Polen: Angela Merkel (2.v.l.) trifft die Visegrad-Gruppe mit Beata Szydlo (m.), Viktor Orban (2.v.r.), Bohuslav Sobotka (r.) und Robert Fico (l.). (Bild: Imago/Pacific Press Agency/Jakob Ratz)
EU-Reise

Widerstand gegen Merkels Asylkurs

Bundeskanzlerin Angela Merkels Reise zu den ost- und südosteuropäischen Partnern gerät zur Irrfahrt: Überall wächst der Widerstand gegen ihre Politik. Prag und Warschau wehren sich erbittert gegen Brüsseler Umverteilungsquoten. Bulgarien warnt vor dem Migranten-Ansturm aus der Türkei. Wien kritisiert Merkels „Wir schaffen das“ als permanente Einladung zur Völkerwanderung.

„Ich denke, wir bleiben im Gespräch.“ Bundeskanzlerin Angela Merkels spröde Auskunft auf der Pressekonferenz mit Ministerpräsident Bohuslav Sobotka umschrieb ziemlich präzise den gemeinsamen Nenner bei der Suche nach einer europäischen Antwort auf die anhaltende Migrantenkrise. Und viel Gemeinsamkeit ist da eben nicht. Die Tschechen wollen weiterhin nichts wissen von der Umverteilung von 160.000 Migranten aus Italien und Griechenland sowie 70.000 weiteren aus Flüchtlingslagern in der Türkei auf ganz EU-Europa. „Wir können keinem System zustimmen, das auf verpflichtenden Quoten zur Umverteilung von Flüchtlingen besteht“, betonte Sobotka noch einmal.

Tschechien, Merkel, Europa und der brave Soldat Schwejk

Draußen, vor dem Regierungssitz, pfiffen und lärmten dazu Demonstranten: „Merkel muss weg!“ Als Grund für den massiven öffentlichen Widerstand in Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern gegen die Brüsseler – und Berliner – Umverteilungspläne verwies der Premier auf die Unterschiede zwischen den Kulturen, die viele Menschen eben registrierten. Dazu komme, dass viele Migranten aus Regionen stammten, in denen Terror grassiere. Sobotka erinnerte schließlich an offenkundige Fehler und an fehlgeschlagene Integration vieler Einwanderer in Westeuropa, deren zweite und dritte Generation sich jetzt radikalisiere.

Tatsächlich wird das in westeuropäischen Hauptstädten und Redaktionsstuben gerne übersehen: Die 2004 in der großen EU-Erweiterung hinzugekommenen Osteuropäer haben inzwischen Westeuropas Erfahrungen mit Masseneinwanderung aus kulturfremden Regionen millionenfach in Augenschein nehmen können – und ihre Schlussfolgerungen gezogen. Unmittelbar vor Merkels Besuch in Prag hatte Sobotka eine solche ganz offen formuliert: „Wir haben hier bei uns keine starke muslimische Gemeinschaft – und ehrlich gesagt, wünschen wir uns auch nicht, dass sich hier eine starke muslimische Gemeinschaft bildet.“ (Der Bayernkurier berichtete).

So ist Tschechien: Befehlen ist Schwejk nie gefolgt, jedenfalls nie wirklich.

Tschechiens sozialistischer Staatspräsident Milos Zeman ist ein noch schärferer Gegner jeder Brüsseler Umverteilungspläne. Anfang August bezeichnet er Merkels Politik der offenen Asyl- und Einwanderungstore als „Unsinn“ und „absurden Humanismus“. Aber er ist natürlich ein charmanter Mensch und überreichte seiner Besucherin einen Strauß Blumen – und eine schöne Ausgabe des satirischen tschechischen Schelmenromans „Der brave Soldat Schwejk“ von Jaroslav Hasek (1883-1923). Man muss nicht lange nachdenken, um zu ergründen, was Zeman mit seinem Buchgeschenk wohl sagen will: So wie sich Schwejk dem ersten Weltkrieg entzog – vernünftigerweise, wird heute, 102 Jahre nach dem August 1914, jeder sofort bestätigen – so wollen sich auch die Tschechen dem Migrantenansturm und Brüsseler Verteilungsquoten entziehen. Befehlen ist Schwejk nie gefolgt, jedenfalls nie wirklich: Schon weil im Roman alle seine Vorgesetzten entweder borniert waren oder schlicht Idioten und meistens beides. Stoff zum Nachdenken rund 100 Jahre später. Vielleicht hat Merkel ja auf dem Rückflug von Prag in dem witzigen Band geblättert.

