Reinigungsarbeiten an der Guanabara Bay in Rio de Janeiro. (Bild: Imago/Agencia EFE)
Olympia 2016

Rios Meeres-Kloaken

Seit 20 Jahren kennt Mario Moscatelli jedes Gewässer der Millionenstadt Rio. Die Lagunen von Unrat und toten Tieren zu befreien, sieht er als kosmetische Maßnahmen und wenig nachhaltig an. Denn nur dort, wo Wettkämpfe stattfinden, sei die Wasserqualität inzwischen akzeptabel.

Mario Moscatelli glaubt, dass nur noch der Papst helfen kann. Er hat den Erzbischof von Rio de Janeiro gebeten, sich um das Einschalten von Franziskus zu kümmern. Eine Antwort hat er noch nicht. Moscatelli ist der hartnäckigste Kritiker der Wasserverschmutzung in Rio. Der Biologe fährt mehrmals die Woche durch die Lagunen Rios, nimmt Proben. Hier im Stadtteil Barra ist vom Boot aus der Olympiapark mit den neuen Sportstätten zu sehen, er liegt direkt an dem Gewässer.

Kläranlagen sind Mangelware

Von überall her werden Fäkalien und anderes eingeleitet. Die Olympioniken werden vom widerlichen Gestank, von den Dingen, die so im Wasser schwimmen, nichts mitbekommen. Hier finden keine Wettkämpfe statt, aber für Moscatelli ist die Lage besonders dramatisch, weil hier daher auch gar nichts passiere. Die Rio-Organisatoren sagen, die Wasserqualität sei vor allem in der Guanabara-Bucht, wo gesegelt wird, in Ordnung.

Sie leben in einer anderen Realität als ich.

Mario Moscatelli, Biologe

In der Guanabara-Bucht ist eine Fahrt mit dem Boot oft ein Ausweichen vor allerlei Unrat, bis hin zu einem toten Hahn. Die Krallen nach oben, die Flügel ausgebreitet. Auch tote Hunde – oder wie kürzlich ein abgetrennter menschlicher Arm werden gefunden. In Sichtweite ist der Zuckerhut. Wenn man nicht ins Wasser schaut, ein malerisches Ambiente. Doch die Fischer hier verlieren ihre Lebensgrundlage – immer wieder werden Tonnen an toten Fischen angespült.

Die Politiker sind nur interessiert an Bauten, die sichtbar sind, ein neues Stadion, eine neue Metro.

Fischer Romario

Rio setzt auf Improvisation

Dabei lautete beim Zuschlag 2009 das große Versprechen: bis zu 80 Prozent des Wassers in der Bucht werden behandelt und gesäubert. Davon hat man sich längst verabschiedet und setzt auf das, was Rio am besten kann: Improvisation. Ein Rohrsystem wurde installiert, um zumindest das Einlaufen von ungeklärtem, kontaminiertem Abwasser in die Marina da Gloria zu verhindern, dem Startort der Segler. Dann setzt man einfach auf etwas Glück mit dem Wetter: Weniger Regen und Strömung bedeutet weniger Anschwemmen von Abfällen. Ein Helikopter soll jeden Tag die aktuelle Strömung analysieren, damit die Besatzungen von zwölf „Öko-Booten“ wissen, wo am meisten Müll aus dem Wasser geholt werden muss. Zudem gibt es nach Angaben eines Rio2016-Sprechers nun 17 schwimmende Barrieren, die Unrat abhalten.

All das, was in einem Müllwagen in Deutschland durch die Straßen gekarrt wird, ist dort im Wasser zu finden.

Heiko Kröger, Segler

Neulich wurde ein Teil der Bucht sogar zum Schwimmen freigegeben, das gab es schon lange nicht mehr. Vielleicht auch eine PR-Maßnahme. Immer wieder wurden gefährliche Superviren und schädliche Bakterien hier im Waser nachgewiesen, das können auch keine Barrieren und kein Öko-Boot abhalten. Olympia-Segler Ferdinand Gerz, 470er-Steuermann aus München, meint: „Wir nehmen probiotische Darmkeime, sind geimpft und werden regelmäßig die Süßwasserduschen auf den Trainerbooten zum Abspülen nutzen.“

Dabei berichtete der 48 Jahre alte Paralympics-Sieger von 2000, Heiko Kröger, noch im Februar in der Zeitung Welt: „All das, was in einem Müllwagen in Deutschland durch die Straßen gekarrt wird, ist dort im Wasser zu finden. Auch das ein oder andere größere Teil, das bei uns auf den Sperrmüll käme, schwimmt durch die Gegend.“ Trotz aller Beschönigungsversuche der brasilianischen Behörden: Unter Seglern wurde und wird gewitzelt, die olympische Goldmedaille werde wohl auf der Toilette entschieden.

