit 2014 hat sich die Wirtschaftskraft des Landes halbiert. Das war Putin besonders wichtig: Zensur gebe es in seinem Russland nicht.

Harmlose, fast gleichgültige Worte im Georgijewski-Saal des Kreml: „Wir wollen keine Konfrontation, wir suchen keine Feinde.” So formulierte es Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation vor Vertretern aus Politik und Gesellschaft in Moskau. „Wir brauchen Freunde, aber wir dulden keine Missachtung unserer nationalen Interessen.”

Unwichtige Außenpolitik

Anders als in früheren Reden an die Nation spielten internationale Themen eine untergeordnete Rolle in Putins 13. Ansprache als Präsident: Kein Wort über die Ukraine, die von Moskau annektierte Halbinsel Krim wurde bloß erwähnt. Syrien wurde nur einziges Mal beiläufig genannt, als Ort des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus. Putin: „Die Terroristen haben bedeutende Verluste erlitten. Dass russische Heer und die Marine haben überzeugend vorgeführt, dass sie in der Lage sind, fern ihrer permanenten Einsatzräume effektiv zu operieren.” Sonst kein Wort über das Bürgerkriegsland oder über Moskaus Ziele in der Region. Die Türkei etwa kam gar nicht vor.

Dazu zwei kleine allgemeine Absätze über „die umfassende Partnerschaft und strategische Kooperation zwischen Russland und China” als „Schlüsselfaktoren für die globale und regionale Stabilität”, ein kurzer, ganz und gar belangloser Absatz über Indien. Drei Zeilen über Japan, „unseren östlichen Nachbarn”.

Erst ganz am Schluss seiner Rede sprach Putin von Russlands Bereitschaft, mit der „neuen US-Administration” zusammenarbeiten.

Erst danach, ganz am Schluss seiner Rede, sprach Putin von Russlands Bereitschaft, mit der „neuen US-Administration” zusammenarbeiten. Der Name des neuen Präsidenten fiel gar nicht. Es sei wichtig, „die bilateralen Beziehungen wieder aufs Gleis zu setzen und auf der Basis des gegenseitigen Nutzens auszubauen”. Und natürlich hofft Putin auf gemeinsame Anstrengungen beim Kampf gegen den „internationalen Terrorismus”.

Russland in schweren Zeiten

Die Prioritätensetzung in der Rede zur Lage der Nation war kein Zufall: Putins großes Problem liegt weniger in Syrien oder in der Ukraine, sondern zu Hause. Vor rund 1000 Amts- und Würdenträgern hielt er mehr als 69 Minuten darum einen flammenden Appell an die „Einigkeit in schweren Zeiten”. Es ging um die Wirtschaftskrise und um innenpolitische Probleme.

Nach zwei Jahren Rezession beschwor Putin Zeichen der Entspannung. „Der Abschwung in der Realwirtschaft geht zurück, es gibt sogar ein kleines industrielles Wachstum”, sagte er. 2015 war die Wirtschaftsleistung um 3,7 Prozent eingebrochen. Für das gesamte Jahr 2016 dürfte der Rückgang unbedeutend sein, meinte er. Beobachter rechnen allerdings mit einem Schwund von 0,8 Prozent.

Seit dem Absturz des Ölpreises im Juni 2014 hat sich Russlands Wirtschaftsleistung von 2,1 Billionen Dollar auf etwa 1,1 Billionen fast halbiert.

Die Rohstoffmacht leidet seit 2014 unter den Folgen niedriger Ölpreise. Westliche Sanktionen wegen der Ukraine-Krise verschärfen die Lage und kosten im Schnitt jedes Jahr ein Prozent Wachstum. Doch die Strafmaßnahmen hätten nicht gewirkt, meinte nun Putin. „Sie haben versucht, uns nach fremder Pfeife tanzen zu lassen, wie wir im Volksmund sagen, damit wir unsere fundamentalen Interessen vernachlässigen.” Warum der Bruch von Völkerrecht und ein verdeckter Krieg in der Ukraine fundamentale Interessen Russlands sein sollen, wurde nicht erörtert. Die Hauptgründe für den Abschwung seien aber Defizite bei Investitionen, Wettbewerb und in der Ausbildung, da war sich Putin sicher.

