Keine Achse Moskau-Ankara
Am 9. August 2016 empfing Staatspräsident Wladimir Putin seinen türkischen Amtskollegen Recep Erdogan in Sankt Petersburg. Es war die erste Zusammenkunft nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei im Oktober 2015. Über Durchbrüche in maßgeblichen Verhandlungsfragen wurde nichts bekannt. Eine Analyse der russisch-türkischen Beziehungen von Markus Ehm, Hanns-Seidel-Stiftung.
Analyse

Keine Achse Moskau-Ankara

Gastbeitrag Am 9. August 2016 empfing Staatspräsident Wladimir Putin seinen türkischen Amtskollegen Recep Erdogan in Sankt Petersburg. Es war die erste Zusammenkunft nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei im Oktober 2015. Über Durchbrüche in maßgeblichen Verhandlungsfragen wurde nichts bekannt. Eine Analyse der russisch-türkischen Beziehungen von Markus Ehm, Hanns-Seidel-Stiftung.

Vorgeschichte und Begleitumstände des Gesprächs

Russland und die Türkei schmiedeten große Pläne für den Ausbau ihrer Wirtschaftsbeziehungen. Misstöne mischten sich in das Verhältnis, als Moskau im Oktober 2015 mit Bombardements in Syrien begann. Die Lage eskalierte, als die türkische Luftwaffe wenige Wochen später einen russischen Kampfjet abschoss, weil dieser für wenige Sekunden türkischen Luftraum verletzt hatte. Daraufhin legte der Kreml das Vorhaben einer Gaspipeline und den Bau eines Atomkraftwerks in der Türkei auf Eis, stoppte zudem die Einfuhren von Obst und Gemüse aus der Türkei und untersagte Charterflüge. Über 90 Prozent der russischen Touristen, 2015 waren es noch 3,6 Millionen, blieben inzwischen der Türkei fern.

Problem Berg-Karabach

Ein weiteres Problem kam durch die angespannte Lage im Gebiet Berg-Karabach im Südkaukasus hinzu. Offiziell gehört die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region zu Aserbaidschan. Tatsächlich hat sie sich von Aserbaidschan losgesagt und erhält Unterstützung von Armenien. Baku und Ankara, beide mit moslemischen Bevölkerungen, stehen sich ethnisch-religiös nahe. Eriwan hingegen, überwiegend christlich geprägt, ist Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion und des Verteidigungsbündnisses OVKS, die beide unter der Vorherrschaft Russlands stehen. Anfang April 2016 flammten in Berg-Karabach die schärfsten Kämpfe seit 1994 auf. Moskau, das Armenien und Aserbaidschan mit Waffen beliefert, befriedete die Situation mit Aufrufen zur Besonnenheit und intensiver Reisediplomatie. Erdogan hingegen sagte: „Wir unterstützen Aserbaidschan bis ans Ende.”

Kasachstan hat vermittelt

Im Laufe des Mais gab es Anzeichen dafür, dass sich Moskau und Ankara um eine Normalisierung des gegenseitigen Verhältnisses bemühten. Die angestrebte Entspannung trat ein, als der Kreml verlautbaren ließ, Erdogan habe in einem Brief an Putin um Entschuldigung für die Tötung des getöteten Kampfpiloten gebeten. Als Vermittler nennt die russische Tageszeitung RBK daily den kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und den türkischen Geschäftsmann Cavit Caglar. Dieser habe in eine Textilfabrik in der russischen Teilrepublik Dagestan investiert und sei mit dem dortigen Präsidenten bekannt.

Nach dem Putschversuch in der Türkei sagte Putin als einer der ersten Erdogan seine Unterstützung zu.

Als günstig für eine Versöhnung wirkte sich Putins Verhalten nach dem Putschversuch in der Türkei aus. Während westliche Stimmen die Einhaltung von Menschenrechten einforderten, sagte Putin als einer der ersten unter den weltweit führenden Staatslenkern Erdogan seine Unterstützung zu. Moskau verzichtete auf jegliche Kritik, welche, so die Tageszeitung Kommersant, als „Demokratie-Lehrstunde” interpretiert hätte werden können.