Warschau gegen Zwangsumsiedlung

Am heutigen Freitag ist die Bundeskanzlerin in Warschau, einer weiteren Etappe ihrer jüngsten Europa-Reise, zuerst mit Ministerpräsidentin Beata Szydlo zusammengetroffen und dann mit den Regierungschefs aller vier Visegrad-Staaten: Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Die Visegrad-Gruppe zählt zu den vehementesten Gegnern von Merkels Migrantenpolitk und Brüsseler Verteilungsquoten. Vor dem Fünfer-Gipfel in Warschau brachte Außenminister Witold Waszczykowski die polnische Position noch einmal zum Ausdruck: Von einem festen Verteilungsschlüssel für Migranten in Europa will auch Warschau nichts wissen. Was in Brüssel „euphemistisch Umverteilung“ genannt würde, sei in Wahrheit eine „Zwangsumsiedlung“, die in Polen nicht akzeptiert würde, so der Minister. Polen habe schlechte Erfahrungen gemacht mit Massenumsiedlungen. Zudem müsse bei alle dem die Sicherheit des eigenen Landes sowie die Sozial- und Beschäftigungspolitik im Vordergrund stehen, erinnert Waszczykowski: „Nicht alle in Europa können sich so eine Politik, wie Deutschland sie vorschlägt, leisten. Viele Länder, darunter auch Polen, haben sehr begrenzte Kapazitäten und Möglichkeiten.“

Bulgariens Angst vor Erdogans Migranten-Flut

Am Samstag schließlich wird Merkel mit Regierungschefs von vier Ländern an oder auf der sogenannten Balkanroute zusammentreffen: Österreich, Slowenien, Kroatien und Bulgarien. Auch bei dieser Begegnung, dieses Mal auf für die Kanzlerin heimischem Boden in Schloss Meseberg, wird es um das Migrantenthema gehen. Schon einen Tag zuvor konnte Merkel in der Tagespresse nachlesen, was sie dort zu hören bekommen wird: Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wirft etwa der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow der Europäischen Union vor, sein Land mit dem Problem wachsenden Migrationsdrucks allein zu lassen. Bulgarien teilt eine 240 Kilometer lange Grenze mit der Türkei und eine fast 500 Kilometer lange mit Griechenland. Die türkische Grenze will Bulgarien jetzt mit einer „Schutzanlage“ befestigen. Aber während Griechenland von der EU zur Bewältigung der Migrantenkrise 700 Millionen Euro erhalten habe, so Borissow, habe sein Land bislang nur sechs Millionen als Unterstützung bekommen. Derzeit würden jeden Tag auf der türkischen Seite der Grenze bis zu 250 Migranten abgefangen. Der Premier fordert von der EU den konsequenten und gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen und warnt für Bulgarien: „Wir geben uns große Mühe. Aber ich weiß nicht, wie lange wir dem Migrationsdruck an unserer Grenze noch standhalten können.“

Wer droht, er könne Europa mit Migranten überfluten – was wird der machen, wenn dieses Europa jetzt ein Abkommen mit ihm kündigt? Dann muss er diese Drohung wahr machen.

Bojko Borissow, bulgarischer Ministerpräsident

Große Sorgen macht sich Borissow aufgrund der Entwicklungen in der Türkei und des möglichen Scheiterns des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei vom vergangenen März. Erdogan, erinnert er, habe gedroht, „er könne Europa mit Migranten überfluten“. Borissow nimmt das ernst: „Wer droht, er könne Europa mit Migranten überfluten – was wird der machen, wenn dieses Europa jetzt ein Abkommen mit ihm kündigt? Dann muss er diese Drohung wahr machen.“

Wien empört über Merkels „Wir schaffen das“

Deutliche Worte kommen vor dem Meseberger Mittagessen auch aus Wien. „Deutschland muss klar sagen: Die Grenzen sind zu“, forderte gegenüber der Bild-Zeitung Österreichs Verteidigungsminister Peter Doskozil (SPÖ). Er warnte Merkel davor, mit ihrem Festhalten am „Wir schaffen das“ die Migrantenkrise weiter zu verschärfen: „Das wird doch wieder als Ermunterung aufgefasst, nach Deutschland zu kommen.“ Für Österreich, das kleine Land am Kreuzungspunkt der Balkanroute aus dem Mittleren Osten und der Mittelmeerroute aus Afrika, bedeutet die große Migrantenkrise eine existentielle Bedrohung. Doskozil: „Wir werden nicht hinnehmen, dass Österreich durch diese Ermunterung in eine Position kommt, dass dann wieder vermehrt Flüchtlinge von Italien über Österreich nach Deutschland wollen und gleichzeitig Deutschland seine Grenzen schließt.“

Wenn es zu massenhaften Flüchtlingswanderungen aus Italien kommt, dann werden wir zu Italien dicht machen, am Brenner die Kontrollen hochfahren.

Peter Doskozil (SPÖ), österreichischer Verteidigungsminister

Der Wiener Minister sieht vor allem die Lage in Italien als bedrohlich an: „In Italien ist die Lage jetzt durchaus vergleichbar mit jener von Ungarn im Sommer 2015. Der Druck steigt, es kommen wieder mehr Flüchtlinge an.“ Die Geschichte drohe, sich zu wiederholen, „aber das Jahr 2015 darf sich nie mehr wiederholen“. Für den Fall, dass in Italien die Situation außer Kontrolle gerät (der Bayernkurier berichtete), ist Österreich vorbereitet. Doskozil: „Dann werden wir zu Italien dicht machen, am Brenner die Kontrollen hochfahren.“