Gute Freunde kann niemand trennen: IOC-Chef Thomas Bach (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin 2015 in Moskau. (Bild: Imago/Zuma Press)
Russland

Doping-Kronzeugin fürchtet um ihr Leben

Nach einem Hackerangriff auf die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hat die russische Doping-Kronzeugin Julia Stepanowa Angst um ihr Leben. "Wenn uns etwas passiert, dann müssen Sie wissen, dass es kein Unfall war", sagte sie in einer Videokonferenz. Auch der verantwortliche Journalist Hajo Seppelt hat in Rio Leibwächter. Und IOC-Chef Thomas Bach? Er schweigt.

Stepanowa, ihr Mann Witali und ihr kleiner Sohn halten sich nach den Enthüllungen über systematisches Doping in der russischen Leichtathletik, deren Kronzeugen sie waren, an einem unbekannten Ort in den USA auf. Nach Angaben der WADA hatte der Hacker-Angriff dem Konto Stepanowas im Athletensystem ADAMS gegolten – vermutlich, um ihren Wohnort heraus zu bekommen. Im Athletenkonto der Russin ist dieser Ort nämlich gespeichert, damit Doping-Kontrolleure die Sportler auffinden können. Dieser dürfte nun auch den mutmaßlich russischen Hackern bekannt sein.

Was das bedeutet, ist nicht erst nach den Morden am Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko, der Journalistin Anna Polikovskaya und dem Oppositionsführer Boris Nemzow klar – um nur die bekanntesten Namen zu nennen. Unliebsame Kritiker stehen in Russland im wahrsten Sinne des Wortes auf einer Abschussliste. Genau deshalb wendete sich jetzt Stepanowa mit dramatischen Worten in einer Videokonferenz an die Öffentlichkeit, wie die Nachrichtenagentur AP berichtet:

Wenn uns etwas passiert, müssen sie wissen, dass das kein Unfall war. Uns ist klar, dass, wenn uns jemand wirklich etwas antun wollte, würden sie damit wahrscheinlich Erfolg haben.

Durch ihre Aussagen kam es wenigstens zu einem teilweisen Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen in Rio, auch wenn das IOC hier bisher eine miserable Figur abgab. Von den ursprünglich 387 russischen Sportlern gehen nach diversen Aktionen über 270 an den Start – in den Augen der Sportwelt ein unfassbarer Skandal (siehe Pressestimmen unten). Stepanowa fühlt sich nun, nachdem ausgerechnet sie schon nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen durfte, auch noch schutzlos und vom IOC verraten. Ihre Angst sei so groß wie nie und ihr sei klar geworden, dass es „keinen Schutz gibt“, sagte Stepanowa.

Harte Kritik am IOC

Das Ehepaar attackierte in der Videokonferenz Russland und das IOC scharf. „Das Signal ist: Wenn du deinen Mund aufmachst, wirst Du nie ein Olympia-Athlet sein“, so Julia Stepanowa bitter. „Wir hätten nie damit gerechnet, dass sich das IOC an die Seite der korrupten russischen Funktionäre stellt. Hätte sie weiter gelogen, wäre sie jetzt wahrscheinlich bei Olympia“, rechnete auch Stepanowas Mann Witali mit den Funktionären ab. Das IOC habe zudem nie versucht, die Hintergründe des Falls zu verstehen. „Sie haben nur das getan, was ihnen am meisten einbringt“, sagte die verstoßene Athletin. Nach der Dopingsperre gegen Stepanowa habe das IOC „nun entschieden, dass sie auch für Whistleblowing gesperrt wird. Damit müssen wir leben“, so ihr Gatte resigniert. Und dennoch gibt sich Julia Stepanowa kämpferisch:

Das einzige, was wir bedauern, ist, dass wir uns nicht früher an die Öffentlichkeit gewandt haben.