Verlauf und Gesprächsthemen

Der Kommersant unterstreicht auf Seite 1 mit einem Foto, dass Putin mit dem Rücken zur Tür stand, als Erdogan den Raum ihrer Besprechung betrat. Augenblicklich habe sich Putin umgedreht und Erdogan begrüßt. Nach der zweistündigen Unterredung hätten beide bevorzugt, vor den Journalisten nur über das zu sprechen, was sie vereine, so RBK daily.

Das Einfuhrverbot für türkische Landwirtschaftserzeugnisse soll bis Ende 2016 abgeschafft werden.

Putin und Erdogan vereinbarten, die Zusammenarbeit in allen Bereichen wieder aufzunehmen. In nächster Zeit könne es wieder Charterflüge in die Türkei geben, und Russland erwäge − so Putin − die Aufhebung der Restriktionen für die Einstellung türkischer Arbeiter. Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew sagte, das Einfuhrverbot für türkische Landwirtschaftserzeugnisse solle bis Ende 2016 abgeschafft werden. Diese Frist sei notwendig, um zu prüfen, ob die Lebensmittel russischen Qualitätsstandards entsprächen, so Uljukaew. Vor der Krise machte türkisches Obst 14,5 Prozent aller Importe nach Russland aus; Gemüse erreichte einen Anteil von 19,5 Prozent. Tomaten liefert heute insbesondere Marokko, allerdings zu einem um fast 50 Prozent höheren Preis. Erdogan sagte den Bau der Gaspipeline „Turkish Stream” zu. Laut Energieminister Alexander Nowak könne hierzu im Oktober eine Regierungsvereinbarung unterzeichnet werden. Außerdem hebt Ankara die Errichtung des Atomkraftwerks „Akkuyu” auf das Niveau einer „strategischen Investition”.

Erdogan sagte den Bau der Gaspipeline „Turkish Stream” zu.

Putin räumte auf der Pressekonferenz divergierende Einschätzungen zur Lage in Syrien ein. Er hoffe auf eine Annäherung bei der nachfolgenden Unterredung  mit den Außenministern und Vertretern der Geheimdienste beider Länder. Aus dem Umfeld des russischen Verteidigungsministeriums verlautete, so Wedomosti, dass es auch um die Vermeidung neuer Zwischenfälle in der Luft gegangen sei. Außerdem könnten auch die militärischen Verbindungen beider Länder gestärkt werden. Nicht zufällig habe der Leiter der Abteilung für Rüstungsindustrie des türkischen Verteidigungsministeriums zur Delegation gehört. Im Falle, dass Ankara Probleme beim Kauf von westlicher Rüstungstechnik wegen Erdogans hartem Vorgehen in Zusammenhang mit dem Putschversuch bekomme, könnte Moskau liefern.

Ausblick

Auch wenn der heftige Streit beigelegt wurde, so fällt auf, dass die russische Seite eine vorsichtige Wortwahl pflegte. Bis dato wurden keinerlei Verträge unterzeichnet. Dazu passt die Einschätzung von Pawel Schlijkow vom Moskauer Carnegie Center, der ausführt, dass an die Stelle kämpferischer Rhetorik erneut die Suche nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit trete. Und damit, so der Experte, richteten Moskau und Ankara auch ein Signal an den Westen, mit dem beide ihre Probleme hätten. Trotz der freundlichen Worte zwischen Erdogan und Putin bleiben handfeste Fragen offen:

• Gasleitung/Turkish Stream: Bereits vor dem Zerwürfnis kam das Projekt ins Stocken. Russland, das „Turkish Stream” auch als Alternative zum Transit durch die Ukraine plante, hatte keine Abnahmezusagen aus EU-Staaten vorzuweisen. Eine Verkleinerung der Kapazität durch die ausschließliche Belieferung des türkischen Marktes, macht das Projekt für Gasprom wirtschaftlich riskanter; zudem fordert Ankara Preisnachlässe. Gleichzeitig treibt die Türkei ein Konkurrenzprojekt voran, das aserbaidschanisches Gas über ihr Gebiet nach Griechenland bringen soll, was Moskau aus politischen Gründen nicht gefällt.