Doch die Lage ist bitterer und die Zeiten sind für Russland tatsächlich schwer. Seit dem Absturz des Ölpreises im Juni 2014 hat sich Russlands Wirtschaftsleistung von umgerechnet 2,1 Billionen Dollar auf etwa 1,1 Billionen fast halbiert, was nur noch sechs Prozent der US-Wirtschaft entspricht. Im vergangenen Jahr sind die Investitionen um über acht Prozent gesunken, in diesem Jahr wird der Rückgang bei vier Prozent liegen. Mit der Wirtschaftsleistung sind die Realeinkommen deutlich gesunken − um zehn Prozent im vergangenen und um fünf bis sechs Prozent in diesem Jahr.

Die Russen werden es wohl ertragen, wie immer. Sie wissen, trotz Krise geht es ihnen noch besser als vor gar nicht langer Zeit: Zwischen 1999 und 2008 haben sich ihre Realeinkommen verdoppelt. Die Arbeitslosigkeit beträgt nur 5,4 Prozent. Der Russischen Zentralbank ist es gelungen, die Inflation von 16 auf 6 Prozent zu drücken.

Hacker, Doping und Korruption

Putin kündigte an, Russland werde sich stärker vor Hackerangriffen schützen. „Auch in diesem Jahr sind wir mit Versuchen konfrontiert, dass aus dem Ausland Druck auf uns ausgeübt wird, unter anderem durch bestellte Kampagnen und schulmeisterhafte Belehrungen.” Als Beispiel nannte er den „sogenannten Dopingskandal” im russischen Sport. „Er wird uns helfen, das fortschrittlichste System zur Doping-Bekämpfung zu schaffen”, sagte Putin. Russland wurde durch eine ARD-Dokumentation und einen IOC-Bericht Staatsdoping nachgewiesen, als Folge wurden Hunderte Athleten für Olympia in Rio gesperrt.

Lassen Sie mich betonen: Ob in Kultur, Politik, in den Massenmedien, im öffentlichen Leben, oder in Debatten über wirtschaftliche Fragen − niemand kann die Freiheit der Gedanken verbieten und die Freiheit, seine Meinung frei auszudrücken.

Wladimir Putin

Angesichts jüngster Korruptionsskandale bekannte sich Putin auch zum Kampf gegen die Bestechlichkeit. Wieder einmal. Dieser erfordere „Professionalismus und Verantwortungsbewusstsein”. Die meisten Beamten seien ehrliche Menschen. Zuletzt hatte die Festnahme von Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew wegen angeblicher Korruption für Aufsehen gesorgt. Experten beklagen seit Jahren ein Klima der Vetternwirtschaft in Russland und mangelnden Willen der Führung zu ihrer Bekämpfung.

100 Jahre Oktober-Revolution

Nächstes Jahr, so der Sowjetnostalgiker und Ex-KGB-Mann Putin, stehe das 100-jährige Gedenken an die Februar- und Oktober-Revolutionen bevor: „Das ist ein guter Zeitpunkt, um zurück zu blicken auf die Gründe und die Natur dieser Revolutionen in Russland.” Die russische Gesellschaft brauche eine „objektive, ehrliche und tiefgründige Analyse dieser Ereignisse”. Putin weiter: „Das ist unsere gemeinsame Geschichte, und wir müssen sie mit Respekt behandeln.“ Man darf gespannt sein.

Ach ja, auch dies sagte Putin: „Lassen Sie mich betonen: Ob in Kultur, Politik, in den Massenmedien, im öffentlichen Leben, oder in Debatten über wirtschaftliche Fragen − niemand kann die Freiheit der Gedanken verbieten und die Freiheit, seine Meinung frei auszudrücken.” Dann muss ja alles gut sein in Putins Russland. (dpa/BK/H.M.)