Türkei hautnah: Julia Obermeier bei der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Istanbul. (Bild: Parlamentarische Versammlung der NATO)
Türkei

Gegen die Werte der NATO

Gastbeitrag Die EU-Parlamentarier wollen fraktionsübergreifend die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aussetzen. In der NATO wird noch mit dem Mitgliedsstaat Türkei gesprochen, zuletzt vom 18. bis 21. November bei der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Istanbul. Doch auch hier könnten die Wege auseinander gehen. Ein Gastbeitrag von Julia Obermeier.

Als Mitglied der deutschen Delegation nahm ich an der Tagung teil und mein Bild vom aktuellen Kurs der Türkei hat sich bestätigt: Präsident Recep Tayyip Erdogan versucht mit allen Mitteln, seine machtpolitischen Ziele durchzusetzen. Durch seine Politik driftet die Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch mehr und mehr in Richtung Diktatur.

Die türkischen Außen- und Justizminister, Mevlüt Çavuşoğlu und Bekir Bozdağ, zeichneten in ihren Vorträgen und in der Diskussion ein extrem geschöntes Bild des Handelns ihrer Regierung. Jedoch sprachen wir NATO-Parlamentarier die beobachteten Missstände in der Türkei offen an und erinnerten an die Werte, auf denen unsere Verteidigungsallianz aufbaut. Diese Kritik wurde von den türkischen Ministern abgeschmettert. Unliebsame Fragen wurden ignoriert oder umgangen.

Druck auf die Presse

Bei Gesprächen am Rande der Tagung wurde mir die prekäre Situation der elementaren Grundrechte, wie der Meinungs- und Pressefreiheit, deutlich vor Augen geführt: Die türkische Regierung übt Druck auf die Presse aus. Mehr als 100 Zeitungen, Nachrichtenagenturen, Fernseh- und Radiostationen sind verboten worden. Durch strenge Internetgesetze können zudem kritische Internetseiten blockiert werden. Laut Reporter ohne Grenzen sind aktuell mindestens 41 Journalisten inhaftiert. Hierdurch können die Medien ihrer Rolle als Wächter der Demokratie nicht mehr gerecht werden.

Nachts um halb zwei von 50 schwer bewaffneten Polizeikräften aus dem Haus geholt.

Unter den Repressalien leidet auch die politische Opposition: Aktuell befinden sich elf demokratisch gewählte HDP-Abgeordnete, darunter beide Parteivorsitzenden, in Haft. In Istanbul berichtete uns ein Abgeordneter der pro-kurdischen Partei HDP, Ziya Pir, dass er nachts um halb zwei von 50 schwer bewaffneten Polizeikräften aus seinem Haus geholt, auf der Polizeiwache verhört und festgehalten wurde. Als Grundlage für seine Festnahme dienten Auszüge aus öffentlich gehaltenen Reden. Der Abgeordnete forderte Selbstverwaltung für die Kurden. Diese Forderung findet sich allerdings auch in der Satzung der HDP, die – noch vor dem Putschversuch – einer strengen gesetzlichen Reglementierung folgend verfasst und von einem türkischen Ministerium geprüft wurde. Da die PKK diese Forderung ebenfalls erhebt, wurde dies jetzt als Beleg für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gewertet und als Vorwand für die Festnahme des Abgeordneten genutzt.

Der Rechtsstaat ist ausgehebelt

Auch Anhänger der Gülen-Bewegung werden massiv verfolgt. Laut der Regierung in Ankara stehen sie hinter dem Putschversuch. Es wurden 110.000 Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Lehrer, Professoren, Dozenten, Beamte und Militärangehörige entlassen, die der Bewegung nahe stehen sollen. Einen Tag nach dem Ende der NATO-Tagung ordnete Präsident Erdogan weitere 10.000 Entlassungen an. 30.000 Menschen sitzen im Gefängnis. Der Rechtsstaat ist durch den erklärten Notstand ausgehebelt.

Die türkischen Vertreter warnten die NATO-Partner in Istanbul vor der Bedrohung durch die Gülen-Bewegung, die die Türkei als Terrororganisation einstuft. Doch auch wenn Teile des von Gülen vertretenen Gedankenguts nicht mit unserer demokratischen Grundordnung in Einklang stehen, gibt es derzeit keine Belege dafür, dass die Gülen-Bewegung in Deutschland gesetzeswidrig oder verfassungsfeindlich agiert.

Zerrbilder

Die Kommunikation der türkischen Regierungsvertreter erinnert mich an meinen letzten Besuch in Moskau. Dazu passt auch ein Gespräch, das ich im Flugzeug mit einem deutschen Geschäftsmann mit türkischen Wurzeln führte. Er hat das Narrativ Erdogans verinnerlicht. Der Akademiker mit gutem Job vertrat die Meinung, dass die deutsche Presse ein verzerrtes Bild der Politik von Präsident Erdogan verbreite. Die Gülen-Anhänger würden tatsächlich Gehirnwäsche betreiben und seien Terroristen. Er habe zudem davon gehört, dass man in manchen Dörfern die Menschen mit Waffengewalt gezwungen habe, HDP zu wählen. Seiner Ansicht nach sei es daher richtig, dass die HDP-Abgeordneten nun ins Gefängnis kämen. Außerdem habe Präsident Erdogan viel für die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei getan und sei nicht umsonst mit so hoher Zustimmung gewählt worden. Dieses Beispiel zeigt, dass die Türkei Russland mit Blick auf Propaganda in Nichts nachsteht!

Die Türkei ist weiter von der EU entfernt denn je.

Julia Obermeier

Klar ist für mich nach meinem Besuch in Istanbul: Die Türkei ist weiter von der EU entfernt denn je. Die Beitrittsverhandlungen müssen umgehend ausgesetzt werden. Auch müssen die NATO-Mitglieder an einem Strang ziehen, denn die Allianz ist nicht nur eine Verteidigungsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft. Wenn die türkische Regierung unter Präsident Erdogan so fragwürdig mit den gemeinsamen westlichen Werten umgeht, müssen die Partnerländer, müssen wir in Deutschland, auch die Frage diskutieren, welchen Platz die Türkei zukünftig in der NATO haben soll!

Julia Obermeier

Die Autorin ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages (dort im Verteidigungsausschuss), Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sowie stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO. Sie ist Vorstandsmitglied der CSU München West, der JU Bayern, im ASP, in der FU München sowie Mitglied bei der CSU-Grundsatzkommission. Sie war zudem bis zu ihrem Umzug in ihre Geburtsstadt München CSU-Ortsvorsitzende von Maitenbeth, dort auch Gemeinderätin sowie Kreisrätin im Landkreis Mühldorf.