Verantwortet Schuldenwachstum um über 300 Milliarden Euro: Frankreichs Staatspräsident François Hollande. (Bild: Imago/PanoramiC/Michael Baucher)
Frankreich

Unter Draghis Sauerstoffzelt

Frankreichs Staatsverschuldung wächst bedrohlich: In fünf Jahren Präsidentschaft Hollande ist sie um über 300 Milliarden Euro gestiegen auf den Rekordstand von 98,4 Prozent. Trotz der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank zahlt Paris jedes Jahr 50 Milliarden Euro nur für Schuldendienst. Wenn die Zinsen wieder steigen, droht dem Land die Katatstrophe.

Jetzt wird es ernst in Frankreich. Das zeigt die jüngste, verzweifelte Sparmaßnahme: Über zehn Millionen Euro wendet die französische Staatskasse jedes Jahr für seine drei noch lebenden ehemaligen Präsidenten – Valéry Giscard d’Estaing, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy – auf. Mit Dienstwohnung, Büro, Fahrzeug und siebenköpfigem Personal – Sekretär, Diener, Koch, Chauffeur und Wachpersonal – sind sie tatsächlich vorzüglich versorgt. Noch, aber nicht mehr lange. Denn per Dekret ist jetzt die Zahl der vom Staate finanzierten Mitarbeiter der Ex-Präsidenten von sieben auf drei begrenzt worden. Kleiner Trost für die drei Ex-Präsidenten: Die neue Regel gilt erst ab 2021.

Staatsverschuldung nahe der 100-Prozent-Marke

„La République“ ist der Kern der Identität Frankreichs. Und der „Président de la République“ – amtierend wie ehemalig –  ist ihr zentrales Symbol, die zentrale Institution. Wenn Paris daran spart, muss die Lage ernst sein. Ist sie auch. In der vergangenen Woche wartete Frankreichs nationales Statistikamt Insee mit beunruhigenden Zahlen zur Finanzlage der Republik für das zweite Quartal auf: Allein in den vergangenen drei Monaten ist Frankreichs Staatsverschuldung um 31,7 Milliarden Euro oder 0,9 Prozent gestiegen. Sie erreicht damit den neuen Rekordstand von 2170,6 Milliarden Euro. Die Zahl entspricht 98,4 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes oder, wie die Pariser Tageszeitung Le Figaro vorrechnet, einer Schuld von 33.000 Euro für jeden Franzosen, vom Säugling bis zum Greis.

Die Verschuldung liegt jetzt schon höher als für Ende 2016 geplant.

Mit 98,4 Prozent überstiegt Frankreichs Staatsverschuldung schon Anfang August die Zielmarke für das Jahresende von 96,1 Prozent. Hat die Regierung die Kontrolle über die Staatsausgaben verloren? Das Finanzministerium gibt sich nicht beunruhigt, jedenfalls nicht öffentlich. Weil die Staatseinnahmen erst noch fließen müssen, der Staat aber schon bezahlt werden muss, liegt zu Jahresanfang die Staatsverschuldung häufig höher als zum Jahresende. Theoretisch. Doch dass diese Rechnung in Paris auch für 2016 so aufgeht, ist nicht sicher, warnt Le Figaro: Im vergangen Jahr musste in der zweiten Jahreshälfte die Verschuldung nur um einen Prozentpunkt zurückgeführt werden, um die Zielmarke für das Jahresende zu erreichen. In diesem Jahr beträgt die Kluft 2,3 Prozentpunkte.

Die Schulden werden weiter wachsen: Experten halten die Pariser Wachstums- und Defizit-Erwartungen für 2017 für unrealistisch.

Auf dem Papier hält Paris daran fest, die Verschuldung im nächsten Jahr auf 96 Prozent zurückzuführen. Die Erwartung fußt auf optimistischen Erwartungen von Finanzminister Michel Sapin: Das Haushaltsdefizit soll 2017 von jetzt 3,3 auf 2,7 Prozent sinken und das Wirtschaftswachstum von für 2016 erwarteten 1,3 auf 1,5 Prozent steigen. Doch der dem französischen Rechnungshof angehörende unabhängige Hohe Rat für die öffentlichen Finanzen hält Sapins Erwartungen für unrealistisch. Wenn das Gremium recht behält, wird Frankreichs Staatsverschuldung weiter steigen.