Der Wettergott entscheidet …

Das Mindeste, was Athleten tun müssten, sei eine Impfung gegen Hepatitis A. Wie die Bedingungen letztlich seien, hänge allein vom Wettergott ab. Bei hohem Wasserstand und Sonne könne es gut aussehen, bei Wind und Regen werde es schwierig. Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Dawid Bartelt, meint mit Blick auf die Guanabara-Bucht: „Es fließen 18.000 Liter ungeklärte Abwässer pro Sekunde hinein.“ Japan und die USA stellten bereits vor rund 20 Jahren 1,2 Milliarden US-Dollar für Schutzmaßnahmen bereit, zum Beispiel für den Bau von Kläranlagen in der Bucht. Die Kapazität der später überhaupt funktionierenden Anlagen war nur bei 51 Prozent des angepeilten Ziels. Heute sind Experten überzeugt, dass mindestens ein Zehnfaches dieser Summe nötig wäre, um alle ungeklärten Haushalts- und Industrieabwässer herauszufiltern. 2012 wurde ein neues Sanierungsprogramm beschlossen, mit zusätzlichen 640 Millionen US-Dollar. Wieder wurden Kläranlagen gebaut, mit einem anderen Problem.

Mehrere der Anlagen wurden dann gar nicht an die Kanalisation angeschlossen. Sie hatten nichts zu klären und rotten vor sich hin.

Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung

Moscatelli sagt, Finanzhilfen für Abwasser- und Klärsysteme seien versickert. In dunklen Kanälen. Wer am Flughafen ankommt und über eine Schnellstraße fährt, die auf Stelen durch eine Lagune führt, sollte das Fenster nicht öffnen. Das ist Rios Visitenkarte. Die Lagune Rodrigo de Freitas, wo im Schatten des Cristo bei Olympia gerudert wird, macht mindestens einmal im Jahr mit einem dramatischen Fischsterben Schlagzeilen. Aber auch hier sind jetzt Öko-Schiffe im Einsatz – laut Moscatelli ist die Situation hier noch am besten. Die große Frage ist, was passiert, wenn die Sportler wieder weg sind und wegen der Olympia-Kosten das Geld knapp sein wird? Dann wird bald auch Improvisation nichts mehr helfen.

Hochhausblöcke fertig für den Einzug

Das zunächst wegen Mängeln in der Kritik stehende Olympische Dorf in Rio de Janeiro ist angeblich komplett bezugsfertig für die über 10.000 Athleten aus aller Welt. Höchste Zeit, eine Woche vor Beginn der Spiele, wenn längst die ersten Athleten einziehen wollen. Der Projektleiter vom Organisationskomitee bestätigte, dass alle ausstehenden Arbeiten abgeschlossen seien und die Task Force ihre Arbeit beendet habe. Seit dem Wochenende waren zeitweise 630 Handwerker und Reinigungskräfte im Einsatz. Jetzt sind 31 neu gebaute Hochhausblöcke einzugsbereit. Mehrere Delegationen hatten über Bauschmutz, defekte Wasserleitungen und blockierte Toiletten geklagt. Aber auch Kriminalität, Verkehrschaos, sowie die Staats- und Wirtschaftskrise waren in den letzten Wochen Thema. Mehr dazu lesen Sie hier: Hochsicherheitstrakt am Strand.

425 deutsche Olympia-Teilnehmer

Der deutsche Marathon-Rekordler Arne Gabius hat seinen Start bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro wegen einer Verletzung abgesagt. Der 35-jährige Langstreckler vom LT Haspa Marathon Hamburg hatte schon bei den Europameisterschaften Ende Juli in Amsterdam den Halbmarathon wegen Beckenproblemen vorzeitig beenden müssen. Gabius war 2012 bei den Sommerspielen in London über 5000 Meter an den Start gegangen. Über diese Distanz war er im gleichen Jahr EM-Zweiter geworden. Damit reduziert sich die Zahl der deutschen Olympia-Teilnehmer auf 425 Athleten.

(dpa/AS/avd)