US-Vizepräsident Joe Biden mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayip Erdogan. (Bild: Imago/Xinhua)
Türkische Armee in Syrien

Kampf gegen den US-Verbündeten

Türkische Panzer haben eine Offensive gegen syrisch-kurdische Kräfte gestartet und die Grenze zu Nordsyrien überschritten. Damit bekämpft Staatspräsident Erdogan zwar den IS, aber auch kurdische Einheiten, die von seinem aktuellen Besucher eigentlich unterstützt werden - US-Vizepräsident Biden kommt nach Ankara. Im Gepäck: Turbulenzen.

Im Rahmen einer überraschenden Militäroffensive sind türkische Panzer nach Nordsyrien vorgedrungen. Dort rücken sie auf die IS-Bastion Dscharablus vor. Das meldete das türkische Staatsfernsehen TRT. Zugleich stießen Einheiten der als moderat geltenden Freien Syrischen Armee (FSA) über die Grenze vor. Nach Angaben türkischer Medien ist es Ziel der Operation, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus Dscharablus zu vertreiben.

Konflikte mit den Kurden

Die Türkei hat der Militäroffensive den Namen „Schutzschild Euphrat“ gegeben. Dscharablus liegt direkt am Fluss Euphrat und ist die letzte größere Bastion des IS an der syrischen Grenze zur Türkei. Der Ort liegt etwa 35 Kilometer nördlich der Stadt Manbidsch, die erst kürzlich von einem Bündnis unter Führung der syrischen Kurden-Miliz YPG zurückerobert worden war.

Offiziell steht also der Kampf gegen die IS-Milizen im Vordergrund – Ankara dürfte es aber vor allem darum gehen, einen weiteren Vormarsch syrisch-kurdischer Kräfte zu verhindern. Und genau darin liegt die große diplomatische Sprengkraft: Denn die Offensive begann wenige Stunden vor einem Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden in der Türkei, der am Vormittag in Ankara landete. Die USA unterstützen die kurdischen Kräfte in der Region aktiv in deren Kampf gegen den IS.

Kurden kritisieren Offensive

Die Offensive der Türken stieß bei den syrischen Kurden erwartungsgemäß auf Kritik. „Die Türkei ist im syrischen Sumpf“, schrieb der Co-Vorsitzende der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim, auf Twitter. Die Türken würden ebenso besiegt werden wie der IS.

Die kurdischen Volksschutzeinheiten YPG – der bewaffnete Arm der PYD – haben vom IS in Syrien bereits mehrere Gebiete erobert und kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei. Unterstützung erhalten sie von der US-geführten internationalen Koalition. Die PYD ist eng mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden. Die Türkei sieht beide Kräfte als Terrororganisationen an und bekämpft sie. Nachdem die Offensive nur wenige Stunden vor der Ankunft von US-Vizepräsident Joe Biden gestartet wurde, rechnen Beobachter damit, dass die jüngsten militärischen Entwicklungen die Gespräche zwischen Biden und Erdogan bestimmen werden.

Eigentlich aber war Biden nach Ankara gekommen, um der türkischen Regierung – als gewählte Vertretung des Landes – seine Unterstützung im Nachgang zu dem gescheiterten Militärputsch zu versichern. Allerdings sollten auch Gespräche über die umstrittenen Aktionen der Türkei gegen unliebsame Presseorgane und nicht zuletzt Vertreter der kurdischen Minderheit auf der Tagesordnung stehen.

Bundesregierung zeigt Verständnis – warnt aber vor Konflikten mit den Kurden

Die deutsche Bundesregierung hat unterdessen Verständnis für die türkische Militäroffensive geäußert. Gleichzeitig hält sie aber an ihrer Forderung nach einer politischen Lösung des Syrienkonfliktes fest. Wenn die Türkei auch mit militärischen Mitteln gegen IS-Hochburgen vorgehe, dann handele sie „im Einklang mit den Zielen und Absichten“ der Anti-IS-Koalition, teilte das Auswärtige Amt mit.

Wichtiges Interesse der Türkei, dass kein Gebiet entsteht, das unter totaler Kontrolle der Kurden steht.

Bundesregierung

Man müsse allerdings mit Bedauern feststellen, dass immer noch nicht allen Kriegsparteien in Syrien und auch nicht allen beteiligten ausländischen Mächten klar sei, „dass es einfach keine militärische Lösung geben kann“. Außerdem sei es offensichtlich, „dass eines der wichtigen Interessen der Türkei darin besteht, dass auf der anderen Seite der türkisch-syrischen Grenze kein Gebiet entsteht, das unter totaler Kontrolle der Kurden steht“. Die Türkei gehe davon aus, dass Verbindungen zwischen der auch von Deutschland als terroristisch eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK und Teilen der Kurden auf syrischer Seite existierten.

Stopp der EU-Verhandlungen: Hürden offenbar niedriger als behauptet

Unterdessen geht die Debatte um den Stopp der türkischen EU-Beitrittsverhandlungen weiter. Wie jetzt bekannt wurde, sind die Hürden für einen Stopp der Beitrittsgespräche offenbar niedriger als bisher von der EU-Kommission angegeben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurde 2005 in den Verhandlungsleitlinien festgelegt, dass für einen vorläufigen Abbruch der Verhandlungen eine qualifizierte Mehrheit der Staaten ausreicht. Demnach müssten nur 16 von insgesamt 28 Ländern einem entsprechenden Antrag zustimmen, sofern diese Staaten mindestens 65 Prozent aller Bürger in der Union vertreten.

Die für eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen werbende Kommission hatte bislang betont, dass ein Antrag auf Abbruch der Gespräche von allen 28 EU-Staaten befürwortet werden müsste. „Das müssen alle Mitgliedstaaten – und zwar einstimmig – beschließen, dass diese Verhandlungen abgebrochen werden“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Anfang des Monats in einem ARD-Interview. Eine Auskunft, die so offenbar nicht zu stimmen scheint. In einer Reaktion teilte die EU-Kommission jetzt mit, dass Juncker sich in seinen Äußerungen nicht auf die Verhandlungsleitlinien bezogen habe. Er sprach demnach von einem ultimativen Ende für die Beitrittsgespräche, das eigentlich gar nicht vorgesehen ist.
(dos/dpa)