Hollandes persönliches Scheitern

Die bedrohliche Staatsverschuldung wird im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf eine prominente Rolle spielen. Denn für Staatspräsident Franςois Hollande verbirgt sich hinter den Zahlen ein persönliches Scheitern. Im Januar 2012, kurz vor seiner Wahl, hat er in einem kleinen Büchlein über „Der Wandel ist jetzt“ angekündigt, „die Staatsverschuldung zu beherrschen“ und bis 2016 von 90,6 (2012) auf 83,4 Prozent zurückzuführen, erinnert Le Figaro. Hollande hat das selbstgesetzte Ziel um 15 Prozentpunkte verfehlt.

Tatsächlich ist Frankreichs Staatsverschuldung in den fünf Jahren der Präsidentschaft von Hollande nur gestiegen: um über 300 Milliarden Euro. Finanzminister Sapins zutreffender Hinweis, dass sie während der Amtszeit von Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy gar um 600 Milliarden Euro und um 25 Prozentpunkte angewachsen sei, ist kein Trost. Denn in den Sarkozy-Jahren durchlitt Europa die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit 30 Jahren. Sarkozys Schulden haben geholfen, die Folgen für Frankreich abzufangen.

Den guten nordischen Schülern ist es gelungen, ihre öffentlichen Ausgaben zu senken.

Le Figaro

Während sich Frankreichs Staatsverschuldung der Marke von 100 Prozent nähert – „wie seine Nachbarn des Club Med“, vermerkt Le Figaro – gelang es den nordeuropäischen Nachbarn, ihre Finanzen sanieren, obwohl sie durch die gleiche Krise gehen mussten. Le Figaro präsentiert seinen Lesern bittere Vergleichszahlen: Dänemark konnte seine Staatsverschuldung seit 2011 von 46,4 auf heute 40,2 Prozent zurückführen, die Niederlande von 68,2 (2014) auf 65,1 Prozent und Schweden seit 2005 von 48,2 auf heute 43 Prozent. Schwedens Leistung wird sichtbar, wenn man seine Verschuldungszahl für das Jahr 1993 kennt: 80 Prozent. Für 2020 hat sich Stockholm ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: 35 Prozent. Das Argument, dass kleinen Ländern solche Finanzwenden naturgemäß leichter fielen, lässt das Pariser Blatt nicht gelten und zeigt dafür auf Deutschland, das seine Verschuldung seit 2010 von 81 auf 71,2 Prozent zurückgeführt hat. Le Figaro weiß warum: „Den guten nordischen Schülern ist es gelungen, ihre öffentlichen Ausgaben zu senken.” Und sie haben auf sich genommen, was die Regierung von Hollande fünf Jahre lang verweigert hat: schmerzliche Reformen.

Frankreich vor der angekündigten Katastrophe

Denen wird das Land nach den Wahlen 2017 nicht länger ausweichen können. Auf das Land kommen harte Schnitte zu. Denn schon jetzt bringt Frankreichs „abgrundtiefe Verschuldung“ (Le Figaro) die Staatsfinanzen in eine bedrohliche Schieflage: Allein für die Zinsen auf seine Schuld muss Paris jedes Jahr 50 Milliarden Euro aufwenden – ungefähr soviel wie für den nationalen Bildungsetat. Dem Blatt zufolge muss die Regierung jedes Jahr außerdem 200 Milliarden Euro Schulden aufnehmen, um seine Angestellten zu bezahlen und um fällige Schulden zu begleichen. „Schulden machen, um Schulden zu bezahlen, wir sind verrückt geworden!“, kommentiert das der bürgerlichen Opposition nahestehende Blatt auf Seite Eins unter der Überschrift „Kollektiver Wahnsinn“.

Schulden machen, um Schulden zu bezahlen, wir sind verrückt geworden!

Le Figaro

Nach fünf Jahren „Hollandismus“, so das Blatt, sind Frankreichs Finanzen wackliger denn je zuvor. Le Figaro: „Nur dank Herrn Draghi und seiner europäischen Politik des Gratis-Geldes hält Hollandes Finanzkonstruktion überhaupt noch – Frankreich liegt sozusagen unter dem Sauerstoffzelt.“ Doch das kann nicht ewig dauern, warnt Le Figaro: „Früher oder später werden die Zinsraten wieder steigen – und dann unser Land der Gnade der Finanzmärkte ausliefern“. Frankreich könne sich lockere Haushaltspolitik nicht mehr erlauben, sondern müsse zur Defizitgrenze von drei Prozent zurückkehren. Sonst drohe dem Land eine „Katastrophe mit Ankündigung“.