Das IOC wurde weltweit heftig kritisiert, weil es mit der Ausbootung Stepanowas nur Russland deren „peinliche Anwesenheit“ in Rio ersparen wolle. Der deutsche IOC-Chef Thomas Bach wurde als „Russland-Freund“ tituliert, andere Medien und Sportler wurden viel deutlicher. Der Diskus-Olympiasieger von 2012, Robert Harting, sagte über Bach: „Er ist für mich Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn.“ Er habe sich schon gefragt, ob Bach als IOC-Präsident „noch tragbar“ sei. „Aber ich alleine werde da nichts verändern können.“ Nur eine „Allianz aus Wirtschaft, Medien und Politik“ könne Bach stürzen.

Bach schreckt alle Kronzeugen ab

Den Start bei den Spielen in Rio hatte das IOC Stepanowa untersagt, da sie als ehemalige Dopingsünderin „nicht die ethischen Anforderungen“ für einen Start erfülle. IOC-Präsident Bach hatte erklärt, die Ethikkommission des IOC habe ausdrücklich den Beitrag im Kampf gegen Doping gewürdigt, aber auch berücksichtigt, „dass Julia Stepanowa nicht nur fünf Jahre Teil des Systems war, sondern aktiv mitgewirkt hat in diesem System. Sie hat ihre Informationen erst preisgegeben, als der Schutz des Systems nicht mehr funktionierte und als sie bereits eine Zweijahressperre erhalten hatte.“ Dass fast alle anderen Athleten auch nach einer Sperre schweigen, störte Bach offenbar nicht. Dass auf diese Weise zudem jeder Kronzeuge abgeschreckt wird, haben viele internationale Medien sogar als pure Absicht von Bach bezeichnet.

Wir sind enttäuscht, dass das IOC zu blind ist, zu erkennen, was für Risiken Julia auf sich nehmen musste.

Ehepaar Stepanow

Die Weigerung des IOC, sie als neutrale Athletin teilzunehmen zu lassen, verletzten wieder die Grundsätze der Gerechtigkeit, schrieb schon damals das Ehepaar. „Es folgt keiner Logik, außer dem Wunsch, eine völlig glaubwürdige Informantin zu bestrafen.“ Und weiter hieß es: „Wir sind enttäuscht, dass das IOC zu blind ist, zu erkennen, was für Risiken Julia auf sich nehmen musste und welchen Schaden ihre sportliche Karriere genommen hat, um den systematischen Betrug in Russland zu entlarven.“

Sportgerichtshof entscheidet gegen das IOC

Der internationale Sportgerichtshof CAS kassierte obendrein vor ein paar Tagen die Entscheidung des IOC als „Doppelbestrafung“ wieder ein, russische Athleten wegen früherer Dopingsperren von Olympia zu verbannen. Das nützte Stepanowa aber nichts, weil sie vom russischen Verband nicht nominiert wird. Auch dies ist letztlich ein sicheres Zeichen für die Mentalität in Russlands Sportverbänden.

Der IOC-Präsident Thomas Bach hat offenkundig mit aller Macht versucht, den Start der Frau, die das komplexe Doping-System Russlands entlarvt hat, zu verhindern.

Hajo Seppelt, Journalist, der das russische Dopingsystem aufdeckte

Doch das Internationale Paralympische Komitee zeigte sich unabhängiger und mutiger als das IOC und schloss alle russischen Sportler von den Paralympics in Rio aus. Der vom IOC nach dem ARD-Enthüllungsbeitrag in Auftrag gegebene McLaren-Report hatte systematisches und flächendeckendes Doping im gesamten russischen Sport, auch dem Paralympischen, nachgewiesen.