• Atomkraftwerk in Akkuyu: Nach einer Stellungnahme des russischen Instituts für Energiefragen widerspricht das Vorhaben den wirtschaftlichen Interessen Russlands. So bringe die Türkei keine Finanzmittel auf, erhalte jedoch die Kontrolle über fremdes Eigentum, unter anderem mit dem Argument der nationalen Sicherheit.

• Lieferung von türkischem Obst und Gemüse nach Russland: Die Verbraucherschutzbehörde „Rospotrebnadsor” sieht keine Basis für einen Wegfall des Embargos. Und erst Mitte Juli sagte Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschjow, dass die Regierung in der nächsten Zeit keine Aufhebung der Importsperre plane. Es gehe nicht um eine Bestrafung der Türkei, sondern um die Berücksichtigung der Interessen der russischen Landwirtschaft, die die Signale ihrer Regierung gehört und daraufhin die eigene Produktion verstärkt habe. Dabei dürfte der Minister auch den wirtschaftlichen Erfolg seines persönlichen Umfeldes im Blick gehabt haben: Wedomosti berichtete neulich im Rahmen eines Berichts darüber, dass Verwandte Tkatschjows umfangreiche Unternehmensbeteiligung im Bereich der Landwirtschaft besäßen.

• Geopolitische Gegensätze: Auch wenn die Türkei die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt, bestehen doch mit Russland signifikante Meinungsverschiedenheiten in internationalen Fragen. So sagte Erdogan auf dem Nato-Gipfel in Warschau, man dürfe die „Umwandlung des Schwarzen Meeres zu einem russischen See“ nicht zulassen. Im Schwarzmeerraum hat für Russland die annektierte Halbinsel Krim militärisch-strategische Bedeutung. Deshalb sieht Moskau die Unterstützung der krimtatarischen Bevölkerung durch Ankara sehr kritisch. Im Gegenzug verurteilt die Türkei die engen Beziehungen Russlands zu den Kurden, die in Moskau sogar über ein Kontaktbüro verfügen. Die Umsetzung ihrer Hauptforderung, nämlich der Schaffung eines unabhängigen Kurdistans, würde auch auf Kosten der Türkei erfolgen.

In Syrien auf unterschiedlichen Seiten

Hinsichtlich des Schicksals des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad vertreten Putin und Erdogan entgegengesetzte Auffassungen. Mit Blick auf die aktuellen Kämpfe um Aleppo führt Alexander Wasiljew vom Institut für Orientforschungen der Russischen Akademie der Wissenschaften aus, dass die Stadt für die Türkei ein wichtiges Zentrum darstelle. Dort leben zahlreiche turkmenische Syrier, welche den Türken ethnisch nahe stehen. Russland unterstützt jedoch die Regierungstruppen. Damit finden sich Moskau und Ankara auf unterschiedlichen Seiten wieder. Eine Tauschgeschäft, so der türkische Experte Krim Has, könnte darin bestehen, dass die Türkei die Absetzung Assads für längere Zeit von der Tagesordnung nimmt, aber dafür Russland seine Waffenlieferungen an kurdische Einheiten verringert.

Russlands Pendeldiplomatie zwischen Armenien und Aserbaidschan

Unterschiede bleiben auch bezüglich des Konflikts um die Region Berg-Karabach. Während die Türkei eindeutig auf der Seite Aserbaidschans steht, verfolgt Russland bislang eine Pendeldiplomatie und bezieht nicht eindeutig Position für seinen Verbündeten Armenien. So möchte Moskau die Entstehung einer offenen Flanke an seiner südlichen Achillesferse verhindern.

Keine Achse Moskau-Ankara

Eine dauerhafte Freundschaft oder sogar eine Achse Moskau-Ankara als Alternative zur Nato-Mitgliedschaft der Türkei erscheint vor diesem Hintergrund als überaus unrealistisch. Eher wahrscheinlich ist, dass die Gegensätze zwischen Moskau und Ankara bald wieder offen zu Tage treten. War es eine Machtdemonstration, dass Putin Erdogan den Rücken zuwandte, als dieser den Raum betrat?