„Der IOC-Präsident Thomas Bach hat offenkundig mit aller Macht versucht, den Start der Frau, die das komplexe Doping-System Russlands entlarvt hat, zu verhindern“, so der verantwortliche Journalist Hajo Seppelt in der ARD. „In meinen Augen sendet das Vorgehen des IOC eine fatale Botschaft, ein sehr besorgniserregendes Signal. Whistleblower, die für einen sauberen Sport kämpfen, gehen Risiken ein und legen geheime Informationen aus einem Schattenreich offen. Für ihren Mut werden sie aber weder hofiert noch belohnt, sondern bestraft.“

Auch der Enthüller braucht Polizeischutz

Auch Seppelt, der den Skandal öffentlich machte, lebt gefährlich. Er steht bei den Olympischen Spielen unter Personenschutz, wie der Spiegel enthüllte. An seiner Seite bewegten sich immer zwei Leibwächter. Der 53-jährige Fernsehjournalist hatte in den vergangenen zwei Jahren das staatlich organisierte Dopingsystem in Russland aufgedeckt. „Seither erhielt Seppelt über Twitter und YouTube immer wieder Drohungen“, so der Spiegel. Die Anfeindungen kämen größtenteils aus Russland, aber auch aus Kenia, nachdem Seppelt in Zusammenarbeit mit der englischen Zeitung Sunday Times auch über Dopingpraktiken in dem ostafrikanischen Land berichtet hatte.

Spätestens jetzt müsste sich IOC-Chef Thomas Bach klar und deutlich hinter Stepanowa stellen, das fordern nicht nur viele Sportler. Er könnte auch Strafen gegen Russland für den Fall ankündigen, dass der Athletin etwas zustoßen sollte. Bach jedoch schweigt.

Pressestimmen zur IOC-Entscheidung, Russland nicht von den Spielen auszuschließen.

„Am Ende könnte er als derjenige in die Geschichte eingehen, mit dem die olympische Idee verendete.“

Die Zeit, über Thomas Bach

„War denn niemand zwischen den hohen Herren und Damen, der den gigantischen Schwindel der Russen als genug empfand, um alle Sportler dieses Landes zu verbannen? Um ein deutliches Zeichen zu setzen gegen den ewigen Betrug? Bach und seine Organisation müssen sich jetzt schämen, dass sie gegen Russland nichts unternehmen.“

Algemeen Dagblad, Niederlande

„Es gab bereits einige beschämende Episoden in der langen Geschichte des IOC, aber keine war so feige wie die Entscheidung, Russland den Start bei den Olympischen Spielen in Rio zu erlauben.

The Times, Großbritannien.

„Bühne frei für die chaotischsten und verrufensten Olympischen Spiele der Geschichte. (…) Schande über Thomas Bach, den zahnlosen Präsidenten, der eine gemütliche Beziehung zu Wladimir Putin pflegt, und die anderen genauso rückgratlosen Angehörigen des Exekutivkomitees.“

Daily Mail, Großbritannien

„Einer der dunkelsten Tage der Sport-Geschichte!“

Blick, Schweiz

„Das Internationale Olympische Komitee hat seinen Mut genommen, ihn vorsichtig in eine Schublade gelegt und deren Schlüssel verlegt.“

L’Equipe, Frankreich

„Bach hätte ein starkes Signal an alle Nationen senden können, die genauso dreist betrügen wie Russland. Aber er hat versagt. Als Anführer. Als Stimme für den sauberen Sport. Als jemand, der sein Wort hält. Ist das derselbe Thomas Bach, der noch vor einem Jahr eine ‚Null-Toleranz-Politik‘ gegen Doping propagiert hatte? Ist das derselbe Thomas Bach, der im vergangenen Jahr forderte, dass man das Anti-Doping-System reformieren und komplett von den National- und Sportverbänden trennen müsse?“

New York Times, USA

„Das IOC hat seine Seele verkauft. Schlimmer noch: Es hat all jene sauberen Athleten verkauft, die sich nach Rückendeckung in schwierigen Zeiten sehnen. Und mit ihnen gemeinsam auch die Frau, die mutig genug war, Russlands schmutzige Geheimnisse aufzudecken. Integrität, Anstand, Fair Play – das sind nicht länger die Ideale, mit denen sich die olympische Bewegung schmücken kann.“

USA Today